Wie Thomas Mulvany, ein Trendsetter des 19. Jahrhunderts, Castrop-Rauxel prägte

Abschied vom Bergbau

Viele Spuren in Castrop-Rauxel weisen noch heute auf den Mann hin, der vor 200 Jahren aus Irland hierherzog und als Mitbegründer den Bergbau im Ruhrgebiet vorantrieb: Wer war dieser Mulvany?

Castrop-Rauxel

, 24.11.2018, 11:50 Uhr / Lesedauer: 5 min
Die Zeitschrift „Stahl und Eisen“ aus dem Jahr 1885 zeigt dieses Bildnis von Thomas Mulvany, der zeitweise im Haus Goldschmieding wohnte und gegenüber auf die Rennbahn aufbaute.

Die Zeitschrift „Stahl und Eisen“ aus dem Jahr 1885 zeigt dieses Bildnis von Thomas Mulvany, der zeitweise im Haus Goldschmieding wohnte und gegenüber auf die Rennbahn aufbaute. © Bildarchiv Herne

William Thomas Mulvany ist ein Mythos. Er ist jemand, der maßgeblich für die Verbreitung und den Aufbau des Bergbaus im Ruhrgebiet verantwortlich war. Und er war Ire. Ein Ire, den es in den „Pott“ verschlug, um dort das Glück im schwarzen Gold zu finden. Das war zu einer Zeit, in der die Region von der Kohleförderung lebte und dadurch erblühte, in der das Ruhrgebiet zu einem der industriellen Ballungsgebiete Europas wurde. Lange her. Doch wer war er, der Mann von der Grünen Insel, und was sind seine Hinterlassenschaften? Was hat Castrop-Rauxel heute noch für Erinnerungen an ihn? Oder ist der irische Bauingenieur, der seinen Fußabdruck im Ruhrgebiet hinterlassen hat, bereits vergessen?

Das Fördergerüst der Zeche Erin ragt stolz aus dem Landschaftspark Erin in Castrop-Rauxel heraus. Doch eigentlich steht der Name für etwas ganz anderes. „Einmal bin ich mit einer Gruppe der deutsch-irischen Wirtschaftsvereinigung und dem irischen Botschafter hierher gekommen“, erzählt Olaf Schmidt-Rutsch, Historiker des LWL-Industriemuseums Zeche Zollern. Die Gruppe habe beeindruckt vor dem Turm gestanden, der Name Erin, den hier viele mit dem Bergbau verbinden, löste bei ihnen Heimatgefühle aus. Denn ursprünglich bedeutet er „Irland“.

Der Erinpark wurde nach irischem Landschaftsvorbild gestaltet.

Der Erinpark wurde nach irischem Landschaftsvorbild gestaltet. © Jens Lukas

Die Fördergerüste sind an sich zu jung, um noch mit dem Mann im Zusammenhang zu stehen, der der Zeche ihren Namen gab. Erst Anfang der 1950er-Jahre wurden sie aufgestellt. Die Geschichte der Zeche Erin reicht hingegen zurück bis 1860. Dies war das Gründungsjahr der Zeche. 1966 wurde sie ausgebaut. Dies alles geschah, als sich das Direktionsprinzip in Deutschland, also die Vorherrschaft des Staates über den Bergbau, langsam auflöste. „Der Staat hat den gesamten Bergbau bestimmt. Wie viel gefördert wird, Anstellungen, Kohlepreise. In England war das anders“, erzählt Olaf Schmidt-Rutsch. „Doch als dieses Prinzip aufweichte, stieg Mulvany in diese Lücke ein, warb Leute aus Nordengland an, die dort Bergwerke bauten, und die Zeche Hibernia entstand.“ Zu der Zeit befand sich das Ruhrgebiet in der Take-off-Phase, und Mulvany erbaute drei Zechen: Hibernia 1855, Shamrock 1856 und Erin. Doch wer war er eigentlich, bevor sich der Ire in den Pott verirrte?

„William Thomas Mulvany wurde am 11. März 1806 in Sandymount bei Dublin geboren. Der Sohn eines Künstlers muss aufgrund von Geldproblemen sein Medizinstudium frühzeitig abbrechen und wird Bauingenieur, wo er Karriere macht“, erzählt Olaf Schmidt-Rutsch. Zwischen 1845 und 1852 herrschte dann aufgrund von Kartoffelfäule eine große Hungersnot in Irland, die eine Millionen Iren dahinrafft und zwei Millionen der insgesamt sechs Millionen Iren zum Auswandern zwingt.

