Junge in Tagesbruch gefallen

Wer trägt Verantwortung für das "Ickerner Loch"?

Ein Junge steht an einer Bushaltestelle, als sich plötzlich der Boden unter ihm auftut und ihn wortwörtlich verschluckt: Dieser spektakuläre Tagesbruch im Castrop-Rauxeler Stadtteil Ickern hat für Aufsehen gesorgt. Jetzt gibt es immer mehr Erklärungen dafür, wie das "Ickerner Loch" entstehen konnte. Und die Frage, wer die juristische Verantwortung übernehmen muss, rückt in den Vordergrund.

CASTROP-RAUXEL

, 11.12.2015 / Lesedauer: 3 min

Ein Teenager, eine Bushaltestelle, ein Loch, das wie aus dem Nichts entstand: Das waren die Zutaten für eine spektakuläre Geschichte aus Castrop-Rauxel in der vergangenen Woche. Sebastian H., der 16-jährige Protagonist dieser Geschichte, überstand den Sturz in rund zwei Meter tiefe wie durch ein Wunder mit leichten Verletzungen. Die Eltern des Jungen erwägen jetzt, wo der erste Schrecken sich gelegt hat, juristische Schritte einzuleiten. Mehr dazu weiter unten.

Verheerender Bombenangriff im September 1944

Noch bevor das Loch an der Recklinghauser Straße mit rund zehn Kubikmetern Schotter verfüllt war, begann bei den Verantwortlichen der Stadt Castrop-Rauxel die Suche nach der Ursache für den Tagesbruch. Schnell gab es Hinweise darauf, dass sich in der Tiefe ein Stollen befinden könnte, der im Zweiten Weltkrieg die Schachtanlage Victor 3/4 mit Grundstücken jenseits der Recklinghauser Straße verbunden hatte. Zeitzeugen bekräftigen diese Erklärung. Und erinnern daran, welch tragische Vergangenheit der unterirdische Stollen hat.

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Bei dem schwersten Luftangriff auf den Ortsteil Ickern wurden am 11. September 1944 46 Menschen getötet, darunter viele Frauen und Kinder. Die Anwohner Horst Trzebiatowski (77) und Franz-Josef Rewinkel (80) erinnern sich daran. Tief haben sich bei Trzebiatowski die Schilderungen seines Vaters Ceslaus ins Gedächtnis eingebrannt, der als Bergmann nicht in den Krieg musste, jedoch im Heimatschutz aktiv war. „Mein Vater hat bei der Bergung der Toten geholfen. Da waren Mütter dabei, die ihr Kind tot im Arm trugen“, gibt der heute 77-Jährige, der in den 50er-Jahren ebenfalls Bergmann wurde, die Erzählungen seines Vaters wider. Noch mehr schreckliche Details erinnert Rewinkel: „Unter den Toten waren eine Mutter von acht Kindern sowie sechs von ihnen.“

Qualvoll erstickt oder ertrunken

Der besagte Luftangriff, der vor allem der in der Nähe gelegenen Schachtanlage Victor 3/4 und den Stickstoff- und Benzinwerken (später Gewerkschaft Victor) galt, wird sowohl in der Kriegschronik der Stadt als auch in der Dokumentation von Werner Baumeister „Castrop-Rauxel im Luftkrieg 1939 bis 1945“ ausführlich beschrieben. Hauptverantwortlich für den massenhaften Tod war offenbar vor allem die Tatsache, dass sich über dem Schutzraum die Hauptgas- und Wasserleitungen befunden hatten. Dazu heißt es in der Kriegschronik wörtlich: „Hier waren eine Gas- und Wasserleitung, die über den Stollen führten, durch Volltreffer in den Stollen hinuntergedrückt worden, sodass die meisten Insassen erstickt bzw. ertrunken waren.“

Wer müsste sich vor Gericht verantworten?

Zurück in die Gegenwart: Der Sturz eines 16-Jährigen ins "Ickerner Loch" wird möglicherweise ein juristisches Nachspiel haben. Die Eltern von Sebastian H. überlegen, ob sie eine Klage anstreben. Doch gegen wen? Zudem könnte es auch um die Frage gehen, wer der Stadt Castrop-Rauxel die entstandenen Kosten erstattet.

Sollte das "Ickerner Loch" tatsächlich auf den Einsturz des oben genannten Stollen zurückgehen, muss zunächst herausgefunden werden: Wer ließ den Tunnel bauen? Und war es a) eine bergbauliche Anlage oder b) ein Luftschutzstollen?

Im Fall a) wäre der Rechtsnachfolger des Bergbauunternehmens (möglicherweise die RAG) zuständig. Lässt sich kein Rechtsnachfolger ermitteln, springt das Land ein. "Wäre der Stollen sachgemäß verfüllt und gesichert, hätte es wahrscheinlich keinen Einsturz gegeben", sagt der Jurist Heinrich Kunst von der Dortmunder Kanzlei Himmelmann Pohlmann Kunst, die sich unter anderem auf Bergschadensrecht spezialisiert hat.

Im Fall b) wäre der Bund zuständig, genauer die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben.

Die Stadt Castrop-Rauxel hat erstmal nichts zu befürchten. Es sei denn, man könne nachweisen, dass es schon vorher Anhaltspunkte gegeben hat, dass ein solches Unglück drohen könnte. Rund zwei Wochen, bevor das sich das "Ickerner Loch" auftat, hatte es an der Stelle Tiefbauarbeiten gegeben. Im Auftrag der Telekom wurden Glasfaserkabel für schnelles Internet verlegt. Diese Arbeiten haben aber laut Stadt nicht zu dem Einsturz beigetragen.

Wo es "Gefährdungspotenziale des Untergrunds" in NRW gibt - also Orte, an denen Bergschäden wahrscheinlich sind - hat die Bezirksregierung Arnsberg auf Karten festgehalten. Weitere Informationen dazu finden Sie hier.

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