
© Volker Engel
Pfarrer Winfried Grohsmann über Castrop-Rauxels unendliche Möglichkeiten
Interview
Nach 25 Jahren in Castrop-Rauxel geht Winfried Grohsmann im Herbst. Der Pfarrer von St. Lambertus im Interview über Erreichtes, was er an Castrop-Rauxel besonders schätzt und warum er dennoch geht.
Nach 25 Jahren verlässt Winfried Grohsmann (59), Pfarrer von St. Lambertus und Leiter des Pastoralverbundes Süd, die Stadt Castrop-Rauxel. Im September zieht es ihn an eine neue Stelle. Ob es die als Gefängnispfarrer in Werl wird, wie Gerüchte besagen, möchte er nicht bestätigen. Aber über die Zeit in Castrop-Rauxel und seine Gedanken dazu spricht er gern.
Herr Grohsmann, warum gehen Sie aus Castrop-Rauxel weg?
Ach, ich hab das doch gut vorbereitet. Es ist jetzt mal Schicht im Schacht, so sagt man hier ja. 25 Jahre, da darf man doch auch mal den Wechsel machen und andere ranlassen, oder nicht?
Klar dürfen Sie. Aber zieht es Sie eher woanders hin oder treibt es Sie von hier weg?
Nein, ich habe das Ortsjubiläum gerade hinter mir, werde jetzt 60 Jahre alt. Jetzt kann man einfach noch mal was anderes machen. So ein Schritt will immer gut geplant und abgestimmt sein. Man kann nicht immer warten, bis alles, was man in einer Pfarrei erreichen wollte, abgeschlossen ist, denn es ist immer etwas im Fluss, dafür sind es einfach zu viele Gemeinden. Und es wechseln recht viele von uns Priestern, wo noch nicht so eine große Priesterknappheit herrscht, mit 60 Jahren in eine andere Stelle. Ich denke, dass man als Mensch frischer bleibt, wenn man noch mal etwas anderes macht.

Pastor Winfried Grohsmann bestaunt die Spitze des kleinen Turms, den man als Dachreiter bezeichnet und der erst kürzlich neu auf St. Lambertus platziert wurde. © Tobias Weckenbrock
Kam das plötzlich oder haben Sie das so gewollt?
Natürlich habe ich etwas daran gearbeitet, ich tue das nicht unüberlegt. Aber es wurde nun bekannt, weil meine aktuelle Stelle beim Erzbistum ausgeschrieben wurde.
Ach so, das war nun der Grund für Ihre Offensive?
Ja, ich würde mich sonst in der Arbeit ein wenig behindert sehen. Seit einer Woche wissen es die Mitarbeiter in der Gemeinde. Und einen Haken hat meine Arbeit ja auch: Ich gewinne immer mal wieder neue Ehrenamtler dazu, aber denen schenke ich natürlich reinen Wein ein. Wegen mir sollen sie die Aufgabe nicht machen, dann wären sie enttäuscht, wenn ich bald gehe.

2015 traf Winfried Grohsmann auf Maria Keller, die Mutter von Priesterkollege Norbert Keller, damals mit 104 Jahren die älteste Einwohnerin Castrop-Rauxels. © Foto Fritsch
Was denken Sie nun, wenn Sie nach 25 Jahre Castrop-Rauxel verlassen?
Diese Stadt wird mir nicht mehr aus dem Kopf gehen. Es passieren immer im Alltag ganz wunderbare Dinge, die ich nie vergessen kann, es sei denn, ich würde dement. Wenn ich vom Friedhof gehe und mir Kinder hinterherwinken, kann ich das nicht vergessen. Das sind manchmal Kleinigkeiten, wozu andere vielleicht Banalitäten des Alltags sagen. Aber das sind für mich die zentralen Dinge des Lebens. Diese 25 Jahre hier werden sicherlich die wichtigsten meines Lebens gewesen sein.
Was ist denn das Besondere an dieser Stelle?
Stellen sind austauschbar. Das Besondere hier ist ganz sicher der Schlag Mensch. Das nivelliert sich in meiner Empfindung in Deutschland gerade etwas, aber als ich kam, war es sehr deutlich wahrnehmbar, und das gibt es immer noch: Die Leute haben hier ein höheres Maß an Solidarverhalten als anderswo. Personen, die in einer Familie die letzten Lebenden und allein waren, gab es hier nicht. Und wenn bloß eine Nachbarin mit dem Essen rüber ging.
Aber 25 Jahre heißt auch: Eine Generation ist nicht nun mehr da, dafür ist eine neue gekommen. Da hat sich wirklich etwas verändert. Ich mochte immer dieses gerade heraus, dieses Unverschnörkelte.

