
René Lutz ist schwer von seiner Krankheit gezeichnet, doch sein Lebensmut ist ungebrochen. © Claudia Engel
Todkrankem René Lutz (43) wird sein Medikament verweigert: „Ich will leben“ (mit Video)
Medikamentenstudie
René Lutz ist sterbenskrank. Er leidet an einer äußerst seltenen Krebsart. Lutz will nicht sterben. Denn es gibt ein lebensrettendes Medikament für ihn. Das wird ihm verweigert.
René Lutz ist ein Bild von einem Mann gewesen: 1,86 Meter groß, 90 Kilogramm, muskulös. Er war als Betonbauer Vorarbeiter der Firma Schwan Bau beschäftigt. „Ich habe immer gut und gerne zugepackt, muss ich ja auch auf dem Bau“, sagt der 43-Jährige. René Lutz ist heute ein schwerkranker Mann. Ein Schatten seiner selbst, weil er unter einer extrem seltenen und besonders aggressiven, bösartigen Krebserkrankung leidet: Synovialsarkom. Dieser Krebs befällt Weichteile und streut rasend schnell in lebenswichtige Organe. Bei Lutz war der Ausgangspunkt eine vom Sarkom befallene Sehne im rechten Arm. Nach zwei Jahren sind die meisten Erkrankten mit diesem Krebs tot.

Am rechten Arm hat René Lutz eine lange tiefe Narbe: An der Sehne wurde der Krebs festgestellt, die Sehne herausoperiert. © Claudia Engel
Nicht so René Lutz: Der Mann lebt sechs Jahre nach der Diagnose - „ich habe sie am 13.12.2016 bekommen“ - immer noch. Das ist seiner robusten Konstitution, aber auch seinem ungebrochenen Lebensmut geschuldet. „Ich habe Frau und drei Kinder im Alter von 4, 14 und 20 Jahren. Ich will leben. Ich bin es meiner Familie schuldig, dass ich kämpfe.“
Neben dem kraftvollen familiären Halt und der liebevollen Unterstützung von engen Freunden wie Juliane Stock, Heilpraktikerin aus seinem Heimatort Raesfeld-Erle, die die schulmedizinische Therapie ihres Freundes nach Kräften mit ihren Mitteln unterstützt und begleitet, hat René Lutz die Zuversicht, dass es Rettung für ihn gibt: ein speziell auf ihn zugeschnittenes Medikament aus seinen körpereigenen Killerzellen (T-Zellen). Ein individuelles Arzneimittel für seine Krebskrankheit, das im Rahmen einer Studie im Auftrag eines pharmazeutischen Konzerns entwickelt worden ist. Weltweit nehmen sechs an Synovialsarkomen erkrankte Menschen teil. René Lutz ist einer der ausgewählten Teilnehmer dieser klinischen Studie.
Unzählige medizinische Voruntersuchungen
Nach unzähligen Vorprüfungen und ärztlichen Untersuchungen wurde Lutz als Proband zugelassen. Alles passte. Trotz des Krebses, der in die Lunge metastasiert hat, mehrerer Chemotherapie-Zyklen und zweier Lungenoperationen ist seine Gesamtkonstitution, gemessen an der Bösartigkeit seiner Krankheit, gut. So wurde das Medikament für René Lutz mit Bestandteilen aus seinem Blut (T-Zellen) in einem beauftragten Labor in Mönchengladbach hergestellt und ruht seitdem in einem Tiefkühlschrank der Universitätsklinik Köln. Die Arznei war schon zum Greifen nah: „Ich sollte sie am 8. Juni nach Chemotherapien verabreicht bekommen“, sagt Lutz.

René Lutz vor dem Ausbruch seiner Krebserkrankung © privat
Doch der Rettungsring wurde René Lutz kurzerhand wieder entzogen. Das war Ende der letzten Woche. Ein Labor-Wert, einer von vielen von René Lutz, entsprach nicht den Vorgaben der Pharmazeutischen Firma, die die Studie in Auftrag gegeben hat. Kurzerhand warf sie Lutz nach einer Konferenz mit Vertretern des Universitätsklinikums Köln wieder aus dem Teilnehmerkreis heraus.
Der Universitätsklinik Köln sind die Hände gebunden: „Das Studienmedikament darf seitens der Uniklinik Köln nicht außerhalb der Studie zur Verfügung gestellt werden, wenn der Auftraggeber der Studie nicht zustimmt. Darauf wurde Herr Lutz im Rahmen der Einwilligung hingewiesen“, heißt es in einer Stellungnahme der Rechtsabteilung der Uniklinik, die unserer Redaktion vorliegt. Und: „Unsere Anfrage an den Sponsor, das Medikament außerhalb der Studie zu verabreichen, wurde von dem Sponsor abgelehnt.“ Für den Auftraggeber sei „die gesundheitliche Eignung des Probanden Voraussetzung für die Teilnehme an der Studie“. Eine Fortsetzung der Behandlung von René Lutz sei der Uni-Klinik vom Auftraggeber untersagt worden.

