Laura Knorr weiß noch genau, was ihre ersten Worte nach der Geburt ihres ersten Kindes waren. Als die 36-Jährige aus Deininghausen Töchterchen Jella zum ersten Mal sah und im Arm hielt, da fragte sie ihren Mann Mark (35) lediglich: „Woher kommt das Kind?“
Heute, knapp zwölf Wochen später, lacht sie darüber. „Ich war halt irgendwie noch benebelt. Ich hatte ja auch gerade eine Geburt hinter mich gebracht. Ich hatte ein neues Level von Anstrengung erfahren.“ Und das lief ganz anders als gedacht, denn: Jella war eine spontane Hausgeburt. „Eine Hausgeburt hatten wir eigentlich grundlegend abgelehnt“, sagt Mark. „Aber Jella wollte wohl Castrop-Rauxel“, ergänzt Laura.
So war es eigentlich geplant
Eigentlich war die Geburt so geplant: Laura und Mark hatten sich entschieden, im Marien-Hospital in Witten zu entbinden. Wenn möglich ohne PDA, also ohne medikamentöse Betäubung, und ohne Kaiserschnitt. Also so „natürlich“ wie möglich. Mit Unterstützung von Laura Eßmann. Die 31-Jährige ist Beleghebamme und betreibt mit „Glücksmoment“ seit 2021 ihre eigene Praxis in Dortmund-Brechten. Sie hat das Paar vom Anfang der Schwangerschaft an begleitet und ihm gesagt: „Ruft an, wenn Laura die ersten Wehen hat. Dann komme ich bei euch Zuhause vorbei. Und wenn es so weit ist und der Muttermund ausreichend geöffnet ist, dann fahren wir zusammen ins Krankenhaus und bringen das Kind zur Welt.“
Der errechnete Geburtstermin (ET) ist der 20. März. Doch Jella ist das offensichtlich ein bisschen zu spät: Am 17. März, es ist ein Freitagabend, sitzen Laura und Mark gemeinsam auf ihrer Couch im Wohnzimmer, schauen eine Tanzshow im TV. „Und dann sagte ich irgendwann zu Mark: Irgendwas ist anders“, erinnert Laura sich. Was genau, das kann sie aber nicht sagen. „Es war ja auch meine erste Schwangerschaft. Da ist alles neu und unbekannt. Ich hatte vorher noch nie eine Wehe verspürt – wie sollte ich also mit Sicherheit sagen, ob das da gerade welche sind?“ Gerade zum Ende der Schwangerschaft passierten ja nochmal so viele neue Dinge im eigenen Körper, erklärt die 36-Jährige. Gemeinsam mit ihrem Mann entscheidet sie schlussendlich also, noch etwas abzuwarten und erstmal schlafen zu gehen.
Beim Duschen gemerkt: Es geht los
Der Schlaf ist von kurzer Dauer. Gegen 1 Uhr nachts wird Laura wieder wach. „Und dann war es so, dass ich dachte: Das sind jetzt bestimmt diese Wehen.“ Sie weckt Mark. Bittet ihn, einige letzte Dinge wie die Zahnbürsten in die ansonsten fertig gepackte Kliniktasche zu packen, um bereit zu sein. Entscheidet sich, noch einmal Duschen zu gehen, um sich frischer zu fühlen. „Und dabei habe ich dann gemerkt: Uff.“ Mittlerweile ist es 3 Uhr und Mark wieder eingeschlafen. Sie rüttelt ihn wach. „Du musst Laura anrufen, jetzt“, sagt sie.
Die Hebamme ist schnell da. Als sie die Klingel in dem Reihenendhaus in Deininghausen drückt, öffnet Mark ihr direkt. Die Kliniktasche hat er da schon in der Hand. „So, wir können dann jetzt los“, habe Mark ihr gesagt, erzählt die Hebamme. „Und ich habe ihn erstmal beruhigt und dann geantwortet: Ne, wir bleiben noch ein bisschen.“ Sie versuche immer, so wenig Zeit wie nötig im Krankenhaus selbst zu verbringen. „Weil die Familien sich zu Hause meist deutlich besser entspannen können“, erklärt sie.
Hebamme beruhigt Schwangere
Hebamme Laura will die Schwangere Laura erstmal selbst untersuchen. Mittlerweile ist es 4 Uhr. Der Muttermund ist da „ein, vielleicht zwei Zentimeter offen“. Es brauche aber zehn. „Wir haben noch Zeit“, sagt die Hebamme deshalb zu den werdenden Eltern.

Also veratmet die Schwangere die Wehen weiter – mal im Stehen, mal in Bewegung, mal auf einem Pezziball. „Der Schmerz war der gleiche“, sagt sie. „Aber du warst entspannter“, ergänzt die Hebamme. Laura nickt. Dass die Hebamme sich in dieser Situation alleine auf sie konzentrieren habe können, „das hat mir so viel Sicherheit gegeben. Und so viel Vertrauen. In die Situation, in dich, aber auch in mich selbst.“
Wehen werden intensiver
So geht es über zwei Stunden weiter. Gegen 6.30 Uhr, als es langsam hell wird draußen, werden Lauras Wehen schließlich intensiver. „Da habe ich dann auch angefangen, ein bisschen mehr zu fluchen“, erinnert die 36-Jährige sich. Sie sei in einer Art Kreislauf gewesen, der aus „sitzen, singen und schimpfen“ bestanden habe, erzählt sie. Doch Lauras Muttermund ist erst bei vier Zentimetern. „Wir haben immer noch Zeit“, schlussfolgert Hebamme Laura damals also.
