Knast besteht nicht mehr aus gestreifter Kleidung und Gitterstäben. In der JVA in Castrop-Rauxel gehören Ziegen und Enten zum Alltag. Da werden auch verurteilte Straftäter richtig sensibel.
Im Knast geht es knallhart zu. Knallharte Jungs hinter knallharten Gitterstäben. Im Knast Castrop-Rauxel geht es aber auch ziemlich kuschelig zu. Zumindest in dem eigenen kleinen Knast-Zoo. Hier leben derzeit drei Ziegen, sieben Gänse, sechs Laufenten mit zehn Küken, ungefähr 30 Hühner und 25 Tauben. Außerdem sind auf dem Gelände drei Katzen unterwegs.
Alle Knast-Tiere brauchen neben Futter und einem sauberen Gehege auch ganz viel Zuwendung. Beim Betreten des Ziegen-Geheges kommen die Tiere gemächlich angelaufen - in der Hoffnung auf Futter oder auf ausgiebige Streicheleinheiten. Auch das gehört zum Leben und Arbeiten in der JVA dazu.
Ein Gnadenhof für Ziegen und Vögel in der JVA Castrop-Rauxel
Ingrid Neuber hat fast 40 Jahre lang in der JVA Castrop-Rauxel als Sozialarbeiterin und als Koordinatorin des Sozialdienstes gearbeitet. 2005 kamen die ersten Tiere ins Gefängnis, es ist eine Art Gnadenhof für die Vierbeiner und Vögel. Seitdem hat sich Neuber der Tierpflege verschrieben. Auch nach ihrem Rentenbeginn im Jahr 2011 ist Neuber jeden Tag bei den Tieren und bei den Häftlingen, die sich um das Gehege kümmern.
„Das macht mir sehr viel Spaß und Freude“, erzählt die Sozialpädagogin. Neuber kommt schon früh morgens um 5.30 Uhr in den Knast, um nach den Tieren zu sehen und bleibt um die drei Stunden dort. „Nachmittags komme ich nochmal und schaue nach dem Rechten. Wenn ein Tierchen krank ist, komme ich auch vier oder fünf Mal, auch in den Abendstunden. Also wenn der Bedarf ist, bin ich immer da und ansprechbar.“

Ingrid Neuber ist jeden Tag in der JVA und kümmert sich um die Tiere und um die Häftlinge. © Victoria Maiwald
Enrico S. hat seinen Traumjob im Knast gefunden
Vier bis fünf Gefangene kümmern sich um die Gehege und um die Tiere. Es ist aber nicht ganz so einfach, die passende Besetzung für das Tier-Gehege-Team zu finden. „Es eignet sich noch lange nicht jeder Gefangene für den Einsatz im Tierbereich“, weiß Neuber.
Bei Haftantritt bekommt jeder neuer Häftling einen Laufzettel in die Hand gedrückt. Darauf ist jeder Betrieb der JVA aufgelistet, bei dem sich der Gefangene vorstellen muss. Anschließend wird beurteilt, wo der Häftling am besten eingesetzt werden kann. So ist auch Enrico S.* zu seinem Traumjob im Knast gekommen.
Der ehemalige Schäfer ist mit ganzem Herzblut dabei
Enrico S. ist wegen verschiedener Drogendelikte verurteilt worden. Bevor er straffällig und inhaftiert wurde, hat er damals in seiner Heimat Sizilien Schafe gehütet - die Arbeit mit Tieren liegt dem Italiener. Er selbst spricht kaum deutsch, aber Ingrid Neuber versteht ihn auch mit nur wenigen Worten. Die Sozialpädagogin versteht Enricos Gestik und „nach anderthalb Jahren Zusammenarbeit brauchen wir nicht mehr viele Worte. Wir haben uns gut arrangiert und können gut kommunizieren.“
Neuber ist begeistert von Enricos Arbeit. „Auf den Mann kann man sich blindlings verlassen. Er geht so liebevoll mit den Tieren um und wir arbeiten Hand in Hand und bestens zusammen.“

Enrico S. hat schon früher mit Tieren zusammengearbeitet - er hat Schafe gehütet. © Victoria Maiwald
Tiere gewöhnen sich an die Häftlinge - das kann zum Problem werden
Und das ist wichtig, denn nicht jeder kann mit den Tieren so gut zusammenarbeiten. „Es ist schwierig geeignete Leute für den Job zu finden“, sagt Neuber. Manchmal müssen Häftlinge den Tier-Bereich auch wieder verlassen. Auf diese Entscheidung hat Ingrid Neuber großen Einfluss - obwohl sie nicht mehr in der JVA angestellt, sondern nur ehrenamtlich dort beschäftigt ist. „Mal kommen die und mal kommen die nicht. Das geht in der Tierpflege nicht. Da muss man Leute haben, auf die man sich wirklich verlassen kann.“
Außerdem ist es wichtig, dass Männer in der Tierpflege arbeiten, die längerfristig inhaftiert sind und nicht in ein paar Monaten wieder entlassen werden. Die Tiere gewöhnen sich an die Menschen und laut Neuber sei es nicht gut, wenn andauernd fliegender Wechsel herrscht. Das Problem: Häftlinge, die eine lange Strafe absitzen müssen, haben oft das Ziel ein freies Beschäftigungsverhältnis einzugehen. Sie wollen einen Job jenseits der Gefängnismauern finden und nicht bis zum Ende ihrer Strafe im Tiergehege in der Anstalt arbeiten.
„Das streben besonders jüngere Häftlinge an und das ist auch richtig so“, sagt Neuber. Manchmal lasse es sich einfach nicht verhindern, dass das Gartenkommando, zu dem das Tiergehege gehört, auf Häftlinge mit kurzen Strafen zurückgreifen muss.

