Mit dem St. Rochus Hospital und dem Evangelischen Krankenhaus (EvK) stehen den Castrop-Rauxelerinnen und Castrop-Rauxelern gleich zwei zentrale Anlaufstellen rund um die Uhr für medizinische Notfälle zur Verfügung. Beide Einrichtungen verzeichnen jedoch eine zunehmende Belastung ihrer Notaufnahmen – nicht nur durch die steigende Zahl von Patienten, sondern auch durch die Art der Beschwerden und das Verhalten mancher Hilfesuchender.
Im Jahr 2024 behandelte das St. Rochus Hospital rund 17.000 Notfallpatienten, während das EvK etwa 18.000 Fälle verzeichnete. Bei rund 75.000 Einwohnern wäre also rein theoretisch jeder zweite Castrop-Rauxeler in einer der zwei Notaufnahmen vorstellig geworden. „Nach einem zwischenzeitlichen coronabedingten Rückgang steigen die Zahlen seit 2021 wieder deutlich an“, erklärt Dr. Julia Anna Droste, Chefärztin der Zentralen Notaufnahme am EvK: „Wir sind Notfallversorger der Stufe 2 und als solcher bei Schlaganfallsymptomen erste Anlaufstelle in Castrop-Rauxel und darüber hinaus. Das gilt auch bei Verdacht auf einen Herzinfarkt.

Auffällig ist dabei der hohe Anteil von Patienten, die selbstständig – also ohne Rettungsdienst – die Notaufnahmen aufsuchen. Am EvK lag dieser Anteil bei etwa 60 Prozent. Auch aus dem Rochus heißt es, dass diese Zahl seit Jahren kontinuierlich steigt.
Triage-System in der Notaufnahme
Beide Notaufnahmen bestätigen, dass sich ein Teil dieser Patienten mit Beschwerden vorstelle, die eigentlich in einer hausärztlichen Praxis behandelt werden könnten. Tim Lau, beim Rochus für die Unternehmenskommunikation zuständig, spricht von einer „relevanten Anzahl.“ Das EvK erklärt: „Darüber führen wir keine Statistik.“ Typische Beispiele seien aber Erkältungen, Magen-Darm-Infekte oder chronische Schmerzen ohne akute Verschlechterung. Dr. Julia Anna Droste betont: „Sicherlich gibt es einige Patienten, deren Anlaufstelle der Hausarzt oder die Hausärztin oder der Kassenärztliche Notdienst sein sollte. Dennoch empfinden sich die Patienten als Notfall und suchen deshalb die Notaufnahme auf.“
Diese Einschätzung deckt sich mit bundesweiten Daten. Laut einer repräsentativen Umfrage des GKV-Spitzenverbandes aus dem Jahr 2024 wurden 60 Prozent der in Notaufnahmen behandelten Patienten ambulant versorgt. 28 Prozent der Befragten gaben an, dass sie auch in einer Arztpraxis hätten behandelt werden können, sahen jedoch keine Möglichkeit, kurzfristig einen Termin zu bekommen. 58 Prozent hätten auf den Besuch der Notaufnahme verzichtet, wenn ihnen innerhalb von 48 Stunden ein fachärztlicher Termin vermittelt worden wäre.

„Abgewiesen wird in der Notaufnahme aber auch bei Bagatellerkrankungen oder Kleinstverletzungen niemand“, so Tim Lau vom Rochus. Um die Versorgung zu priorisieren, wenden beide Krankenhäuser ein Triage-System an. Dabei werden Patienten nach Dringlichkeit ihrer Beschwerden eingestuft. Dies bedeutet, dass Personen mit weniger akuten Problemen längere Wartezeiten in Kauf nehmen müssen. Diese Wartezeiten führen jedoch nicht selten zu Unverständnis und Frustration bei den Betroffenen.
Dr. Droste erklärt: „Jede Notaufnahme hat endliche Ressourcen. Das betrifft zum einen das Personal, aber auch die Räumlichkeiten und Diagnostikoptionen. Um unsere Ressourcen optimal auf die Patienten zu verteilen und lebensbedrohliche Erkrankungen prioritär versorgen zu können, führen wir bei jeder Vorstellung eines Patienten eine Triage durch.“
Aggressivität gegenüber Klinikpersonal
Ein besorgniserregender Trend ist die steigende Aggressivität gegenüber dem Klinikpersonal. Während körperliche Übergriffe in Castrop-Rauxel noch die Ausnahme darstellen, berichten beide Krankenhäuser von regelmäßigen verbalen Attacken. Das EvK hat daher Sicherheitsmaßnahmen wie Videoüberwachung oder Zugangskontrollen mittels Schlüsselcodes installiert. „Der Tresenbereich der Annahme ist durch eine Scheibe geschützt und wir haben mehrere Notfallknöpfe, über die direkt ein Alarm bei der Polizei eingeht. Zudem gibt es hausintern einen Übergriffsalarm, sodass viele Menschen zu Hilfe kommen“, sagt Dr. Droste. Darüber hinaus werden Mitarbeitende in Deeskalationstechniken geschult.
Bundesweit zeigt sich ein ähnliches Bild. Laut dem MB-Monitor 2024 des Marburger Bundes erleben 12 Prozent der befragten Ärztinnen und Ärzte häufig und 33 Prozent manchmal verbale Gewalt im Berufsalltag. Körperliche Gewalt gaben 2 Prozent als häufig und 10 Prozent als gelegentlich an. Als Hauptursachen werden unter anderem Drogen- und Alkoholmissbrauch, psychiatrische Erkrankungen sowie überzogene Erwartungshaltungen genannt.

Die Ursachen für die starke Belastung der Notaufnahmen sind vielfältig. Neben dem Mangel an kurzfristigen Arztterminen spielen auch gesellschaftliche Faktoren eine Rolle. Dr. Anne Herbrich, Chefärztin der Klinik für Akut- und Notfallmedizin am St. Rochus Hospital, weist auf eine zunehmende Unsicherheit in der gesundheitlichen Selbsteinschätzung und ein wachsendes Anspruchsdenken hin.
Der GKV-Spitzenverband fordert daher eine Reform der Notfallversorgung. Vorgeschlagen werden unter anderem flächendeckende Integrierte Notfallzentren (INZ), die eine sektorenübergreifende Versorgung ermöglichen, sowie ein Gesundheitsleitsystem mit kooperierenden Akutleitstellen und Rettungsleitstellen.
In Castrop-Rauxel wurde bereits ein Schritt in diese Richtung unternommen: Seit 2023 steht am Wochenende und an Feiertagen die Allgemeine Notfalldienstpraxis der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe im EvK zur Verfügung: In der Notfalldienstpraxis wird außerhalb der regulären Praxisöffnungszeiten der klassische Notdienst geboten für Beschwerden, mit denen man üblicherweise beim niedergelassenen Arzt vorstellig wird.“
Krankenhäuser in Castrop-Rauxel klagen: Respekt von Patienten gegenüber Personal lässt nach