Notstandsarbeiten in der Hungerkatastrophe

„Während der Hungerkatastrophe wurden dann Notstandsarbeiten eingeleitet, die hauptsächlich der Einführung einer bisher schwachen Industrialisierung dienen sollten.“ Dazu gehörten vor allem die Infrastruktur, Eisenbahnen und Wasserstraßen. Mulvany hatte sich bis dahin bereits als Experte für Entwässerung bewiesen. „Irland erinnert an eine Suppenschüssel: In der Mitte ist es feucht, und das Wasser kann an den Rändern nicht ablaufen.“ Die Maßnahme: Gräben buddeln. „In diesen Jahren wurden viele Projekte angestoßen. Mulvany war hier maßgeblich beteiligt und hat in London die Gesetzgebung mit beeinflusst. Doch was er vergessen hatte, war, dass die Leute, die etwas zu sagen hatten, die Grundeigentümer des Lands waren.“ Nach der Krise stellte sich dann die Frage, wer denn nun die Arbeiten bezahlen müsse. Mulvany fehlte der Rückhalt, die Kosten wurden zusammengestrichen und er wurde in Ruhestand gesetzt.

Die Thomasstraße entlang der Bahnlinie in Castrop erinnert an William Thomas Mulvany, den Gründer der Zeche Erin.

Die Thomasstraße entlang der Bahnlinie in Castrop erinnert an William Thomas Mulvany, den Gründer der Zeche Erin. © Tobias Weckenbrock

„Und dann tauchte er hier auf“, sagt Olaf Schmidt-Rutsch. Der Ire und seine Frau lebten zunächst im intellektuellen Düsseldorf, bis sie später über die Sommermonate ins Haus Goldschmieding zogen. Auch heute finden sich hier noch die Spuren der Familie. „In die Eichenholztür findet man ein ganz deutliches Statement: Auf einer Seite das westfälische Pferd und auf der anderen Seite die irische Harfe.“ Die Tür wurde von Mulvanys Sohn angebracht, der später auch englischer Generalkonsul in Düsseldorf wurde.

Von Mulvanys Frau und einer seiner Töchter gibt es heute noch Bücher mit Tagebucheinträgen und Gedichten, auch ein Buch mit Briefen seines Vaters an William Thomas Mulvany existiert noch. Die meisten persönlichen Dokumente verbrannten jedoch während des Zweiten Weltkriegs im Kölner Wirtschaftsarchiv. Eine seiner Töchter heiratete früh einen Mann der Familie Seebohm, der später Großvater des ersten Verkehrsministers Hans-Christoph Seebohm in der Regierung unter Adenauer wurde. Dessen Sohn, der Philosoph Thomas Mulvany Seebohm, der 2014 in Bonn starb, hauchte dem Namen William Thomas Mulvany noch im heutigen Jahrtausend Leben ein. „Es ist schon spannend, dass ein Verkehrsingenieur viele Jahre später einen Urenkel hat, der Verkehrsminister geworden ist“, findet Olaf Schmidt-Rutsch.

Die Familie lebte in Castrop-Rauxel ein gutbürgerliches Leben. Mulvany, ein konvertierter Anglikaner, erzog seine Kinder in einer „britischen Blase“. Die englische Lebensart war damals total in, wenn man an Krupp im Reitkostüm denkt. England war das große Industrievorbild und Mulvany somit ein echten Trendsetter.

Der elitäre Sport kommt nach Castrop-Rauxel

Nach britischem Vorbild entstand eine weitere Spur in Castrop-Rauxel. „Mit der Pferderennbahn brachte Mulvany ein Stück Heimat nach Castrop-Rauxel, aber auch Spaß und ein großbürgerliches Hobby.“ Hindernisrennen seien typisch britisch gewesen, und Mulvany hatte auf dem Gelände genug Platz, um die Pferderennbahn einzurichten. Bis in die 1950er blieb dieser elitäre Sport in Castrop-Rauxel eine Tradition zur Volksbelustigung.

So sah Erin um 1890 aus. Zu diesem Zeitpunkt hatten auf dem Pütt bereits mehrere Schlagwetterexplosionen Todesopfer gefordert und die Anlage war mehrere Male abgesoffen. Ihr Gründer, William Thomas Mulvany, gab die Zeche deswegen auf. Friedrich Grillo nahm den Betrieb 1883 wieder auf.

So sah Erin um 1890 aus. Zu diesem Zeitpunkt hatten auf dem Pütt bereits mehrere Schlagwetterexplosionen Todesopfer gefordert und die Anlage war mehrere Male abgesoffen. Ihr Gründer, William Thomas Mulvany, gab die Zeche deswegen auf. Friedrich Grillo nahm den Betrieb 1883 wieder auf. © Foto: Stadtarchiv Castrop-Rauxel

Heute findet man nicht weit von der Rennbahn entfernt den Landschaftspark Erin, dem die irische Landschaft als Inspiration diente und ein Alleinstellungsmerkmal der Stadt ist. Gründungsdokumente des Parks von 1991 erläutern, dass eine „Typisch irische Landschaftssituation auf das Gelände übertragen“ werden soll. Steine, Kies, Gras und wenige Sträucher sollen zusammen mit linear verlaufenden Steinmauern die Kulisse unterstreichen. Viel Efeu, steinerne Akzente und bunt gestrichene Farben sollen an das an Bäumen karge Irland erinnern.

