Stephan Ragsch aus Castrop-Rauxel ärgert sich über die Impf-Odyssee, auf die er geschickt worden ist. © privat
Coronavirus
Castrop-Rauxeler (48) hadert mit Impf-System – und schreibt an Laumann
Der 48-jährige Castrop-Rauxeler Stephan Ragsch darf sich gegen Corona impfen lassen. Doch sein Versuch, die Spritze zu bekommen, gerät zur schier unendlichen Geschichte. Ein Erfahrungsbericht.
Stephan Ragsch bezeichnet sich als „Otto Normalbürger“. Politisch zähle er sich zur „konservativen Mitte“ der Gesellschaft, sei weder Corona-Leugner noch Wutbürger. Doch momentan ist Stephan Ragsch vor allem: enttäuscht und sauer. Und das hat mit seinen Bemühungen um einen Corona-Impftermin zu tun.
Fest steht: Stephan Ragsch ist impfberechtigt und gehört in die Prioritäten-Gruppe 2 nach der Impfverordnung des Bundes. Er ist gerade erst 48 Jahre alt geworden, doch vorerkrankt. Das hat ihm ein Facharzt per Attest bestätigt. Doch tatsächlich geimpft zu werden, ist für ihn, Selbstständiger in einem Büro in Bochum mit mehr als 20 Mitarbeitern, zu einer harten Prüfung geworden. Und das liegt nicht an der Spritze selbst.
Seiner Enttäuschung macht Ragsch nun in einem Schreiben an Landes-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) Luft, das er unserer Redaktion zur Verfügung gestellt hat. Stephan Ragsch schreibt an den Minister: „In der Kalenderwoche 10 [8.-14. März] nutzte ich jede berufliche Fahrt, um telefonisch bei dem für mich örtlich zuständigen Impfzentrum des Kreises Recklinghausen einen Impftermin zu vereinbaren.“ Doch zigmal sei er nach exakt 11 Minuten und 15 Sekunden aus der Warteschleife geworfen worden.
47 Minuten in der Warteschleife
Bis zum Mittwoch, 10. März. Da habe er 47 Minuten in der Warteschleife gehangen, bis sich eine „freundliche Mitarbeiterin des Impfzentrums“ gemeldet und ihn „unverzüglich“ an die E-Mail-Adresse prioimpfung@kreis-re.de verwiesen habe. Diese habe er auch sofort genutzt, um einen Impftermin zu bekommen. Doch, so Ragsch: „Eine Rückantwort erhielt ich bis heute nicht.“
Das ärgert Ragsch umso mehr, als in dem Impfzentrum in der Vergangenheit wöchentlich Impfdosen entsorgt worden sein sollen. Diesen Vorwurf hatte der Kreis bei früheren Recherchen unserer Redaktion allerdings bestritten.
Doch Ragsch schreibt, das Problem gebe es nicht nur in Recklinghausen. Durch ein Gespräch mit einer Mitarbeiterin des Impfzentrums in Hagen sei ihm bekannt, dass auch dort wöchentlich Impfdosen entsorgt werden sollen. Stand Freitag (9.4.) sei eine vierstellige Zahl Impfdosen in Hagen nicht verimpft worden.
Kontakt zum Impfzentrum Hagen
In diesem Wissen, schreibt Ragsch an Minister Laumann, habe er Kontakt zum Impfzentrum Hagen aufgenommen. Dort habe er für Sonntag, 11. April, 14.45 Uhr einen Impftermin per E-Mail durch das Impfzentrum Hagen bestätigt bekommen.
An eben jenem Sonntag habe er sich dann pünktlich zum Impfzentrum Hagen begeben und geduldig 60 Minuten vor dem Eingang gewartet, bis er an die Reihe kam. „Entsetzt hat mich während der Wartezeit, dass Rollstuhlfahrer, ältere Menschen mit Gehhilfen oder sonstiger Behinderung genauso der Kälte und dem Wetter ausgesetzt waren, wie jüngere ‚Impflinge‘“, schreibt Stephan Ragsch.
