Wer sich einen Tag vor Heiligabend im Jahr 1983 fünf Minuten verspätete, der verpasste dieses historische Ereignis: Bergwerksdirektor Werner Liersch hielt seine Rede kurz. „Die Fanfare ist verklungen, der Betrieb steht still“, sagte er. Wenige Augenblicke vorher war symbolisch die letzte Kohle zutage getragen worden.
Mit einem „Glückauf“ beendete er das prägende Kapitel Bergbau in der Stadt. 3300 Mitarbeiter waren davon betroffen, 2200 von ihnen erhielten Verlegungsangebote: 1200 wurden von der Ruhrkohle übernommen, 380 gingen zu Auguste Victoria nach Marl, 600 gingen nach Hamm auf Zeche Westfalen und 100 fanden auf Zechen des Aachener Reviers Arbeit. Für 1100 Bergleute war ihre Zeit unter Tage Geschichte, sie gingen in die Anpassung oder kamen bei Arbeitgebern außerhalb des Bergbaus unter. Die Stimmung bei der kurzen und deshalb auch unrühmlichen Abschiedsfeier war angespannt.
Der Anfang und das Ende
Der Unternehmer William Thomas Mulvany vereinte mehrere Grubenfelder in Castrop im Jahr 1858 und gab ihnen in Erinnerung an seine irische Heimat den Namen der Göttin Erin. Bereits ab 1867 wurde unter Tage auf Zeche Erin Kohle abgebaut – unter erschwerten Bedingungen, längst nicht so professionell, wie es später mit großen Maschinen der Fall war. Die Zahl der toten Kumpel war insbesondere in den Anfangsjahren hoch, Schlagwetterexplosionen und Wassereinbrüche waren an der Tagesordnung.
Nach einer zeitweisen Stilllegung, weil die Preußische Bergwerks- und Hütten-AG Konkurs angemeldet hatte, entwickelte sich Erin immer mehr zu einem leistungsstarken Kohleabbau-Standort. 1933 konnten erstmals mehr als eine Million Tonnen Kohle im Jahr abgebaut werden. Im Jahr 1973 erreichte die Zeche ihren Spitzenwert von 1.480.855 Millionen Tonnen Kohle im Jahr.

Doch im Jahr 1982 befand sich der Kohle-Bergbau in der Krise: Neue Energieträger sorgten für geringere Nachfrage, der billigere Kohle-Import aus Ländern wie den USA verschärfte die Situation zunehmend. Der Eschweiler Bergwerks-Verein (EBV), der Erin mittlerweile gekauft hatte, beschloss vor diesem Hintergrund aus dem Kohle-Bergbau auszusteigen. Viele weitere Bergbau-Unternehmen zogen nach, doch erst im Jahr 2018 wurde die Kohle-Förderung in Deutschland endgültig eingestellt: Das Bergwerk Prosper-Haniel in Bottrop wurde geschlossen.

Das sagt Bürgermeister Rajko Kravanja
Der Hammerkopfturm und der Erin-Turm erinnern heute an diese Zeit, ohne die es Castrop-Rauxel in dieser Form wohl nie gegeben hätte. „Unsere Bevölkerungszahl von 75.000 Einwohnern haben wir, wie das gesamte Ruhrgebiet, durch den Bergbau erreicht. 1874 gab es in Castrop-Rauxel gerade mal ca. 2500 Einwohner. In der Spitze waren es 1962 ca. 86.000 Einwohner, darunter damals ca. 25 Prozent Flüchtlinge und Vertriebene“, schrieb Bürgermeister Rajko Kravanja (SPD) im Jahr 2023 als Beitrag zum 40. Jahrestag der Schließung.
Und er fährt fort: „Geblieben ist uns viel mehr als einige Denkmäler der Industrie- und Bergbaugeschichte im Stadtgebiet. Jeder, der hier aufgewachsen ist, hat die Kohle in der DNA. Der Bergbau zieht sich durch unser aller Leben – egal ob wir direkt, indirekt oder auf den ersten Blick auch gar nicht mit ihm zu tun haben. Der Bergbau, sein Lebensgefühl und die dort gelebten Werte umgeben und prägen uns alle. Viele finden sich im täglichen Lebensalltag wieder – egal ob bei der Arbeit, am Küchentisch oder auf dem Fußballplatz. Zusammenhalt ist ein Gefühl der Verlässlichkeit und des füreinander Daseins – unabhängig von Herkunft und sozialem Hintergrund. Dies wurde unter Tage genauso gelebt, wie es heute immer noch in unserer Stadt gelebt wird. Die Kumpel-Mentalität prägt unsere Gesellschaft, unser Selbstbild und unser Miteinander auch als Lebensmodell für die Zukunft. Dies, gemeinsam mit dem einfachen Pragmatismus, der direkten, klaren Sprache und der zupackenden Art, die dem Ruhrgebiet durch die Bergbautradition eigen ist, macht Castrop-Rauxel zu einem liebens- und lebenswerten Fleckchen Erde und einer Heimat. Glück Auf!“
Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien erstmals am 23. Dezember 2023. Aufgrund des 41. Jahrestages haben wir ihn neu veröffentlicht und die Daten angepasst.

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