„Warte, warte nur ein Weilchen, bald kommt Haarmann auch zu dir. Aus den Augen macht er Sülze, aus dem Hintern macht er Speck, aus den Därmen macht er Würste und den Rest, den schmeißt er weg.“ Im Buch „Dorstener Zeitreise“ greift Stadtarchivar Martin Köcher die Strophe eines Liedes auf, das vom deutschen Serienmörder Fritz Haarmann handelt. Tauscht man den Namen Haarmann durch Wahmann könnte dieses Lied aber auch von einem Serienmörder aus Dorsten handeln – vom „Menschenfresser“ Franz Wahmann.
Wahmann lebte Ende des 17. Jahrhunderts in Dorsten. Wie Köcher in seinen Recherchen herausgefunden hat, wohnte er zuerst „Auf dem Bergkamp“, jenseits des Schölzbaches. Später zog Wahmann in die Straße, die heute „Seikenkapelle“ heißt. Nicht weit entfernt vom damaligen Siechenhaus in Dorsten, wo die Lepra- und Pestkranken untergebracht worden waren.
Bis heute hat der „Menschenfresser“ seinen Platz in Dorsten. Unvergessen bleibt er auch deswegen, weil im Amtsgericht in Dorsten das Urteil hängt, das wegen seiner Taten gegen ihn ausgesprochen wurde. Aus dem Urteil geht hervor, was Wahmann getan haben soll.
Wahmann soll laut dem Urteil – das Original wird im Stadtarchiv in Dorsten aufbewahrt – „im noch laufenden 1699sten Jahres um das Fest der heiligen drei Könige einen fremden unbekannten Mann“ getötet – und gegessen haben. Es heißt, Wahmann habe ihn nachts in seine Wohnung am Siechenhaus aufgenommen und beherbergt. Um Mitternacht soll er ihn mit einem Beil in die Brust geschlagen und den Mann getötet haben.
Daraufhin soll Wahmann Kopf, Hände und Beine vom Körper getrennt haben. Den verstümmelten Leichnam soll er gehäutet, das Fleisch zerteilt, eingesalzen, geräuchert und schließlich gegessen haben. Aus der übrigen Haut soll der Dorstener „Fett oder Schmalz“ hergestellt und auf dem Brot gegessen haben. Kopf, Hände, Füße und Gedärme habe er außerhalb des Hauses vergraben.

Ferner – so heißt es laut dem Urteil – hat Wahmann „in derselben Nacht“ der Frau des toten Mannes das gerade geborene Kind entrissen, es erwürgt und ebenfalls verspeist. Ebenso soll er auch vorher sein eigenes Kind getötet und gegessen haben. Dem Dorstener Menschenfresser wurde außerdem vorgeworfen, zwei Rinder gestohlen und geschlachtet zu haben.
Seine Bestrafung dafür? So grausam wie die Taten selbst. Wahmann soll dem Urteil nach zur Richtstätte in der Nähe des Siechenhauses geführt worden sein. Zuerst soll er mit drei glühenden Zangen in der Brust gezwickt, danach gerädert worden sein.
Das Rädern gehörte zu den grausamsten Bestrafungen im Mittelalter und der Frühen Neuzeit. Üblich wurden Verurteilte auf dem Boden festgebunden, ehe der Schafrichter mit einem Rad auf ihn einschlug und ihm so die Knochen brach. Anschließend konnten die danach Getöteten ans Rad gebunden und zur Schau gestellt werden.
Ähnliches Schicksal muss auch den Dorstener Franz Wahmann ereilt haben. Drei Stöße soll er laut Urteil mit dem Rad erhalten haben, ehe er mit einem Strick zum Tode hingerichtet wurde. „Das Rad auch endlich sei in die Höhe zu stellen, mit dreien anhangenden Kluppelen zu versehen und – andern dergleichen grausamen Mördern und Viehdieben zum Exempel – auf der Richtstätte stehen zu lassen.“ Kluppelen waren Schandzeichen bei Strafe für Mord.
Dunkles Haar und dunkler Bart
Stadtarchivar Martin Köcher hat lange und viel zur Geschichte von Franz Wahmann geforscht. In mehreren Quellen, die er Köcher zusammengetragen hat, ist von einem Porträt des „Menschenfressers“ die Rede. Im heutigen „Alten Rathaus“ auf dem Markplatz hing das Bild bis 1945. Im Mai 1904 übergab die Stadtverordnetenversammlung das Bild dem Verein für Orts- und Heimatkunde, der sein Museum im „Alten Rathaus“ hatte.
