PR-Experte Marc Raschke zerlegt Parteien in Dorsten „Wert von Social Media noch nicht erkannt“

PR-Experte: Parteien haben Wert von Social Media nicht erkannt
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Gut zwei Jahre dauert es noch, bis die Menschen in Nordrhein-Westfalen wieder zur Kommunalwahl gehen. Dann entscheidet sich ebenfalls, wer in Dorsten Bürgermeister wird und wer in den Rat der Stadt einzieht. Doch zumindest eine Partei erweckt den Eindruck, bereits jetzt im Wahlkampf-Modus zu sein.

Mit Infoständen im Stadtgebiet versucht die AfD, immer mehr Menschen für sich zu gewinnen. Das scheint zu gelingen. Und das trotz eines körperlichen Angriffs eines Parteimitgliedes auf die verbale Provokation („Guten Morgen an die Faschisten“) eines Passanten.

Kritik mussten sich daraufhin die demokratischen Parteien anhören. Sie müssten ebenfalls mehr Präsenz zeigen. Zurückhaltend waren die Antworten darauf von CDU, SPD, Grüne, Linke, Die PARTEI und FDP. Tenor: Man müsse diskutieren, inwiefern dies möglich sei.

Wichtige Parteiarbeit im Internet

Parteiarbeit geschehe jedoch nicht nur auf der Straße. Mittlerweile habe Social Media - also Facebook, Instagram, X (Twitter) und YouTube - einen großen Einfluss auf die Politik. Das erklärt PR-Experte Marc Raschke.

Der studierte Politikwissenschaftler und ausgebildete Journalist hat die PR-Agentur „Blaulicht“ in Hamburg mitbegründet und zuvor einige Jahre die Unternehmenskommunikation des Klinikums Dortmund geleitet. Von mehreren Fachmagazinen ist er für seine Arbeit ausgezeichnet worden.

Welche Partei liegt bei Facebook vorne?

Wie steht es also um die Dorstener Parteien in diesem Bereich - der Social-Media-Ebene? Einen ersten Eindruck davon bietet der Blick auf die nackten Zahlen zu den Followern und „Gefällt mir“-Angaben bei Facebook (Stand 9.10. 12 Uhr).

Die „Gefällt mir“- und Followerzahlen der Facebookseiten in absteigender Reihenfolge:

  • AfD Stadtverband Dorsten: 4910 „Gefällt mir“, 4929 Follower
  • Ratsfraktion AfD Dorsten: 2625 „Gefällt mir“, 2654 Follower
  • Die Linke Dorsten: 2105 „Gefällt mir“, 2091 Follower
  • SPD Dorsten: 695 „Gefällt mir“, 718 Follower
  • Die PARTEI Dorsten: 692 „Gefällt mir“, 739 Follower
  • CDU Dorsten: 618 „Gefällt mir“, 632 Follower
  • FDP Dorsten: 555 „Gefällt mir“, 572 Follower
  • Bündnis 90/Die Grünen Dorsten: 203 „Gefällt mir“, 237 Follower

Hinzu kommen Facebookseiten einiger Ortsvereine, beispielsweise von SPD und CDU. Auch Jugendorganisationen der Dorstener Parteien sind bei Facebook vertreten. Darunter die Jusos (571 „Gefällt mir“, 578 Follower) der SPD, die Junge Union (565 „Gefällt mir“, 584 Follower) der CDU sowie die Linksjugend Vest (524 „Gefällt mir“, 542 Follower).

Mit Blick auf diese Zahlen fällt auf, dass die demokratischen Parteien der AfD vor allem bei der Facebook-Präsenz deutlich hinterherhinken. Unklar ist, ob hinzugekaufte Follower und „Gefällt mir“-Angaben die Werte verfälschen. Marc Raschke fasst zusammen: „Das Gros der Parteien hat den Wert von Social Media (noch) nicht erkannt.“

Inhaltliche Analyse der Facebook-Seiten

Auf Nachfrage dieser Redaktion hat sich Marc Raschke die Facebook-Seiten der Dorstener Parteien angeschaut und als Außenstehender inhaltlich bewertet.

Als einen „erweiterten Veranstaltungskalender“, bzw. ein „hat stattgefunden“-Forum beschreibt er den Facebook-Auftritt der CDU Dorsten. Der letzte Beitrag auf der Seite stammt vom im 11. Oktober. Er beinhaltet Solidaritätsbekundungen mit Israel nach dem Angriff der Hamas.

Der vorherige Beitrag ist datiert auf den 18. August - eine Pressemitteilung zum Konverter-Standort in Altendorf-Ulfkotte. Zuvor ist am 17. April ein Betrag zum CDU-Frühlingsempfang verfasst worden.

