Jonas Engelmeier hält einen schweren Aktenordner im Arm. Darin hat er alle Dokumente gesammelt, die in den vergangenen Jahren angefallen sind: Kostenaufstellungen, Anwaltsschreiben, Gerichtsurteile und vieles mehr. Denn: Der 42-jährige Dorstener klagte gegen das Land Nordrhein-Westfalen.

Rückblick in den März 2020: Das Coronavirus breitete sich rasend schnell aus. Viele Menschen erkrankten an Covid-19, einer damals nahezu unbekannten Lungenkrankheit, die die Krankenhäuser Deutschlands an den Rand des Zusammenbruchs trieb. Zahlreiche Menschen starben. Ein erster Lockdown trat in Kraft.
Einschränkungen im Alltag
Durch Einschränkungen des alltäglichen Lebens sollte die Ausbreitung des Virus‘ eingedämmt und die Gesellschaft geschützt werden. Verbunden war das beispielsweise mit Kontaktbeschränkungen und Ausgangssperren. Schulen und Kitas blieben geschlossen. Konzerte, Fußballspiele und andere Großveranstaltungen fielen aus. So ging das monatelang. Für etliche Menschen aus unterschiedlichen Branchen bedeuteten diese Maßnahmen quasi ein Berufsverbot.
So auch für Jonas Engelmeier. Zu dieser Zeit war die gelernte Fachkraft für Veranstaltungstechnik selbstständig - als Ein-Mann-Unternehmen. Er habe für internationale Großveranstaltungen gearbeitet, erzählt er. Beispielsweise für den Eurovision Songcontest, die Olympischen Winterspiele oder Hauptversammlungen von DAX-Konzernen. All diese Aufträge fielen ab Frühjahr 2020 plötzlich weg.
Das Land NRW stellte finanzielle Hilfen bereit, die sogenannten Corona-Soforthilfen. Auch, so stand es bis Anfang April 2020 bei den Fragen und Antworten auf der Internetseite des Landes, um die Lebenshaltungskosten zu finanzieren.
9.000 Euro Soforthilfe
Jonas Engelmeier füllte die entsprechenden Anträge aus. Er bekam 9.000 Euro für drei Monate, wie rund 370.000 andere Solo-Selbstständige und Freiberufler auch. Das böse Erwachen folgte im Dezember 2021, als ein vom Bewilligungsbescheid abweichender Schlussbescheid des Landes in seinem Briefkasten landete.
Er sollte rund 3.200 Euro zurückzahlen, nachdem er seine Einnahmen und Ausgaben rückgemeldet hatte. Die Begründung: Er habe nur einen „Liquiditätsengpass“ erlitten. Und: Zur Deckung der Lebenshaltungskosten gewährte das Land lediglich eine Pauschale von 2.000 Euro (ca. 666 Euro pro Monat) - anders als ursprünglich verkündet. Da Jonas Engelmeier deutlich mehr als 2.000 Euro als Lebenshaltungskosten angegeben hatte, sollte er entsprechend mehr Geld an das Land zurückzahlen.
Der Familienvater klagte als Musterkläger vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen. Er bekam Recht: Aus den ursprünglichen Bewilligungsbescheiden ging nicht hervor, dass noch eine Schlussabrechnung erfolgt oder der Bescheid nur vorläufig war. So sahen das ebenfalls die Verwaltungsgerichte in Düsseldorf und Köln.
Schlussbescheide waren rechtswidrig
Auch das Oberverwaltungsgericht in Münster stellte sich im März 2023 auf die Seite der Kläger aus der Interessengemeinschaft NRW-Soforthilfe: Die Schlussbescheide der NRW-Soforthilfe 2020 von den gut 2.500 Klägern waren rechtswidrig und wurden damit aufgehoben.
Es sei „Wortklauberei“ betrieben worden, so Jonas Engelmeier, um schwammige Formulierungen zu konkretisieren. So forderte das Oberverwaltungsgericht die Landesregierung auf, beispielsweise „die echten“ und damit die vollständigen Lebenshaltungskosten in einem neuen Rückmeldeverfahren mit Frist bis Februar 2025 aufzugreifen. Demnach müsste er knapp 280 Euro anstelle der 3200 Euro zurückzahlen - ein enormer Unterschied.
Wenn das Land nicht vom Oberverwaltungsgericht abgewichen wäre, erzählt Jonas Engelmeier. Denn tatsächlich sollten in dem neuen Rückmeldeverfahren die „existenziell notwenigen Lebenshaltungskosten“ angegeben werden.
Offene Fragen bleiben
Bei dem Dorstener bleiben Fragen: Zählt die Altersvorsorge mit dazu? Die Rentenversicherung? Bei den Kosten für die Lebensmittel habe er sich an den Sätzen eines Bürgergeldempfängers orientiert. „Ich habe schließlich keine Kassenbons mehr für Lebensmittel, die ich 2020 gekauft habe.“
Der 42-Jährige wäre froh, wenn er das Thema endlich abschließen könnte. Er meint: „Wenn jetzt der Schlussbescheid kommt, zahle ich die 280 Euro.“ Sollte das Land jedoch seine Angaben erneut überprüfen wollen und beispielsweise Belege für den Kauf von Lebensmitteln fordern, würde er auf die vom Oberverwaltungsgericht abweichenden Formulierungen verweisen. „Der zum Beispiel für Lebensmitte gedachte Teil im Bürgergeld ist wohl unstrittig existenznotwendig. Dann geht es wieder um ein Grundsatzurteil.“
Bei einer Sache ist sich Jonas Engelmeier sicher: „Alleine hätte ich mich nie wehren können.“ Rund eine halbe Million Euro an Anwaltskosten fielen bisher an. Gezahlt hat diese die Interessengemeinschaft NRW-Soforthilfe mit Unterstützung ihrer Mitglieder.
Arbeit der IG geht weiter
Während Jonas Engelmeier nun auf den neuen Schlussbescheid wartet, geht die Arbeit der Interessengemeinschaft weiter, kündigt deren Vertreter Reiner Hermann gegenüber dieser Redaktion an. Denn: Nur diejenigen, die gegen das Land geklagt haben, durften an dem neuen Rückmeldeverfahren teilnehmen.
Ungerecht, wie Reiner Hermann findet. „Wir wollen eine Gleichberechtigung erreichen.“ Geht es also nach der Interessengemeinschaft, sollen die alten und noch gültigen Bescheide der Nicht-Kläger ebenfalls aufgehoben werden. Es gehe nicht darum, dass diese per se das Geld behalten dürfen. Vielmehr sollen sie ebenfalls an dem neuen und besseren Rückmeldeverfahren teilnehmen dürfen.
Dafür müssten zunächst Anträge bei den entsprechenden Bezirksregierungen gestellt werden. Sollten diese wie erwartet abgelehnt werden, würde dagegen geklagt werden.
Verfolgen wird Jonas Engelmeier dies ebenfalls. Seine Energie will der Dorstener allerdings vielmehr in seine Familie und seinen neuen Job stecken. „Ich arbeite wieder in der Veranstaltungsbranche, dieses Mal festangestellt in der IT. Ich mag die Leute“, sagt er.
Zuvor war er von Februar 2021 bis November 2024, inklusive dreijähriger Elternzeit, als Zivilist bei der Bundeswehr bzw. der Muna in Dorsten tätig. Seine Solo-Selbstständigkeit führt er mit dem Fokus auf Schulungen weiter.