Rund zwei Monate sind vergangen, nachdem ein Mann aus Marl in Dorsten auf seine Lebensgefährtin eingestochen hatte. In Barkenberg hatte der 43-Jährige die Frau schwer verletzt. Noch vor Ort ist er von der Polizei festgenommen worden. Seitdem sind nur spärlich Informationen zu Tathergang, Täter und Motiv nach außen gedrungen. Die AfD hat sich deshalb nochmal mit dem Fall beschäftigt.
Geschehen ist dies in Form einer Kleinen Anfrage im nordrhein-westfälischen Landtag. Die Parteien haben so die Möglichkeit, Informationen zu den unterschiedlichsten Themenbereichen zu erfragen. So auch zu Fällen, mit denen sich die Polizei, bzw. die Justiz beschäftigt.
AfD stellt Fragen an die Landesregierung
Markus Wagner, der für die AfD im Landtag sitzt, hat am 1. Juni fünf Fragen an die Landesregierung gestellt unter der Überschrift „Familiendrama in Dorsten - Mann sticht mit Messer auf Ehefrau ein“. Die Fragen und die Antworten sind öffentlich einsehbar auf der Internetseite des Landtages unter landtag.nrw.de.

Doch bedient die AfD damit ein ausländerfeindliches Narrativ? Auffällig sind zumindest die Formulierungen zweier Fragen.
Zunächst möchte Wagner Details zum Täter wissen. Wagner fragt unter anderem nach dem Tathergang, den Vorstrafen des Tatverdächtigen sowie Straftatbeständen. Und er fragt nach der Staatsbürgerschaft des Tatverdächtigen und seit wann der Tatverdächtige möglicherweise im Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft ist.
Täter ist vorbestraft
Die Antwort: Der Mann mit mazedonischer Staatsangehörigkeit sitzt in Untersuchungshaft wegen versuchten Mordes und ist vorbestraft wegen Straßenverkehrsdelikten und Verstoßes gegen das Waffengesetz.

Mit seiner zweiten Frage erkundigt sich Wagner danach, ob das Mehrfamilienhaus an der Talaue in Barkenberg bereits in der Vergangenheit Gegenstand polizeilicher Ermittlungen war. Konkret fragt er nach den Polizeieinsätzen, die dort im Zeitraum von 2015 bis heute stattgefunden haben.
Die Antwort: 17 Straftaten hat die Polizei seit 2015 an der betroffenen Anschrift an der Talaue in Barkenberg erfasst.
Fragen lassen Deutungen zu
Die Fragen nach Staatsbürgerschaft, Vorstrafen sowie dem Zeitraum von 2015 bis heute lassen Interpretationen zu. Spielt die AfD darauf an, dass kriminelle, möglicherweise gewalttätige Migranten im Zuge der Flüchtlingsbewegung 2015 nach Deutschland gekommen sind und so vor Ort für mehr Polizeieinsätze gesorgt haben?
Dieses Narrativ bestätigen möchte Jan Philipp Thomeczek nicht. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Institut für Politikwissenschaft der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Er forscht zu Populismus und hat sich in diesem Zuge mit der AfD beschäftigt.
Thomeczek sagt aber, dass die AfD in den Kleinen Anfragen ihre thematischen Schwerpunkte transportiere. Beispielsweise Aspekte der inneren Sicherheit (Kriminalität und Gewalt) oder ihre Anti-Migrationspolitik. Deshalb sei es „absolut typisch“, dass die AfD schnell zur Frage nach der Staatsbürgerschaft komme.
„Parteien framen ihre Anfragen“
„Die Parteien framen ihre Anfragen“, sagt er. Sie geben ihnen also einen Deutungsrahmen. Praktiziert werde das aber von allen Parteien - nicht nur von der AfD.
AfD-Politiker Wagner hat eine andere Erklärung für die Formulierung der Fragen als Populismus-Forscher Thomeczek. Auf Anfrage erklärt er, warum für ihn die Information der Staatsangehörigkeit wichtig ist: „Es besteht immer die Möglichkeit, dass sich die Merkmale von Tätern (Tätermerkmale), sei es Geschlecht, Sprachvermögen, Nationalität, Religion, oder Alter auf das Tatgeschehen auswirken. Diese können sich auf die Motivlage niederschlagen, oder aber auch den Tatablauf selbst.“
Außerdem sei die Rechts- und Innenpolitik gefragt, wenn sich „bestimmte (neuartige) Häufungen in den Täter-Opfer-Relationen“ finden. Dann müssten „präventive und/oder repressive Maßnahmen“ getroffen werden.
17 Strafverfahren seit 2015
Angesprochen auf die Frage nach den polizeilichen Ermittlungen seit 2015 im betroffenen Haus an der Talaue sagt Wagner: „17 Strafverfahren, welche die Bewohner eines einzigen Hauses betreffen, könnten zunächst einmal ein Indiz dafür sein, dass die Bewohner des Hauses (möglicherweise nur sehr vereinzelt, aber gehäuft) Schwierigkeiten mit unserem freiheitlichen Rechtsstaat haben könnten.“
Aus kriminalistischer und kriminologischer Sicht sei es interessant zu wissen, ob sich ein auffälliges Verhalten an bestimmten Orten häuft. Und vor allem, warum dies so ist.
Warum er explizit den Zeitraum seit 2015 ausgewählt hat, sagt Wagner nicht. Eine Verbindung zur Flüchtlingsbewegung in dieser Zeit zieht er nicht. Allgemein antwortet Wagner: „Der Bezug auf eine bestimmte Jahreszahl ergibt sich aus dem Wissen um die Praxis; was kann die Landesregierung im Regelfall beantworten und was nicht.“
Valide Aussagen der Landesregierung
Weiter sagt er: „Den Zeitraum für die spezifische Nachfrage nach Straftaten innerhalb einer bestimmten Örtlichkeit (hier: ein Haus) auf etwa 5 bis 10 Jahre zu begrenzen, hat bisher zu validen Aussagen der Landesregierung geführt.“
Wagner hätte zudem nach Straftaten seit Bezugsfertigkeit des Hauses gefragt. „Allerdings hätte ich dann womöglich die Antwort erhalten, dass diese Frage nicht beantwortet werden kann“, sagt er.
Grundsätzlich, so formuliert es Jan Philipp Thomeczek, sei das Stellen Kleiner Anfragen ein gern genutztes Mittel der Oppositionsparteien. „Man möchte mit den eigenen Themen ins Gespräch kommen und Aufmerksamkeit generieren“, sagt der Populismus-Forscher.
AfD hat 1235 Kleine Anfragen gestellt
Auffällig sei laut Thomeczek außerdem, dass die AfD als kleinste Landtagsfraktion (11 Sitze) nach der letzten Landtagswahl im Mai 2022 mehr als die Hälfte aller Kleinen Anfragen gestellt hat (1235 von 2112, Stand 13.7.).
Anfragen wie die zur Messerattacke an der Dorstener Talaue sind seitens der AfD keine Seltenheit. So hat die AfD im Juli 2022 eine Kleine Anfrage zu einem Axtangriff eines Dorsteners in einem Raesfelder Autohaus gestellt. Auch damals kam diese vom AfD-Landtagsabgeordneten Markus Wagner.
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