Begleiteter Suizid am Krankenbett „Der Wunsch zu sterben, hat ihn nicht mehr losgelassen“

Begleiteter Suizid: „Der Wunsch zu sterben hat ihn nicht losgelassen“
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Diese Zeugenvernehmung war traurig. Im Prozess um eine umstrittene Sterbehilfe in Dorsten hat die Mutter des Verstorbenen den Richtern tiefe Einblicke in das Seelenleben ihres Sohnes gewährt. Dabei ging es um verzweifelte Hilferufe, Angst und absolute Hoffnungslosigkeit. „Der Wunsch zu sterben, hat ihn nie wieder losgelassen“, sagte die Dorstenerin den Richtern des Essener Schwurgerichts.

Der 42-Jährige hat offenbar schon seit vielen Jahren unter paranoider Schizophrenie gelitten. Wann die Krankheit genau ausgebrochen ist, ist unklar. Es gab Anzeichen: Probleme im Job. Geringere Belastbarkeit. Bruch der Beziehung. „Ich habe das am Anfang als Liebeskummer gedeutet“, so die Mutter. Doch das war eine Fehleinschätzung.

„Mama, ich kann nicht mehr“

Der 42-Jährige war schließlich mithilfe des Dattelner Arztes aus dem Leben geschieden. Das war Ende August 2020. Doch der Fall ist umstritten. Seit Mitte Dezember steht Deutschlands bekanntester Sterbearzt in Essen vor Gericht. Die Anklage lautet auf Totschlag. Die alles entscheidende Frage: War der 42-jährige Dorstener psychisch überhaupt in der Lage, selbstbestimmt über die lebensbeendende Maßnahme zu entscheiden? Der angeklagte Arzt hat daran keinen Zweifel.

Auch für die Mutter war die Situation extrem belastend. „Ich stand dem Ganzen aber offen gegenüber“, sagte sie den Richtern. „Mein Sohn sagte immer: Mama, ich kann nicht mehr. Ich will nicht mehr. Ich halte dieses Leben nicht mehr aus.“

In Ausweglosigkeit gefangen

Mehrfach hat der 42-Jährige versucht, sich selbst das Leben zu nehmen – unter anderem durch einen Stich in den Hals und durch eine Überdosis Tabletten. „Seine größte Angst war immer, dass andere Leute irgendwann über ihn bestimmen“, so seine Mutter. Alle Versuche, ihm zu helfen, seien fehlgeschlagen. Mehrfach war der 42-Jährige in der Psychiatrie.

„Er kam aus der Ausweglosigkeit nicht mehr heraus“, sagte eine Psychiaterin, die den Dorstener in der Universitätsklinik in Münster behandelt hat. „Ich habe ihn als psychisch sehr krank in Erinnerung.“

Sehkraft stark beeinträchtigt

Zur paranoiden Schizophrenie waren damals offenbar auch große Schuldgefühle hinzugekommen. Der Dorstener hatte sich durch eine eigenständige Kortison-Behandlung auf beiden Augen einen schweren grauen Star zugefügt, der seine Sehfähigkeit massiv beeinträchtigt haben soll.

Auch sein ehemaliger Dorstener Hausarzt hat am Donnerstag (21.12.) davon berichtet, dass der 42-Jährige ihm gegenüber von einem begleiteten Suizid gesprochen hat. „Ich habe das jedoch strikt abgelehnt.“ Entscheidende Bedeutung wird im Prozess dem Gutachten eines von der Staatsanwaltschaft beauftragten Psychiaters zukommen. Urteil wohl im Januar.

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