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Dorstener hakt die Corona-Soforthilfe ab: „Es wird dreist gelogen“
Coronavirus
Monate im Lockdown und die Folgen für einen Soloselbstständigen: Ein Dorstener fasst zusammen, warum er und so viele Freiberufler das Handtuch werfen. Die Soforthilfe sei ein Grund dafür.
Der Dorstener Jonas Engelmeier ist „aus tiefstem Herzen Demokrat“. „Ich habe nicht eine Sekunde an dem Rechtsstaat gezweifelt. Dieses Urvertrauen habe ich inzwischen wirklich verloren.“ Grund für Engelmeiers innere Abkehr von einem Teil seiner Überzeugungen: das Soforthilfeprogramm des Landes für Soloselbstständige, Freiberufler und Kleinunternehmer in Lockdown-Zeiten. Er selbst war zunächst Nutznießer.

Jonas Engelmeier ist ganz schön herumgekommen. Das ist jetzt vorbei. © privat
Dem ehemaligen Beleuchtungstechniker, der in der Veranstaltungsbranche weltweit hinter den Kulissen für aufwendige Showeffekte gesorgt hat, ging nach anfänglicher, vermeintlich unkomplizierter Beantragung der Soforthilfe in Höhe von 9.000 Euro im März 2020 nach und nach ein Licht auf und dann die Luft aus.
Jetzt fürchtet er, dass er noch draufzahlen muss, weil ursprüngliche Rahmenbedingungen für Überbrückungsgelder mehrfach abgeändert und angepasst wurden - zum Schaden der Betroffenen. Sauer stößt ihm zudem auf, dass in der Politik „offensichtlich dreist gelogen wird, um eigene Versäumnisse zu vertuschen und den Kopf aus der Schlinge zu ziehen.“
Klare Ansage zunächst zu den Konditionen
Im März lockte die NRW-Soforthilfe die wegen der Corona-Pandemie plötzlich arbeitslos gewordenen Soloselbstständigen mit einer klaren Ansage bei der Antragstellung.
Seinerzeit hieß es: „Soloselbstständige im Haupterwerb beziehen ihren Lebensunterhalt aus ihrer selbstständigen Tätigkeit und müssen daher auch ihr eigenes Gehalt erwirtschaften, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Sofern der Finanzierungsengpass beim Soloselbstständigen im Haupterwerb dazu führt, dass er sein regelmäßiges Gehalt nicht mehr erwirtschaften kann, dient die Soforthilfe auch dazu, das eigene Gehalt und somit den Lebensunterhalt zu finanzieren.“ (Quelle: FAQ der NRW-Soforthilfe)

Jonas Engelmeier war weltweit als Beleuchtungstechniker bei namhaften Veranstaltungen dabei. Seine Mission ist nun "impossible" (unmöglich). © privat
Nach jetzigem Stand sieht es so aus, dass er auf den Kosten für den Steuerberater sitzenbleibt. Denn die mehrfach überarbeitete und nachträglich geänderte Überbrückungshilfe erlaubt plötzlich nicht mehr, dass daraus Lebensunterhalt, Umsatzausfall oder etwa Kosten für den Steuerberater kompensiert werden.
Erfahrungen werden in Fachkreisen geteilt
Aus Fachkreisen der Dorstener Finanzwelt heißt es, dass grundsätzlich der Aussage von Jonas Engelmeier zugestimmt werden könne. Ein Experte sagt auf Anfrage: „Auch wir haben die Erfahrung gemacht, dass vor allem Solo-Selbstständige die Soforthilfe in voller Höhe zurückzahlen müssen, da mangels nennenswerter Fixkosten kein Liquiditätsengpass in den entsprechenden Monaten vorliegt.“
Durch die Beratung einer Steuerkanzlei hinsichtlich der Anträge und des Rückmeldeverfahrens könnten Beratungskosten entstanden sein, die nicht erstattungsfähig sind, heißt es außerdem.
5.000 Betroffene haben in eine Kampfkasse eingezahlt
Wie Jonas Engelmeier haben 5.000 Betroffene in NRW die Nase gestrichen voll vom Hin und Her zu ihren Ungunsten. Sie haben, je nach finanziellen Möglichkeiten, Spenden in eine „Kampfkasse“ eingezahlt und eine Düsseldorfer Fachanwaltskanzlei auf die Problematik angesetzt, damit diese Juristen die Schwächen der Gesetzgebung aufdecken und den Soloselbstständigen zu ihrem Recht verhelfen. „Das wird richtig teuer und kann ewig dauern“, weiß Engelmeier.
Die Interessengemeinschaft NRW-Soforthilfe fasst den Frust zusammen, der auf eine Klage gegen das Land hinauslaufen könnte: „Wir haben den Aussagen von Politikern, den Bedingungen des Landes NRW geglaubt und die Soforthilfe beantragt, bewilligt bekommen und erhalten. Nun stehen wir vor dem Chaos aus im Nachhinein veränderten Bedingungen, nachträglichen Behauptungen und einem sogenannten Rückmeldeverfahren, das so nie vereinbart war.“ Mehrfach demonstriert haben einige der Kläger bereits von dem Düsseldorfer Landtag. Ohne Erfolg.
Viele Soloselbstständige haben schon das Handtuch geworfen
Viele Soloselbstständige haben wegen der unstimmigen Rahmenbedingungen resigniert und das Handtuch geworfen. Einige Dorstener Kleinunternehmer sind Dauerkunden im Jobcenter geworden, wie Jobcenter-Sprecher Thomas König bestätigt: „Wir haben 45 Fälle, die Grundsicherung bekommen. 70 haben in den letzten Monaten Kontakt zu uns aufgenommen.“
Zwei Soloselbstständige erhielten ergänzend zum Kurzarbeitergeld Sozialleistungen. „19 haben ihr selbstständiges Gewerbe eingestellt, 30 haben Einnahmeneinbußen angegeben, in zwei Fällen haben Betroffene ihr Gewerbe abgemeldet“, zählt König auf. Die Zahlen decken sich nicht mit den Gesamtzahlen, weil Mehrfachnennungen möglich sind, erläutert König am Rande.
Keine Zukunft mehr als Beleuchtungstechniker
Nach elf Monaten finanzieller Durststrecke und einer eher nebulösen Zukunft als selbstständiger Beleuchtungstechniker im Veranstaltungsmanagement hat Jonas Engelmeier sich von seinen ursprünglichen Plänen für seine Berufstätigkeit verabschiedet und Konsequenzen gezogen: „Ich bin ab Februar Angestellter im Öffentlichen Dienst.“
Die Bundeswehr habe ihm eine feste Stelle angeboten, sagt der Dorstener. Jonas Engelmeier wird auf dem Muna-Gelände in Wulfen als passionierter „Jäger und Naturbursche“ das weitläufige Gelände betreuen. Die Festanstellung kommt ihm privat sehr zupass: Seine Frau erwartet im Februar das erste Kind. „Wir freuen uns auf unser Corona-Baby.“
Seit 20 Jahren als Lokalredakteurin in Dorsten tätig. Immer ein offenes Ohr für die Menschen in dieser Stadt, die nicht meine Geburtsstadt ist. Das ist Essen. Ehefrau, dreifache Mutter, zweifache Oma. Konfliktfähig und meinungsfreudig. Wichtige Kriterien für meine Arbeit als Lokalreporterin. Das kommt nicht immer gut an. Muss es auch nicht. Die Leser und ihre Anliegen sind mir wichtig.
