Schulentscheidungen und Fehler der Vergangenheit Wie es 2011 aussah und was es heute bedeutet

Fehler der Vergangenheit: Wie es 2011 aussah und was es heute bedeutet
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Das Jahr 2011 war das Jahr der Grundschul-Katastrophe: So würden das heute Eltern beurteilen, die für ihre Kinder im Sommer 2023 nicht den Schulplatz bekommen, den sie sich wünschen. Vor allem Merklinder Familien fühlen sich schlecht behandelt, wenn ihre Kinder künftig in die Altstadt fahren müssen. Aber was führte damals zu der Entscheidung, die jetzt Sorgen macht?

Die Zahl der Kinder war viel geringer als heute, und die Verteilung nach dem Elternwillen führte dazu, dass mehrere Schulen nur noch einzügig geführt werden konnten. Mehr noch: In der Grundschule Deininghausen meldeten sich gerade mal acht Kinder an. Klar war: Die Verwaltung musste reagieren. Es ging in dieser Phase um das Sparen öffentlicher Ausgaben auf Basis des Schober-Gutachtens, Grundlage für die Einsparungen im Stärkungspakt Stadtfinanzen.

Einzügige Grundschulen sind zwar schulrechtlich durchaus vorgesehen. Aber man entschied sich damals doch dazu, hier durch Teilstandort- und Dependance-Lösungen zu sparen. In Castrop-Rauxel gibt es heute keine solche Mini-Schule.

Die Zahl der Anmeldungen stellte sich im Frühjahr 2011 so dar:

  • Cottenburgschule Schwerin: 45
  • Elisabethschule Obercastrop: 76
  • Erich-Kästner-Schule Habinghorst: 59
  • Friedrich-Harkort-Schule Merklinde: 22
  • Alter Garten Henrichenburg: 77
  • Am Busch Ickern: 51
  • Am Hügel Castrop: 30
  • Deininghausen: 8
  • Grüner Weg Obercastrop: 30
  • Lindenschule Frohlinde: 43
  • Marktschule Ickern: 71
  • Waldschule Rauxel: 57
  • Wilhelmschule Dorf Rauxel: 69

Es gab damals noch 13 Grundschulen. Eine 1. Klasse soll laut Schulgesetz in NRW im besten Falle 24 Schüler haben. Demnach sah es bei den vier markierten Schulen nach einer bzw. keiner einzigen möglichen Eingangsklasse aus. Wie wir heute wissen: Drei der genannten Schulen sind heute nicht mehr da.

Die Schließung in Deininghausen war folgerichtig und wird bis heute auch kaum angezweifelt. Von hier aus fahren bis heute die meisten Kinder mit dem Bus zur Wilhelmschule. Das gilt als absolut zumutbarer Schulweg, die Entfernung ist überschaubar.

Prognose lag völlig daneben

Aus zwei Schulen in Obercastrop eine zu machen, galt auch wohl zurecht als möglich. Die Elisabethschule als katholische Bekenntnisschule ist heute die einzige Schule im Stadtteil und vom Platzangebot in diesem Sommer ausreichend. Die Grundschule Am Hügel erhielt man dafür, ebenso wie die ebenfalls zur Disposition stehende Erich-Kästner-Schule in Habinghorst.

Hubertus Schober war der Gutachter, der die Zahlen über zehn Jahre prognostizierte. 2011 hatte er mit seiner ersten schulscharfen Vorhersage Recht. Für spätere Jahre aber lag das Gutachten daneben, zum Teil weit. Schon damals besonders umstritten: die Schließung der Merklinder Friedrich-Harkort-Schule.

Die Ruhr Nachrichten berichteten im April 2011 über den Diskussionsabend über die Schließung der Grundschule in Merklinde.
Die Ruhr Nachrichten berichteten im April 2011 über den Diskussionsabend über die Schließung der Grundschule in Merklinde. ©

140 Jahre Schulgeschichte im Stadtteil Merklinde beenden: Das klang schmerzhaft. Genau das kritisieren Eltern bis heute, die sich trotzdem mit ihrer Familie dort niedergelassen haben. Obwohl man 2011 schon beschrie, dass der Stadtteil damit an Attraktivität verliere. Wer sich die Strukturdaten heute ansieht, sieht sich darin bestätigt. Merklinde ist sozialer Brennpunkt.

Petra Glöß, die damalige Beigeordnete, sagte 2011: „Ich kann die Kinder nicht backen.“ Gekommen sind sie aber doch: Über 750 Kinder werden im Schuljahr 2023/24 eingeschult. Das Schober-Gutachten prognostizierte für das Jahr 2015 noch 500 Kinder, mit sinkender Tendenz. 12 bis 15 Einstiegs-Klassen weniger im Stadtgebiet im Jahr 2015 im Vergleich zum Jahr 2000: Der Gutachter rechnete vor. Die Verwaltung ließ Taten folgen.

„Damit wird Merklinde sterben“

80 Menschen kamen im April 2011 zu einer Info-Versammlung in die Harkortschule, als die Schließung feststand. Erst noch Teilstandort der Cottenburgschule, dann aber auslaufend. Alle Erstklässler wurden fortan mit dem Bus nach Schwerin gebracht. „Damit wird Merklinde sterben“, war eines der markigsten Zitate, die dort fielen.

FWI und Die Linke warnten damals vor den Schließungen. Die CDU legte im Frühjahr noch ein Alternativkonzept vor, nach dem man die Harkortschule und die Schule am Grünen Weg als Kooperationsstandorte weiterführen sollten. Im Juli entschied die Politik, dass man diese Idee vom Elternwillen abhängig mache: Sollte es genügend Anmeldungen geben, könne man über eine Kooperationsschule nachdenken. Doch es kam anders: Nach der Schließung der Schule an der Marienburger Straße in Ickern (2007) und der Grundschule Deininghausen (2011) schlossen 2013 die Grundschulen am Grünen Weg und in Merklinde.

Erst Geburten-Wende, dann Fluchtkrisen

Die Bevölkerungsentwicklung drehte sich: durch leicht steigende Geburtenzahlen, aber auch durch außergewöhnliche Ereignisse wie die Flüchtlings-Lage 2015/16 auf Basis der Kriege in Syrien und Afghanistan und den Ukraine-Krieg, der vor allem im Jahr 2022 für Zuzüge sorgte.

Schon im August 2015, also vor der großen Flüchtlingskrise, war klar, dass die Prognose-Zahlen aus dem Gutachten Makulatur waren. Nicht unter 494 bis 497 Erstklässler für die 1. Jahrgänge 2020 bis 2022, wie das Team Schober vorhersagte, zeichneten sich ab. Sondern um die 600.

Ab dem Zeitpunkt wurde in der Verwaltung Raumnot verhandelt und politisch debattiert. 2023 werden über 750 Erstklässler eingeschult. Am Standort Am Hügel entsteht eine neue Schule, zunächst als Teilstandort der Cottenburgschule. Auch für die Eltern in Merklinde.

Ein Bericht in den Ruhr Nachrichten von August 2015 beschreibt die Trendwende.
Ein Bericht in den Ruhr Nachrichten von August 2015 beschreibt die Trendwende. ©

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