Eine Kurzbeschreibung des Bildes erschien 1912 in „Gladbecker Blätter“. Besuchern war das Bild und seine Geschichte aufgefallen. Darin heißt es: „Wenn man das Museum des Vereins für Orts- und Heimatkunde zu Dorsten besucht, so fällt einem sofort das in Öl gemalte Brustbild eines Mannes in die Augen. Dunkles Haar und dunkler Bart umrahmen ein Gesicht mit energischen, nicht unschönen Zügen. Der bloße, starke Hals, die breite, gewölbte Brust verraten eine ungewöhnliche Kraft. Es ist das Bild des Menschenfressers Franz Wahmann, der vor den Toren der Stadt Dorsten im Jahre 1699 hingerichtet wurde, und der im Andenken der Leute noch heute fortlebt.“
Wahmanns Bild verschollen
Warum es überhaupt ein Porträt Wahmanns gab, ist dem Abt der Abtei von Werden in Essen zu verdanken. Die „scheußlichen Bluttaten“ erweckten die Aufmerksamkeit des Abtes, „so dass dieser den Wunsch hatte, den Unmenschen im Bilde festzuhalten“, heißt es in einem Beitrag von Friedrich Ernst August Krause in der „Vestischen Zeitschrift“ aus dem Jahr 1933. Das Bild befand sich viele Jahre in der Benediktiner-Abtei in Werden an der Ruhr, bis diese in eine Strafanstalt umgewandelt wurde. Erworben hatte es danach ein Dorstener Bürger.
Wo das Bild heute ist, weiß Stadtarchivar Martin Köcher nicht. Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs hing es im „Alten Rathaus“. Das wurde zwar im Gegensatz zur restlichen Innenstadt nicht von den Alliierten zerstört, weggekommen ist das Öl-Gemälde trotzdem. „Ob es einer der Alliierten mitgenommen hat, ein Dorstener bei sich verschanzt oder es zerstört worden ist, weiß ich nicht“, so Köcher. „Leider ist das Bild heute verschollen“, sagt er.
Eine Aufnahme des Bildes soll es geben, die auch irgendwann einmal in einer Zeitung erschienen sei. Finden konnte der Stadtarchivar diese eine Seite allerdings noch nicht. Aufgegeben hat Köcher die Suche aber noch nicht. Er hofft, Wahmanns Bild irgendwann zu finden.

In dem Bericht in der „Vestischen Zeitschrift“ heißt es außerdem zu Wahmann: Beinahe wäre der führende Fiscal-Advocat Dr. Johann Rive, der die Anklage vertrat, selbst Opfer des „Menschenfresser geworden. „Franz Wahmann hat bei seiner Vernehmung im Gefängnis gestanden, dass er eines Tages auf dem Grundstück des Dr. Johann Rive als Tagelöhner gearbeitet habe und bei Feierabend mit dem Herrn in die Stadt zurückgekehrt sei. Er sei mit einer Axt versehen gewesen, und als sie einen Hohlweg passierten, habe er den Gedanken gefasst, den vor ihm Schreitenden von rückwärts zu erschlagen.“
Er habe sich allerdings kurzfristig umentschieden, weil Dr. Rive wohl Verdacht geschöpft haben muss „und seinem Begleiter befohlen habe, voran zu gehen.“
Irre krank oder kranker Irrer?
Aber war Wahmann irre krank oder einfach ein kranker Irrer? Vor dem Hintergrund, dass der „Menschenfresser“ in der Nähe des Siechenhauses wohnte, kam Gerhard Strotkötter in der „Vestischen Zeitschrift“ im Jahr 1900 zu einer neuen Sicht auf den Fall: „Der unglückliche und, wenn er der Verbrechen, wegen welcher er 1699 hingerichtet wurde, wirklich schuldig war, jedenfalls geistesgestörte Wahmann war dann der erste nichtaussätzige Bewohner. Oder war auch er mit der Lepra behaftet? Dann wären seine Verbrechen und sein Geisteszustand noch erklärlicher und ein Mensch damals zum Tode geführt worden, der heute nicht als Verbrecher gebrandmarkt, sondern unter dem Mitleid seiner Mitmenschen ins Irrenhaus geschickt worden wäre.“
Wann genau Franz Wahmann gestorben ist, lässt sich nicht zurückdatieren. Aus der Zeit um 1700 sind keine Sterbebücher vorhanden, schreibt Martin Köcher in seinem Beitrag, in dem er all die Quellen über den „Menschenfresser“ zusammengefasst hat. „Wahrscheinlich ist, dass das Urteil vom 15. Dezember 1699 zeitnah vollstreckt worden ist.“
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