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Familien in Not, Experte gibt Rat: Was tun gegen den Corona-Koller?
Coronavirus
In Familien führen die Corona-Maßnahmen zu viel Nähe. Was fehlt: Ausgleich und Rückzugsmöglichkeiten. Ein Problem, gerade angesichts der Perspektive. Das rät ein Experte aus Castrop-Rauxel Eltern.
In den Zoo gehen, sich mit Freunden treffen oder einen Film mit den Großeltern anschauen: Was vor einem Jahr noch das normalste der Welt war, ist aktuell unvorstellbar. Die Konsequenzen: Der Januar und vielleicht auch Februar 2021 wird für viele Familien die ultimative Corona-Probe. Denn auch wenn ein kompletter Lockdown noch aussteht, fällt vielen Kindern und ihren Eltern die Decke auf den Kopf.
Der Mangel an Freizeitmöglichkeiten und der begrenzte Raum, in denen sich Eltern mit ihren Kindern aufhalten, kann zum „Lager-Koller“ führen. Wutanfälle, Frustration und Spannungen sind das Ergebnis und machen die aufgeheizte Situation unerträglich.
Zuwendung und Zuhören
Olaf Maletzki, Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeut in Castrop-Rauxel, hat einen Rat für Eltern, wie sie trotz allem einen Ort der Ruhe und des Verständnisses zu Hause schaffen können. Denn den brauchen Kinder aktuell mehr als je zuvor.

Olaf Maletzki ist Psychotherapeut für Kinder und Jugendliche in Castrop-Rauxel. © Archiv
„Das Allerwichtigste, was Eltern ihren Kindern in dieser Zeit geben können, ist Zuwendung“, betont der Jugendlichen-Psychotherapeut. „Kinder werden von der Schule und der Gesellschaft sowieso schon unter Leistungsdruck gesetzt und konfrontieren sich auch gegenseitig damit“, so Maletzki.
Kinder brauchen Wärme
Die Spannungen durch die Corona-Einschränkungen kommen noch dazu. „Zuhören, aufwerten und den Kindern immer wieder etwas Gutes sagen: Ich habe dich lieb“, betont Maletzki. Zu oft hörten Kindern, sie machten etwas falsch. „Das tut Kindern nicht gut.“ Und stresse sie noch mehr.
Hier sei auch der Stichpunkt „Wärme“ wichtig: „Sich bewusst Zeit füreinander nehmen, das Fernsehen ausschalten, das Handy beiseite legen und miteinander reden“, erklärt Maletzki. Es gehe darum, sich gegenseitig bewusst zuzuhören und sich Aufmerksamkeit zu schenken. So könnten Probleme angesprochen und auch gelöst werden.
Sport und Bewegung im Freien
Ein weiterer Tipp, so Maletzki, sei, Kindern die Möglichkeit zu geben, sich selbst zu organisieren und so ihre Autonomie zu stärken. Dazu gehört unter anderem, Verantwortung zu übertragen, Eigeninitiative und Freiraum zuzulassen und sich in Momenten von Wut und Frust gegenseitig Mut zu machen.
Maletzki rät aus persönlicher Erfahrung vor allem eines: „Raus gehen und sich bewegen. Solange das noch erlaubt ist, sollte man das so oft wie möglich tun.“ Spazieren gehen, wandern, Fahrrad fahren, draußen Sport treiben – draußen lasse sich viel unternehmen.
„Wenn es nur das Gassi gehen mit dem Hund ist, nutzen Sie das“, rät Maletzki Eltern. Denn besonders das Bewegungsbedürfnis von Kindern müsse ausreichend bedient werden. Die Deutsche Sportjugend rät, dass Kinder sich täglich 90 Minuten intensiv bewegen sollten.
Mediennutzung beschränken
Wovor Maletzki warnt, ist, den Mangel an Freizeitmöglichkeiten durch einen höheren Medienkonsum zu ersetzen. „Das sehe ich sehr kritisch: Die Kinder zocken alle“, so der Psychotherapeut. „Es ist keine Seltenheit mehr, dass Kinder zwölf Stunden am Tag an der Spielekonsole hängen.“ Eltern sollten den passiven Medienkonsum so weit wie möglich beschränken. Als passiver Medienkonsum gelte alles, was einen Bildschirm habe, so Maletzki, also Fernseher, Handy, Computer und Spielekonsole.

Psychotherapeut Maletzki rät: Rausgehen, spazieren gehen oder Sport machen, solange es noch erlaubt ist. © dpa
Wichtig sei, dass sich Eltern hier ihrer Verantwortung bewusst sind. Denn Maletzki und seine Kollegen können Jugendlichen online nicht so wirkungsvoll helfen, wie es im Therapieraum möglich wäre. Daher der Aufruf an die Eltern, sich mit ihren Kindern und deren Gedanken und Sorgen auseinanderzusetzen.
Maletzki sagt, er und seine Kollegen könnten zur Zeit nur Erste Hilfe leisten, wenn es um Depressionen und Ängste geht. „Aktuell kleben meine Kollegen und ich sozusagen nur Pflaster auf schlimme Wunden. Das wird desaströs, und wir werden in den kommenden Jahren noch viel damit zu tun haben, diese Zeit aufzuarbeiten.“