Heute sagt die 31-Jährige: „Ich kann zeitlich gut abschätzen, wann wir losmüssen ins Krankenhaus. Im Normalfall.“ Doch in der Nacht des 18. März läuft es eben anders. Um kurz vor 7 Uhr will die werdende Mama da nochmal eine Badewanne nehmen, um sich etwas von den Anstrengungen zu erholen. „Ich stand dabei vor der Tür“, erzählt Hebamme Laura. „Und bekomme mit, wie sie die nächste Wehe veratmet. Plötzlich höre ich: Sie macht Pressgeräusche.“
Spontane Planänderung
Das Trio muss also handeln: Statt in die Wanne geht es zurück ins Schlafzimmer. Dort untersucht die Hebamme die Schwangere erneut: Es ist 7.05 Uhr und der Muttermund plötzlich zehn Zentimeter geöffnet. „Auch der Kopf war schon sehr tief“, erzählt die Hebamme. „Mir war klar, Jella will da jetzt raus.“ Also sagt sie zu den Knorrs: „Spontane Planänderung: Wir kriegen das Kind jetzt hier.“
Wie die darauf reagieren? Ganz genau wissen es beide Elternteile nicht mehr. Auf jeden Fall ungläubig, wahrscheinlich auch etwas irritiert und verunsichert, sagen sie. Schließlich seien alle Abläufe, die in der Vorbereitung auf die Geburt besprochen worden waren, urplötzlich weggebrochen. „Ich hätte eigentlich auch erwartet, dass ich panisch werde, weil ich grundsätzlich eher ein ängstlicher Typ bin“, sagt Laura. Außerdem nehme sie Blutverdünner, das sei ein weiterer Sorgefaktor gewesen. „Aber so schnell wie das Ganze dann verlaufen ist, hatte ich dann irgendwie gar keine Zeit mehr für Panik.“ Zudem war da eben die routinierte Hebamme. „Sie war wie mein Schmerzmittel“, sagt die 36-Jährige dankbar.
Ein entscheidender Moment
Der Pressdrang setzt dann auch schnell ein. Laura muss mitschieben. „Ich mach die Augen zu. Ich konzentriere mich jetzt einfach nur noch auf meine Wehen. Damit ich keine Panik kriege“, sagt sie zu Mark und der Hebamme. „Laura hat richtig gut und kontrolliert gepresst“, erinnert letztere sich. Mark hilft, wo es nur geht. Es geht schnell voran, schließlich ist der Kopf zu einem Drittel draußen.

Ein wichtiger, entscheidender Moment. „Ich versuche bei jeder Geburt, den Kopf zu diesem Zeitpunkt für so 30 Sekunden mal stehen zu lassen“, sagt Hebamme Laura. So könne sich das Gewebe weiten und das Risiko von Geburtsverletzungen sinke, erklärt sie. Auch für Ehemann Mark sind gerade diese 30 Sekunden besonders. „Es war der beste Moment des Morgens“, sagt er. Eine halbe Minute, die er nie vergessen werde. Eine Erfahrung, für die er unglaublich dankbar sei.
Die Plazenta in der Dusche
Um 7.42 Uhr wird Jella schließlich geboren. Sie ist wohlauf, ihre Mutter ist es auch. „Ich hatte keine Geburtsverletzungen. Und eine so natürliche Geburt, wie wir es niemals erwartet hätten. Es hat alles irgendwie gepasst und war mit das Schönste, was ich mir hätte wünschen können“, sagt Laura und strahlt. Diese Erfahrung außerplanmäßig machen zu können, das sei „heilsam für den eigenen Körper gewesen“. Auch Mark mag die Erfahrung nicht missen. „Das hat uns noch näher zusammengebracht, als ich es mir jemals hätte vorstellen können“, sagt er.
Hemmschwellen oder Schamgefühl untereinander gebe es nunmehr noch weniger. Auch die Nachgeburt, bei der sich die Plazenta von der Gebärmutterwand löst, hat dazu beigetragen, findet Mark. „In unserem Fall lag die Plazenta erstmal kurzzeitig in einer Plastiktüte in der Dusche“, erzählt er. Hebamme Laura hatte nach der Geburt alle anderen Dinge entsorgt. „Aber die Plazenta hab ich halt irgendwie vergessen“, sagt sie und lacht. Mark habe das dann tags darauf übernommen. „Ich hab sie am Ende in unserem Garten vergraben“, sagt er. Viel lieber aber erzähle er so davon: „Ich habe Teile von meiner Frau im Garten vergraben.“
Ob die beiden es bei einem potenziellen zweiten Kind irgendwann also genau so machen würden – nur eben planmäßig zu Hause und nicht spontan? Knorrs nicken. „Ich könnte es mir vorstellen“, sagt Laura. „Aber nur, wenn Laura dann wieder dabei ist.“
Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 14. Juni 2023.
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