Tagesmütter in Dorsten: Warum viele das Handtuch werfen Geld ist nicht das einzige Problem

Tagesmütter klagen: „5,81 Euro pro Kind und Stunde sind zu wenig“
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In Dorsten betreuen zurzeit circa 50 Tagespflegepersonen im eigenen Haushalt oder eigens angemieteten Räumen rund 190 Kinder unter drei Jahren.

Viele Eltern haben in Kitas keinen Platz für ihren Nachwuchs ergattert, viele bevorzugen für ihre Kleinkinder aber auch bewusst die Betreuung in einer kleinen Gruppe, denn die Tagesmütter nehmen höchstens fünf Kinder auf. In Großtagespflegestellen werden bis zu neun Kinder gleichzeitig betreut.

Obwohl sie bei den Eltern gefragt sind, haben in NRW im vergangenen Jahr 300 Tageseltern das Handtuch geworfen. Unklare Rahmenbedingungen und eine nicht funktionierende Kommunikation mit den Jugendämtern seien vielfach die Gründe dafür, heißt es bei der Berufsvereinigung Kindertagespflegepersonen.

Tagesmütter sind selbstständige Unternehmerinnen, die einen privatrechtlichen Vertrag mit Eltern abschließen. Die Eltern entrichten den ortsüblichen, einkommensabhängigen Elternbeitrag an die Stadt, die wiederum die Tagesmütter stadtweit einheitlich entlohnt.

Und zwar mit (ab August 2023) 5,81 Euro pro Kind und Stunde. Ein Stundensatz, der sich aus einer Förderleistung von 4,44 Euro und einem Sachkostenzuschuss von 1,37 Euro zusammensetzt. „Wenn man als Tagesmutter seinen Lebensunterhalt verdienen will, muss man schon fünf Kinder aufnehmen“, berichtet Claudia.

Ein Kleinkind spielt mit einem Hüpfball
Nach dem Investitionskostenzuschuss für die Ersteinrichtung gibt es für die Tagespflegestellen kein Geld mehr für Neu- und Ersatzanschaffungen. © picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild

Sie ist eine von zehn Tagesmüttern, die im Gespräch mit der Dorstener Zeitung ihre Lage schildern, aber anonym bleiben wollen, weil sie Angst davor haben, dass die Stadt ihnen im Fall von negativen Meinungsäußerungen in der Öffentlichkeit die Erlaubnis zur Kindertagespflege entziehen könnte.

Das Netzwerk Kindertagespflege NRW, ein kollegialer, ehrenamtlicher Zusammenschluss von Kindertagespflegepersonen aus derzeit 91 Jugendamtsbezirken in NRW, muss weniger Vorsicht walten lassen bei öffentlichen Äußerungen und hat sich unlängst mit dem Einkommen von Tagesmüttern auseinandergesetzt.

Eine Umfrage hat ergeben, dass die Bezahlung von Tagesmüttern in NRW eklatante Unterschiede aufweist. So bekommt eine Tagespflegeperson in Lüdenscheid 3,60 Euro pro Stunde, in Iserlohn 6,28 Euro. Der Sachaufwand variiert zwischen einem und 2,48 Euro.

Wäre ein landesweit einheitlicher Stundensatz nicht die bessere, weil gerechtere Lösung? Erste Beigeordnete Nina Laubenthal, Abteilungsleiterin Gudrun Lade und Fachberaterin Katrin Schmidt nicken begeistert. „Das wäre klasse.“

Aber die Sozialdezernentin macht schnell klar, dass es dann auch einheitliche Elternbeiträge und Unterstützung der Kommunen vom Land geben müsse, „denn wir sind nicht alle gleich aufgestellt.“ Was reicheren Kommunen leicht gelingen könne, sei in ärmeren Gemeinden nicht machbar.

Nina Laubenthal
Erste Beigeordnete Nina Laubenthal weiß die Arbeit der Tagesmütter zu schätzen. © Stadt Dorsten

Unterschiede gibt es nicht nur beim Gehalt, auch die Bezahlung von Urlaubs- und Krankentagen ist von Stadt zu Stadt unterschiedlich. 31 Tage dürfen Dorstener Pflegepersonen Urlaub nehmen oder krank werden.

