Vielen vergangenen Wohntrends kann ich mit leichtem Wehmut gedenken und in der Rückschau latent wohlwollend begegnen. Ein über lange Jahre ehernes Urstück deutscher Wohnzimmer-Gemütlichkeit aber werde ich niemals vermissen, denn seine völlige Scheußlichkeit hat sich mir in alle Poren meines Geschmacks als unbedingtes und unverhandelbares No Go eingebrannt: der Fliesen- oder Kacheltisch.
Natürlich hatten meine Eltern mehrere Exemplare dieser wohntechnischen Erbsünde in ihrem Wohnzimmer platziert, schließlich hatte den Tisch über Jahrzehnte hinweg quasi jede bundesdeutsche Familie zwischen Flensburg und Garmisch zwischen dem Dreisitzer-Sofa und den Sesseln stehen. Das war so etwas wie Gesetz in Deutschland, ehe ein schwedisches Möbelhaus mit dem Kiefertisch Sven (oder Björn oder Erik?) für eine Wohnzimmer-Revolution sorgte.
Bis dahin war der Kacheltisch als legitimer Nachfahre des Nierentisches der 1950er-Jahre der Prototyp, die Urform des typisch deutschen Couchtisches. Er war ja auch so herrlich unverwüstlich in seiner Monstrosität. Im Gelsenkirchener Barock der bundesrepublikanischen Standard-Wohnzimmer führte daher kein Weg an ihm vorbei.
Die zwangsweise in beige-braun gehaltenen Fliesen saßen dabei ebenso zwangsweise in einem eichernen Holzbett, gern um der günstigeren Preisgestaltung willen natürlich lediglich in einer holzähnlich beschichteten oder (seltener) mit Echtholz-Furnier verkleideten Spanplatten-Version. So überdauerten die Kachel-Anmutungen Jahre und Jahrzehnte unter dem Gewicht von Bierflaschen, Fernsehzeitungen und Fernbedienungen, Chips-Schälchen und Cognac-Schwenkern.
Man schlug sich die Schienbeine grün und blau an den wuchtigen Möbeln, die da scheinbar unverrückbar die deutsche Familienwelt beherrschten, während man in trauter Runde Peter Alexander und Peter Frankenfeld in der Röhre verfolgte, später abgelöst von Rudi Carell und Hans Rosenthal, noch später dann von Marijke Amado und Thomas Gottschalk, mit dem die große Show-Ära dann endete.
Und zum Glück endete dann irgendwann um die Jahrtausendwende auch die Ära der Fliesentische. Auch wenn tatsächlich einige Exemplare die Trendwende überlebt zu haben scheinen und in ihrer wuchtigen Klotzigkeit sowohl dem luftigen skandinavischen wie dem Eleganz-Trend trotzen. So hoffe ich wenigstens inständig. Zum Retro-Trend wird es für diese Absonderlichkeit hoffentlich niemals reichen.
In den „Wohn(t)räumen“ befasst sich Thomas Schroeter regelmäßig auf sehr persönliche Art mit dem Wohnen. Da kann es um neue Trends gehen, um Wohnphilosophien, um Bauärger oder Küchendeko. Einfach um alles, was das Wohnen im Alltag ausmacht.
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