Die Häftlinge tun alles, damit es den Tieren gut geht. © Victoria Maiwald
Wenn Tiere sterben ist das herzzerreißend
Zwar hat die JVA seit zehn Jahren einen Tierarzt, der Tag und Nacht angerufen werden kann, dennoch sind im Verlauf der letzten Jahre so manche Tiere gestorben. Falsche Fütterung durch Besucher des Knast-Zoos hatte den Tod einiger Ziegen zur Folge. Kürzlich starb zudem auch Krähe Jakob. „Das ist immer ein trauriger Abschied. Es zerreißt mir jedes Mal aufs neue das Herz“, sagt Neuber. Auch den Gefangenen geht so ein Abschied nahe. Für Enrico S. war besonders der Tod der Krähe schwer zu verkraften. Er hat den Vogel von Anfang an betreut.
Als Jakob vor einem Jahr noch ein Küken war, fiel er aus dem Nest und brach sich ein Bein. „Herr S. hat die Krähe mit mir gemeinsam gehegt und gepflegt. Er hat sich wirklich rührend um den Vogel gekümmert und der war ihm so richtig ans Herz gewachsen“, erzählt Neuber.

In der Vergangenheit haben drei Ziegen unsachgemäßes Füttern nicht überlebt. Wenn Tiere sterben, geht das auch den Gefangenen nahe. © Victoria Maiwald
Häftlinge tun alles, damit es den Tieren gut geht
Die Krähe Jakob fühlte sich unter den Hühnern so wohl, dass er sich selbst für eines hielt. Die Häftlinge taten alles dafür, dass es der Krähe gut geht und bauten Jakob eine eigene Voliere bei den Hühnern. Zuletzt war Jakob außerhalb des Hühnerstalls untergebracht, bevor es zu dem Unfall gekommen ist.
„Da hat wohl jemand das Türchen aufgelassen und der ist rausgehüpft. Wir haben ihn dann tot und mit Kopfverletzungen im Gehege gefunden“, erzählt Neuber.
Wenn Häftlingen die Tränen kommen
Enrico S. war am Boden zerstört. „Herr S. hat sich wirklich liebevoll um den Vogel gekümmert, er hat richtig geweint und war sehr traurig. Das tat mir in der Seele weh, ihn so traurig zu sehen“, erzählt Neuber. Eigentlich ist Körperkontakt zwischen Angestellten und Häftlingen nicht erlaubt. Aber: „In dem Moment habe ich den einfach in den Arm genommen und mal gedrückt. Ich bin bald 73 Jahre alt und habe fast 40 Jahre hier im Knast gearbeitet. Da weiß ich ganz genau, was man tun darf und was man nicht tun darf“, sagt Neuber.
Durch die Pensionierung kann Neuber so etwas mal machen. Die Bediensteten hingegen müssen immer den schmalen Grad zwischen Nähe und Distanz einhalten, um professionell arbeiten zu können. Ingrid hat in ihrer Rolle mehr Freiheiten und kann so auch mal Trost spenden.

Die Gänse haben kürzlich Nachwuchs bekommen. © Victoria Maiwald
Immer ein offenes Ohr und einen guten Ratschlag parat
Ingrid Neuber ist für Häftlinge immer eine gute Ansprechpartnerin. „Ich kenne die vielen kleinen Problemchen der Leute.“ Sie selbst regelt zwar nichts mehr für die Häftlinge, aber sie kennt immer die richtigen Ansprechpartner und kann hilfreiche Tipps geben. „Wenn die irgendwas haben, können die mich jederzeit ansprechen. Das ist eine schöne Sache und gibt mir natürlich auch etwas, das beruht auf Gegenseitigkeit.“
Die Pflege der Tiere, aber auch der Kontakt zu den Gefangenen, die dort eingesetzt werden, liegt Neuber sehr am Herzen. Ihr geht es gut, wenn es den Tieren auch gut geht. Und sie ist froh darüber, in Enrico S. so einen kompetenten Mitarbeiter gefunden zu haben.
HINTER DEN GITTERN DES MEISENHOFS
- In dieser Serie sprechen wir mit verurteilten Straftätern und Bediensteten der Justizvollzugsanstalt Castrop-Rauxel.
- Wir wollen den Menschen in der Stadt so einen Einblick in das Leben hinter den Mauern des Meisenhofs geben.
- *Alle Namen der Inhaftierten in dieser Serie wurden durch die Redaktion geändert.
- Häftlinge beschreiben in der Serie ihre Straftaten, wie sie selbst sie in Erinnerung haben. Zum Schutz der Opfer und Angehörigen haben wir keine weiteren Recherchen unternommen, um auch sie zu befragen.