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Steuerberaterin sagt zur Soforthilfe: „Es ist eine Katastrophe“
Coronavirus
Keiner weiß, wann, wie, was beantragt werden muss - eine Dorstener Steuerberaterin bezeichnet das Verfahren um die Auszahlung der Soforthilfen für Selbstständige als „Katastrophe“.
Melanie Wolf, Steuerberaterin und Partnerin in der Kanzlei BPP Becker Patzelt Pollmann und Partner Dorsten, hat mit Interesse den Artikel über den ehemaligen Soloselbstständigen Jonas Engelmeier gelesen. Er hat umfassend dargelegt, wie kompliziert und undurchsichtig das Verfahren um die Auszahlung der Soforthilfen ist.

Melanie Wolf ist als Steuerberaterin in Dorsten tätig. © privat
Die Steuerberaterin sagt dazu: „Das, was im Artikel beschrieben wird, stimmt. Es trifft aber nicht ansatzweise die Situation, wie sie tatsächlich ist. Die Lage bei den Unternehmen, egal welcher Größe, ist teilweise noch viel kritischer.“
Das Problem sei, dass kaum jemand einen Überblick darüber habe, welche Hilfsprogramme es in welchen Zeiträumen und zu welchen Konditionen gibt. Die Corona-Soforthilfe NRW konnten beziehungsweise mussten alle Unternehmer selbst über ein Online-Portal beantragen.
Wegen Betrugsversuchen wurde Antragsverfahren geändert
„Da es hier sehr schnell zu Betrugsversuchen kam, wurde für das danach aufgelegte Programm ‚Überbrückungshilfe‘ der Zwang der Antragstellung durch einen Wirtschaftsprüfer, Steuerberater oder später auch Rechtsanwalt eingeführt“, erläutert die Steuerberaterin.

Ein „Opfer“ der Soforthilfeprogramme: Jonas Engelmeier. © Claudia Engel (A)
„Keiner der Fälle läuft unkompliziert durch. In jedem Fall stellen sich Einzelfragen, die auch oft vom Steuerberater nicht beantwortet werden können“, erklärt die Expertin.
Tatsächlich seien die Antragsbedingungen sehr umfangreich und vor allem würden diese „ohne eine Historie seitens des Bundeswirtschaftsministeriums regelmäßig geändert“. Das hat auch Jonas Engelmeier beanstandet.
Zahlungen werden „unnötig herausgezögert“
Was Melanie Wolf ebenfalls verwundert: „Wir werden dazu gezwungen, die Anträge zu stellen, weil unser Berufsstand dazu geeignet zu sein scheint. Dennoch traut man den Angaben nicht und zögert Zahlungen durch Rückfragen unnötig heraus.“
Am Freitag fand übrigens ein Fachgespräch zwischen Bundeswirtschaftsministerium und Steuerberatern statt. Demnach können Anträge für das Hilfsprogramm Überbrückungshilfe III ab Mitte Februar gestellt werden. Dieses Programm ist für Unternehmen gedacht, die ab dem 16. Dezember 2020 schließen mussten (Friseure, Einzelhandel usw.).
Zweieinhalb Monate ohne einen Cent Einnahmen
Ab Ende Februar 2021 erfolgen dann nach Informationen der Steuerberaterin voraussichtlich Abschlagszahlungen. Bis dahin haben die Unternehmen zweieinhalb Monate geschlossen und im schlimmsten Fall keinen Cent Einnahmen. Die Kosten laufen aber weiter. „Das ist nach meiner Auffassung ein kaum hinnehmbarer Umstand“, sagt die Steuerberaterin.
Antragsflut bei den Bezirksregierungen
- 10,5 Millionen Euro hat der Haushaltsausschuss des Landtages am 21. Januar bewilligt. Das Geld ist für Verwaltungskosten zur Umsetzung der Soforthilfe und der Überbrückungshilfe des Bundes in Nordrhein-Westfalen gedacht. Zur Umsetzung dieser Maßnahmen durch die Bezirksregierungen wurden im Rahmen des Rettungsschirms 20 Mio. Euro Verwaltungskosten in der Sitzung des Haushalts- und Finanzausschusses am 25. Juni 2020 bewilligt.
- Zwischenzeitlich sind die bisherigen Überbrückungshilfen durch eine außerordentliche Wirtschaftshilfe für den November 2020 und die Überbrückungshilfe III ab Januar 2021 ergänzt worden und führen zu weiteren Aufgabenbelastungen. Das teilt die Landesregierung in einer Vorlage für den Ausschuss mit.
- Die Personalkapazitäten der Bezirksregierungen reichen nicht aus, um die Antragsflut zu bewältigen. Für die Überbrückungshilfe ll sind 32.682 (Stand 8.1.2021) Anträge zu bearbeiten, für die Novemberhilfe sind es 51.232 (Stand: 11.1.2021) Anträge. Hinzu kommen rund 170.000 Abrechnungen. Die beantragten Mittel in Höhe von 10,5 Mio. Euro werden zum Abschluss von Verträgen mit Dienstleistern benötigt, um eine „zügige Abwicklung“ sicherzustellen.
Seit 20 Jahren als Lokalredakteurin in Dorsten tätig. Immer ein offenes Ohr für die Menschen in dieser Stadt, die nicht meine Geburtsstadt ist. Das ist Essen. Ehefrau, dreifache Mutter, zweifache Oma. Konfliktfähig und meinungsfreudig. Wichtige Kriterien für meine Arbeit als Lokalreporterin. Das kommt nicht immer gut an. Muss es auch nicht. Die Leser und ihre Anliegen sind mir wichtig.