An aktivem britischen Leben ist in Castrop-Rauxel heute nicht mehr viel zu finden. Es gibt kaum Familien, die noch einen irischen oder britischen Namen tragen, denn nur wenige siedelten sich wirklich in Castrop an. Auch auf den Friedhöfen sucht man vergeblich nach Mac‘s und O‘s. „Iren und Engländer, die geblieben sind, waren beispielsweise Maschinisten, sie kannten sich mit Fördermaschinen aus. Leute, die die Schächte gebaut haben, sind weitergezogen“, so LWL-Historiker Olaf Schmidt-Rutsch. Auch die Gebäude, in denen die Arbeiter lebten, wurden bald abgerissen. Häuser, deren Dächer aus geteerten Stoffabfällen bestanden, und die aufgrund ihrer Form aussahen wie Eisenbahnwaggons. „Viele Gebäude dieser Art in einer Siedlung wirkten recht trist, doch dadurch entstand der Begriff D-Zug-Siedlung.“

Die Mulvanystraße ist genauso wie die Thomasstraße dem Iren gewidmet.

Die Mulvanystraße ist genauso wie die Thomasstraße dem Iren gewidmet. © Jens Lukas

Schaut man sich in Castrop-Rauxel um, gibt es weitere Plätze, die an den Gründer von Erin erinnern. Sowohl die Thomasstraße als auch die Mulvanystraße erinnern an den Iren – er ist der einzige Mann, dem die Ehre vergönnt war, gleich zwei Straßen mit seinem Namen zu bekommen. Ein weiterer Fleck ist der Rhein-Herne-Kanal. Mulvany baute ihn zwar nicht rein technisch, doch er erkannte den großen Nutzen des Kanals, als es zu Transportengpässen kam.

Der Transportnotstand und eine gute Lösung

Während und nach dem Deutsch-französischen Krieg wurden die meisten Eisenbahnen für den Nachschub eingesetzt. Den Zechen fehlten die Transportmöglichkeiten, was zu einem Transportnotstand führte. Daraus hervor trat der „Verein zur Wahrung der Interessen rheinischer und westfälischer Unternehmen im Rheinland und Westfalen“, dessen 1. Vorsitzender Mulvany wurde. Er holte die Leute an einen Tisch, Verbraucher und Lieferanten, eben alle, die keine Transportmöglichkeiten hatten. Die Lösung war der Rhein-Herne Kanal.

Der Schacht 7 der Zeche Erin und im Vordergrund das Mulvany Center.

Der Schacht 7 der Zeche Erin und im Vordergrund das Mulvany Center. © Dietrich Hackenberg

Ein Jahrzehnt blieb Mulvany, der nur schlecht Deutsch sprach, Vorsitzender der Vereinigung. Er schrieb über 40 Gedenkschriften, die auch heute noch existieren, über Themen wie Wasserstraßen, Verkehrsgestaltung und Tarife auf Eisenbahnen. Auch er war es, der die moderne englische Technik ins Ruhrgebiet brachte, und der sie zuerst in Erin installierte. Es handelte sich um sogenannte Tübbings, senkrechte Schächte, die das Wasser besser abdämmten als Ziegelmauern. William Thomas Mulvany galt als Organisationstalent, wusste, wie man mit den Behörden umgehen musste und hatte immer seine Herkunft im Rücken: das Mutterland der Industrialisierung.

Mulvanys Hang zum Perfektionismus

Er hatte einen Hang zum Perfektionismus, was einige Brüche in seiner staatlichen und unternehmerischen Karriere provozierte. Wie die Idee, Kohle auf dem Weltmarkt zu verkaufen. „Das lag den meisten hier fern“, erklärt Schmidt-Rutsch. Kohle aus England sei in der Zeit günstiger gewesen als Kohle aus Castrop-Rauxel. Doch Mulvany verschiffte sie bis nach Buenos Aires. Das wurde natürlich als Alleinstellungsmerkmal gewürdigt, aber für die Aktionäre hat sich das nicht gelohnt. Und so wurde Mulvany schlichtweg als Repräsentant seiner beiden ersten Zechen Shamrock und Hibernia entlassen. Das führte zur Gründung von Erin.

Die irischen Ursprünge in Castrop-Rauxel kennt Olaf Schmidt-Rutsch, hier an der Büste von William Thomas Mulvany im Industriemuseum Zeche Zollern.

Die irischen Ursprünge in Castrop-Rauxel kennt Olaf Schmidt-Rutsch, hier an der Büste von William Thomas Mulvany im Industriemuseum Zeche Zollern. © Silja Fröhlich

An Erin scheiterte Mulvany letztlich auch: Zu groß war das Problem der Wasserhaltung in den Schächten. Ein Wasserbruch legte die Zeche jahrelang lahm, technische Probleme und wirtschaftliche Rahmenbedingungen, die nicht mehr stimmten, versetzten dem ganzen Unternehmen den Todesstoß. „Die Geschichte hätte sich irgendwann so abgespielt. Es war nicht von Anfang an eine verlorene Sache, aber Mulvany hat zu sehr darauf vertraut, dass die Aktionäre ihn unterstützen.“ 1882 verkaufte Mulvany seine Zechen. 1885 starb er. Er wurde in Düsseldorf begraben.