Aber Ragsch machte noch eine weitere Beobachtung: Vier Menschen mit Impf-Termin hätten unter Hinweis auf die lange Wartezeit ihren Impftermin verfallen lassen.
In Hagen nicht impfberechtigt
Als er schließlich an der Reihe war, sei ihm dann beim „Check-in“ zu seiner Überraschung mitgeteilt worden, dass er im Hinblick auf den Wohnort Castrop-Rauxel in Hagen nicht impfberechtigt sei. Ragsch: „Ich wurde abgewiesen. Meine Argumente, dass circa die Hälfte der Impflinge mit Fahrzeugen ohne Hagener Kennzeichen angereist seien, und dass in der letzten Stunde bereits vier „Impflinge“ ihre Termine nicht wahrgenommen hätten, griffen nicht durch. Damit dürften mindestens fünf Biontech-Impfdosen wieder in Hagen verfallen sein.“
Die Rückfahrt habe er genutzt, um wieder mit dem Impfzentrum Recklinghausen zu telefonieren. „Eine abermals freundliche Dame empfahl mir nunmehr, dass ich mich im Hinblick auf den ‚Impfturbo‘ an meinen Hausarzt wenden solle“, schreibt Ragsch. Dass der Hausarzt auch nicht in Castrop-Rauxel ansässig ist, sondern in Bochum, spiele da keine Rolle.
Doch auch da kam Ragsch nicht weiter: Seine Hausarzt-Praxis „nimmt an dem ‚Impfturbo‘ leider nicht teil“. Der gut vernetzte Ragsch ließ jedoch auch danach nicht locker und rief bei einer kardiologischen Gemeinschaftspraxis in Castrop-Rauxel an.
Auch in Arztpraxen wie der von Dr. Holger Knapp in Castrop-Rauxel (Foto) wird gegen Corona geimpft. Es nehmen aber nicht alle Praxen am Impfturbo teil. © Patricia Böcking
„Mir war bekannt, dass diese Praxis Teilnehmerin des ‚Impfturbos‘ ist.
Der Kardiologe berichtete mir, dass ich als Patient gerne geimpft werden könne. Vergangene Woche seien aber nur verspätet zwei Impfdosen als Wochen-Liefermenge eingegangen. Die Praxis sei nicht sicher, ob und wann in dieser Woche wieviel Impfstoff bereitstehe.“
Ähnlich lautete auch die Auskunft einer angesehenen Hausarzt-Praxis in Castrop-Rauxel. Am Dienstagabend (13.4.) änderte sich die Situation für Stephan Ragsch plötzlich: Da in eben dieser Hausarzt-Praxis abends drei Dosen Impfstoff übrig waren, konnte er spontan geimpft werden.
Gelassenheit fehlt
Dennoch zieht Stephan Ragsch in seinem Schreiben angesichts des Durcheinanders ein eindeutiges Fazit: „Es fällt mir derzeit schwer, entgegen meinem üblichen Naturell die derzeitige (planlose) Regierungspolitik im Rahmen der Pandemiebekämpfung gelassen hinzunehmen“, schreibt er dem Minister.
Was ihn besonders stört: Dass allein wegen des Wirrwarrs und unklarer Regeln Impfdosen eventuell nicht genutzt worden sein könnten. Und die ungleiche Behandlung der Menschen. Denn: „Eine befreundete Unternehmerin aus Dortmund berichtete mir, dass sie am Freitag in Solingen im dortigen Impfzentrum geimpft worden sei“, sagt Ragsch.
Und das entspricht auch den Vorgaben. Beim Gesundheitsministerium wie bei der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL), die für die Terminvergabe zuständig ist, heißt es auf Anfrage ganz klar: Es gibt kein Wohnortprinzip. Man könne sich auch in einer anderen Stadt impfen lassen. Leider wüssten „in Einzelfällen“ in den Impfzentren nicht alle davon, so ein Sprecher der KVWL.
Stephan Ragsch schließt sein Schreiben dann auch mit einer passenden wie einfachen Frage: „Herr Laumann, was läuft hier falsch bei uns?“
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