Auf das Plädoyer der Staatsanwaltschaft folgt vor Gericht in der Regel ein Plädoyer der Verteidigung, das mindestens um eine milde Strafe bittet, wenn nicht sogar auf unschuldig plädiert. Dass ein Verteidiger das vom Ankläger geforderte Strafmaß als „moderat und absolut am unteren Rahmen“ bezeichnet, passiert nicht allzu oft. Rechtsanwalt Michael Schwankl sah am Mittwoch vor dem Dorstener Amtsgericht keine andere Wahl bei einem „undankbaren Mandat“ und einem Mandanten, mit dem eine Zusammenarbeit nicht möglich gewesen sei.
Widersprüche und Unwahrheiten
Auch der forensische Gutachter Dr. Frank Sandlos, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, wusste von keinem wirklich fruchtbaren Gespräch mit dem Angeklagten zu berichten. Er habe sich in Widersprüche verwickelt und es offenbar mit der Wahrheit nicht immer genau genommen, sodass sowohl Biografie als auch Krankheitsgeschichte unklar geblieben seien. Er habe bei dem Angeklagten keine krankhafte seelische Störung diagnostizieren können, allerdings ein Abhängigkeitssyndrom von diversen Suchtmitteln.
Die sollen auch eine Rolle gespielt haben bei diversen Taten des 31-jährigen Algeriers, der 2022 über Spanien und Frankreich illegal nach Deutschland gekommen ist und hier seither eine steile kriminelle Karriere hingelegt hat. Derzeit sitzt er eine einjährige Jugendstrafe ab wegen vorsätzlicher Körperverletzung, Nötigung und Widerstand. Sein Alter hat er nämlich auch schon erfolgreich „frisiert“.
Hohe Rückfallgeschwindigkeit
Seine hohe Rückfallgeschwindigkeit belegen auch die sechs Taten, wegen derer er sich jetzt vor dem Dorstener Amtsgericht verantworten musste. Das Muster war dabei immer wieder ähnlich: Nach einem Diebstahl wurde um Beute oder Festnahme gekämpft und dabei meist ein Messer gezogen. Die Diebstähle räumte der Angeklagte zum überwiegenden Teil ein, seine Erinnerung an die Benutzung von Messern stimmte nicht immer mit der Wahrnehmung von Zeugen überein.
Manchmal verwies er auch auf Erinnerungslücken, denn er war bei seinen Taten nicht immer nüchtern. Zum Beispiel, als er im Oktober 2023 in den Kindergarten St. Agatha am Westwall einstieg. Vier bis fünf Flaschen und Rauschgift habe er intus gehabt, ließ er über den Dolmetscher verlauten, in der Einrichtung habe er eine Flasche Sekt gefunden, die er ebenfalls geleert habe. Ein Laptop und ein Tablet sowie persönliche Gegenstände von Mitarbeiterinnen und Lebensmittel zählten ebenfalls zu seiner Beute. Im Aquarium verendeten 20 Fische, nachdem er Feuchttücher hineingeworfen hatte.
Noch böser hätte seine Idee enden können, Kerzen neben dicht brennbarem Material anzuzünden, was ihm das Gericht als versuchte Brandstiftung auslegte. Als er von der Polizei noch am Tatort erwischt wurde, gab er übrigens an, 17 Jahre alt zu sein.
Erst wenige Tage zuvor hatte er einen Beutezug durch die Dorstener Innenstadt unternommen, der schließlich in einer Boutique an der Essener Straße gestoppt wurde, wo er ein paar sündhaft teure Schuhe aus der Auslage stahl und sich schließlich wieder eine Rangelei mit Zeugen lieferte, die ihn festhalten wollten.
Abschiebung droht
Während weder der Gutachter noch sein Verteidiger eine langfristige stabile Perspektive für den zur Selbstverletzung neigenden Angeklagten entdecken konnten, gab er in seinem letzten Wort zu Protokoll, er bereue seine Taten sehr, und versprach zudem: „Ich mache das nie wieder.“
Das vermochte das Gericht nicht glauben und schloss sich der Forderung des Staatsanwaltes auf drei Jahre und acht Monate Freiheitsstrafe an. Die drohende Abschiebung sei mehr als gerechtfertigt: „Wer in dieses Land kommt und keine Lust hat, sich zu integrieren und an unsere Gesetze zu halten, hat kein Recht, hier zu leben“, sagte Richterin Lisa Hinkers in ihrem Schlusswort. Der Angeklagte habe mit seinem Verhalten auch vielen rechtschaffenen Migranten und ihrem Ruf geschadet.