René Lutz vor dem Ausbruch seiner Krebserkrankung. Er war Vorarbeiter bei Schwan Bau. © privat
René Lutz will sein Todes-Urteil nicht akzeptieren. Er kämpft weiter. „Es geht um mein Leben“, sagt er. Er hat den Dorstener Fachanwalt für Medizinrecht Michael Schwankl beauftragt, eine einstweilige Anordnung gegen den Beschluss der Tumorkonferenz vor einem Kölner Gericht zu erwirken. Damit ihm sein Medikament doch noch gegeben wird. Er braucht es nur einmal. Dann wirkt es. Die Aussichten für René Lutz, damit zu überleben, sind seinen Informationen nach gut: „Zwischen mindestens 50 bis 85 Prozent liegt die Wahrscheinlichkeit, dass die Metastasen verschwinden oder sich zurückentwickeln und die Krankheit gestoppt wird.“
Kleinigkeit, die über Leben und Tod entscheidet
Der kritische Wert, der René Lutz vorübergehend zum Verhängnis geworden ist, hat sich kurze Zeit später wieder im Rahmen der Toleranzgrenze bewegt, die die Arzneimittelfirma für die weitere Studienteilnahme zugrunde legt. Sie kannte trotzdem kein Pardon, „obwohl die Ärzte in Köln klipp und klar gesagt haben sollen: „Der schafft das.“

René Lutz wird auf vielen Wegen von einer langjährigen Freundin der Familie, Juliane Stock, begleitet. Juliane Stock ist Heilpraktikerin und unterstützt seine schulmedizinischen Therapien begleitend. © Claudia Engel
Der ungebrochene Lebenswille des Probanden René Lutz zeigt sich auch darin, dass er trotz seiner schweren Krebserkrankung Covid 19 überlebt hat: „Corona hatte ich auch, habe ich im Krankenhaus bekommen“, sagt Lutz. Seine Genesung grenzt an ein Wunder, denn René Lutz hatte zuvor auf Anraten seiner Ärzte eine Operation beider Lungenflügel, in denen mehrere Krebsmetastasen entfernt wurden, auf sich genommen. Seit diesem extrem riskanten Eingriff, um das lebensrettende Medikament zu bekommen, wiegt René Lutz zwar nur noch 70 Kilogramm und ist auf den Rollstuhl angewiesen, aber er hat überlebt.
Mut, Lebenswille, Ausdauer sind ungebrochen
Sein Mut, sein Lebenswille, seine Ausdauer sind ungebrochen. Dieser Mann gibt nicht klein bei, auch wenn ihm jetzt nach Entzug der Studienteilnahme von den behandelnden Ärzten eine palliative Sterbebegleitung nahegelegt worden ist. „Ich denke nicht daran zu sterben“, sagt er.

Der Fachanwalt für Medizinrecht, Michael Schwankl, vertritt René Lutz, damit er sein Medikament doch noch bekommt. © Archiv
Michael Schwankl, sein Rechtsanwalt, lässt im Hintergrund nichts unversucht, René Lutz zu seiner Arznei zu verhelfen. Denn rechtlich spricht aus Sicht von Schwankl nichts dagegen. „Ich sehe keine Hindernisse“, sagt Schwankl. Dass die Pharmaziefirma sagt, das Medikament gehöre ihr und sie habe die alleinigen Rechte daran, bestreitet René Lutz: „Zur Hälfte gehört mir das Medikament, es ist ja schließlich aus meinem Blut gewonnen und nur für mich gemacht.“
Michael Schwankl berät sich zurzeit mit weiteren Fachanwälten, um eine wasserdichte einstweilige Anordnung erwirken zu können. René Lutz gibt der Gedanke Kraft und Trost, dass „sein Medikament 117 Kilometer von ihm entfernt sicher in einem Kühlschrank aufbewahrt wird“. „Ich betrachte den Kampf um dieses Mittel als meine persönliche Herausforderung.“
Seit 20 Jahren als Lokalredakteurin in Dorsten tätig. Immer ein offenes Ohr für die Menschen in dieser Stadt, die nicht meine Geburtsstadt ist. Das ist Essen. Ehefrau, dreifache Mutter, zweifache Oma. Konfliktfähig und meinungsfreudig. Wichtige Kriterien für meine Arbeit als Lokalreporterin. Das kommt nicht immer gut an. Muss es auch nicht. Die Leser und ihre Anliegen sind mir wichtig.