„Hat man schon den mit den Eltern frühzeitig vereinbarten Urlaub genommen und wird dann krank und überschreitet damit die 31 erlaubten Tage“, rechnet Erika vor, „werden die Tage bei der Abrechnung abgezogen.“

Bei einem Betreuungsvertrag für 25 Stunden pro Woche könne das 100 Euro pro Krankentag ausmachen. Erika: „Deshalb gehen fast alle Tagespflegepersonen mit dem Kopf unterm Arm arbeiten.“

Risiko Selbstständigkeit

Dass die Tagesmütter ihre festangestellten Kolleginnen darum beneiden, auch im Krankheitsfall abgesichert zu sein, kann Nina Laubenthal verstehen, aber: „Sie haben sich bewusst zur Selbstständigkeit entschieden und tragen deshalb andere Risiken als Angestellte.“ Die Stadt trage 50 Prozent der Kosten für Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung, der Gesetzgeber habe Tagespflegepersonen im Steuerrecht eine großzügigere Betriebskostenpauschale eingeräumt als anderen Selbstständigen, das Land biete bei Neu-Einrichtungen von Tagespflegestellen Investitionsprogramme - das sei mehr als Selbstständige in anderen Berufen in Anspruch nehmen können.

Laubenthal: „Die Fördermittel, die wir für den Bau neuer Kitas bekommen, sind für jedes einzelne Projekt exakt berechnet und bewilligt, davon dürfen wir nichts umleiten in die Tagespflegestellen.“

Den Vorwurf der Tageseltern, das sei ein Zeichen für die geringe Wertschätzung ihrer Arbeit, weist Nina Laubenthal entschieden zurück.

Jugendamt als Mediator

Die Kindertagespflege in kleinen Gruppen sei jetzt und auch in Zukunft ein unverzichtbarer Bestandteil der Kinderbetreuung in Dorsten, bekräftigt auch Gudrun Lade. „Wir wollen den Eltern diese Wahlmöglichkeit unbedingt erhalten.“

Das Jugendamt verstehe sich im übrigen als Vermittler zwischen den Eltern und des Tagespflegepersonen - auch, wenn es mal schwierig werde zwischen den beiden Vertragspartnern. „Wir verstehen uns als Mediatoren, die dann gemeinsam nach einer individuellen Lösung des Problems suchen.“ Und dabei stehe des Kindeswohl stets im Vordergrund.

Das kommt nicht bei allen Tagesmüttern so an, denn die Kommunikation zwischen manchen Pflegepersonen und den Verantwortlichen im Rathaus ist offenbar seit Jahren schwierig. Die Dorstener Zeitung berichtete bereits mehrfach. „Wir hätten gerne feste Ansprechpartner in der Gruppe der Tagespflegepersonen“, sagt Nina Laubenthal, „aber eine Mehrheit hat bei einer Abfrage durch das Jugendamt kein Interesse an einem Sprechergremium gezeigt.“

Kinder spielen mit Holzklötzchen.
Gerade die Eltern kleiner Kinder bevorzugen oftmals die Tagespflege in Kleinstgruppen. © picture alliance / Jens Büttner/dpa-Zentralbild/dpa

Eine weitere Forderung der Tagesmütter bezieht sich auf einen Mietkostenzuschuss. „Wer fünf Kinder betreut, hat oftmals dafür extra Räume angemietet“, erklärt Lisa ein häufiges Prinzip der kleinen, selbstständigen Unternehmen. In Dorsten müssen sie die Miete allein tragen, während es zum Beispiel in Wesel oder Marl 75 bzw. 51 Euro Mietkostenzuschuss pro Kind gebe. „Ich betreibe praktisch einen zweiten Haushalt mit all seinen Kosten“, erläutert Frieda und verweist auf Kosten für Müllabfuhr, Strom und Heizung. Dafür und die vielen kleinen Dinge wie Seife, Toilettenpapier, Desinfektionsmittel, etc. reiche der Sachkosten-Stundensatz von 1,37 Euro einfach nicht aus.

„Manche von uns haben bereits aufgegeben oder planen eine berufliche Neuorientierung“, erzählt Erika, „das erfüllt uns mit Sorge, denn wir kennen den Bedarf der Eltern.“

Der Jugendhilfeausschuss berät in seiner Sitzung am 22. August über die neue Satzung. Danach soll sie im Rat verbindlich beschlossen werden.

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