Marc Raschke führt aus: „Social-Media-Agenda-Setting sieht anders aus. Die Bilder/Fotos sind lahm, die Botschaften gähnend langweilig. Ich würde mal behaupten: Facebook nicht verstanden.“

Strategischer „Murks“

Dass die Dorstener CDU den Schwerpunkt darauf lege, die AfD in den politischen Gremien „zu stellen“, bezeichnet er strategisch und taktisch „als absoluten Murks“. Das sei viel zu verkopft, viel zu rational. Raschke weiter: „Das ist so, als wollten Sie mit einer Taube Schach spielen - am Ende wirft die Taube einfach alle Figuren um und kackt Ihnen aufs Schachbrett.“

Bei der SPD und der Linken bemängelt der PR-Experte fehlende Inhalte mit lokalem Bezug. Zur SPD sagt Raschke: „Vieles wird einfach von der NRW- oder Bundes-SPD geteilt.“

Die Grünen und die FDP kommen in seiner Analyse etwas besser davon. Bei den Grünen, so Raschke, „finden sich mal ein paar mehr lokalpolitisch-inhaltliche Postings. Aber eher als Terminankündigungen und Nachberichte.“

„Viele unsägliche Terminankündigungen“

„Die FDP ist da etwas ‚Dorsten-näher‘ in ihrem Content“, urteilt Raschke. Doch auch dort fänden sich „viele unsägliche Terminankündigungen bzw. „Tag des...“ (z.B. Tag des Bieres). Das habe man in den Anfängen der sozialen Kanäle noch gemacht, bzw. „wurde dies in Social-Media-Seminaren immer empfohlen, wenn man zu wenig eigenen Content hat“.

Der Satire-Partei Die PARTEI spricht er „einen gewissen Heimvorteil“ im Internet zu, „weil viele Anhängerinnen und Anhänger über das Netz erreicht werden. Entsprechend amüsant sind ihre Memes, bei denen die Dorstener natürlich auf die der ‚Mutterpartei‘ zugreifen können.“ Doch auch auf deren Seite fände sich wenig bis gar kein Bezug zu Dorsten.

Deutlich stärker agiere die AfD auf Social Media, sagt Marc Raschke. „Die AfD in Dorsten nutzt Facebook ‚optimal‘, wenn man das so sagen darf.“ Verbreitet würden verkürzte, verzerrte und emotional aufgeladene Themen. Diese Strategie nutzt die Partei nicht nur bei Facebook, sondern unter anderem auch bei Kleinen Anfragen im Landtag.

Der AfD Stadtverband Dorsten erreicht von allen Parteien am meisten Facebook-Nutzer.
Der AfD Stadtverband Dorsten erreicht von allen Parteien am meisten Facebook-Nutzer. © Julian Preuß

Hinzu kämen „perfide gut gemachte Schaubilder“. Raschke weiter: „Sie verstehen es, dass man über diesen Kanal Agenda-Setting machen kann. Das sind dann nicht immer die klassisch Dorstener Themen, aber wie schon gesagt: das ist der ‚Taube auf dem Schachbrett‘ egal.“

„Direkter Kontakt“ ist wichtigster Faktor

Der PR-Experte kommt daher zu einem eindeutigen Ergebnis: „Das Organisieren und Steuern von Emotionen gelingt - mit Ausnahme der AfD - keiner Partei wirklich. Das ist schade, weil damit wichtige Impulse an die Bevölkerung nicht gelingen.“ Allerdings, führt Raschke weiter aus, sollte man den Einfluss von sozialen Medien gerade auf Lokal-Ebene nicht überbewerten. Den „direkten Kontakt“ mit den Menschen vor Ort sieht er immer noch als den wichtigsten Faktor an. „Aber“, schließt er, „ohne Social Media geht heute nichts mehr.“

Marc Raschke hat Politikwissenschaften, Neuere und Neuste Geschichte sowie Angewandte Kulturwissenschaften mit den Schwerpunkten BWL, VWL und Personalmanagement an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster studiert. Nach dem Studium absolvierte er ein Volontariat. Der ausgebildete Journalist ist danach in die PR gegangen. Das Fachmagazin „Pressesprecher“ bezeichnete ihn als „einen der kreativsten Kommunikatoren in Deutschland“. Im Magazin „W&V“ kam er auf die Shortlist der 100 wichtigsten Köpfe der PR. und Marketingbranche. Im PR-Magazin schaffte er es unter die Nominierten zu „Kommunikator*in des Jahres 2020“. Außerdem wurde er 2021 von den Verbänden BdKom, DPRG und GPRA sowie dem PR-Rat zum „Forschungssprecher des Jahres“ gekürt. Ein Jahr später (2022) wurde er zum „Manager des Jahres“ im Bereich Interner Kommunikation ernannt.

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