Winfried Grohsmann, Pfarrer von St. Lambertus Castrop, sprach gern über das Widumer-Tor-Projekt. Hier ist er bei einer Gesprächsrunde darüber im alten Marcel-Callo-Haus zu sehen, das bald abgerissen wird. © Tobias Weckenbrock
Was muss ein Nachfolger mitbringen?
Ich wünschte, dass er gerne Menschen begegnet. Denn dann sind die Möglichkeiten hier unendlich. Wir haben hier nach wie vor, egal, wie es um die Institution Kirche gerade steht, ganz viel Vertrauensvorschuss. Ich habe, egal wohin ich kam und zu welcher Uhrzeit das war, nie die Sorge gehabt, auch wenn es kritische Situationen waren, dass ich eine gepfeffert bekomme in einer Auseinandersetzung.
Na gut, Sie sind Priester…
Ja, aber ich war mir sehr bewusst, auf dieser Solidarität etwas aufzubauen. Wobei ich das nicht selbst geschaffen habe. Ich habe versucht, es nutzbar zu machen.
War das Verfassen der Worte für den Pfarrbrief „Gemeindeleben“ eher Befreiung oder traurige Abschiedsschrift für Sie?
Das ist ein sehr zwiespältiges Gefühl. Ich habe ein hohes Interesse und eine Freude daran, was aus den jungen Menschen, den Kindern wird. Dass ich mal gehen würde, stand ohnehin fest, weil ich im Altenteil nicht hier bleiben würde. Aber wie die Kinder von einst nun ihre nächsten Lebensjahre gestalten, das würde ich schon immer gern sehen wollen. Egal war mir nie etwas. Und niemand.

Pfarrer Winfried Grohsmann bekam 2015 von Flüchtlingen eine handgefertige Seife aus Aleppo geschenkt. © Volker Engel
Wie sind die Reaktionen bei den Mitarbeitern ausgefallen, die es zuerst erfuhren?
Manchmal geht es ja in solchen Runden sehr kultiviert zu, einige greifen gar nicht nach. Aber man lässt mich schon wissen, dass es nicht einfach sei, auch wenn man es akzeptieren müsse. Etwa so: „Naja, wir hoffen und wünschen uns für Sie, dass Sie das für sich Richtige entschieden haben – und seien Sie in Gottes Händen.“ Ich entgegne: Etwas Wechsel ins Spiel zu bringen, ist auch mal ganz gut. Wirklich, ich denke, dass es für den Ort auch mal gut ist. Und ehrlich: Wenn jemand geht, wird oft auch Vieles überhöht. Die Vergangenheit hübscht man dann immer gerne auf.

Gottesdienst in grünen OP-Hemdchen: Pastor Winfried Grohsmann von St. Lambertus segnet auf den neuen Fluren des OP-Traktes die Räume im Rochus-Hospital. © Tobias Weckenbrock
Was wollen Sie denn noch zu Ende bringen bis September?
Das Allerwichtigste hier ist die Fertigstellung des Marcel-Callo-Hauses. Eine Kirche, die nicht sozial tickt, wo ist die glaubwürdig? Und Glaubwürdigkeit ist für mich nicht zu lösen von der Frage des Sozialen. Wo finden Sie denn eine Gemeinde, die aktuell ein ganz neues Jugendheim baut? Wenn das fertig ist, der zweite Baustein nach dem Rochus-Kindergarten, dann mach ich darüber mein inneres Halleluja.
Da die Menschen nicht alle von Haus aus gleiche Bedingungen haben, müssen wir Orte schaffen, an denen alle die gleichen Chancen haben. Der neue Kindergarten musste super sein, aber nicht nur für die, die es sich leisten können – das war mein Credo. Und das haben wir geschafft.
NUR ACHT STELLEN-INHABER SEIT 1803
- Winfried Grohsmann ist der erste Pfarrer an St. Lambertus seit 1811, der nicht durch Alter, Krankheit oder Tod aus diesem Amt scheidet.
- Der letzte, der diesen Schritt tat, war Heinrich Moritz Homborg, gebürtiger Gastwirtssohn aus Bochum (geb. 7. 9. 1780), der von 1803 bis 1811 im Amt war. Er tauschte seinerzeit mit seinem Nachfolger Johann Baptist Kurth das Pfarramt in Herchen an der Sieg. Kurth blieb bis zu seinem Tod 1819 Pfarrer an St. Lambertus, bevor die Pfarrei im Zuge der umfassenden politischen Umwälzungen nach dem Wiener Kongress 1821 vom Erzbistum Köln zum Bistum, heute Erzbistum, Paderborn kam.
- Anschließend gab es nur Pfarrer mit langen Amtszeiten: Theodor Kemna (1820 bis 1846) begraben auf dem entwidmeten Friedhof Ecke Bochumer Str./Karlstr.
- Heinrich Lohmann (1846 bis 1886), erster beigesetzter Pastor auf dem Friedhof an der Wittener Str.
- Franz Keweloh (1886 bis 1925, gest. 1929), 1928 erster Ehrenbürger der Stadt Castrop-Rauxel
- Anton Becker (1929 bis 1953)
- Hermann Inkmann (1953 bis 1978)
- Norbert Keller (geb. 1938), 1978 bis 2006.
Gebürtiger Münsterländer, Jahrgang 1979. Redakteur bei Lensing Media seit 2007. Fußballfreund und fasziniert von den Entwicklungen in der Medienwelt seit dem Jahrtausendwechsel.
