Syrer starten Nähmaschinengeschäft in Castroper Altstadt „Damit Kleidung wieder hier genäht wird“

Syrer eröffnen Nähmaschinengeschäft in der Castroper Altstadt
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Ibrahim Sharbawi war neun, als er das Nähen und Sticken mit Industrienähmaschinen lernte. Sein Vater brachte es ihm bei, damals in Aleppo, Syrien. 26 Jahre ist das jetzt her. Nun sitzt der 35-Jährige in der Castroper Altstadt, an der Münsterstraße, im Ladenlokal, das einst Schlatholt beherbergte und über vier Jahre leer stand. Bis vor wenigen Wochen. Da eröffneten er und sein Partner Munzer Safaya (27) ein Geschäft für Industrienähmaschinen. Weil sie finden, dass Kleidung wieder unter vernünftigen Bedingungen produziert werden sollte. Und in Deutschland. „Wir sollten uns nicht von der Kleidung in Asien abhängig machen. Wir sollten die Produktion dort nicht unterstützen. Die Kinderarbeit.“

Das sagt Ibrahim auf syrisch, Munzer übersetzt es. Obwohl der 35-Jährige durchaus auch Deutsch spricht. Er sei aber etwas nervös. Dann fährt er fort, von damals zu erzählen. Als er mit neun Jahren das Nähen lernte, da sei das nur während der Sommerferien gewesen. Drei Monate lang sind die in Syrien etwa. Die Schule habe er weiterhin besucht, hat Abitur gemacht. „Ich hatte Glück. Anders als die vielen anderen Kinder, die nun in den Fabriken in Bangladesch, China und so nähen müssen.“

Vor dem Krieg geflüchtet

Glück? Nun ja. 2015 ist Ibrahim aus seiner Heimat geflohen, wegen des Kriegs. „Wir wollten Sicherheit“, sagt sein Partner, der das gleiche tat, nicht nur einmal. Die fanden beide losgelöst voneinander irgendwann in Castrop-Rauxel.

In dem Geschäft stehen diverse Nähmaschinen von Jaki zur Ansicht.
In dem Geschäft gibt es diverse Nähmaschinen von Jaki zu kaufen. © Anna Katharina Wrobel

Munzer fand hier außerdem eine Frau. „Nicht wegen der Papiere. Wegen der Liebe. Liebe ist das Wichtigste.“ Sie haben eine Tochter, die bald ein Jahr alt wird. Er zeigt Fotos von ihr: hellrote, leicht lockige Haare und Pausbacken. Sie lacht. Sie strahlt. Und ihr Vater tut es mindestens genau so sehr beim Scrollen durch seine Fotos. „Sie hat doch wohl meine Augen, oder?“

„Noch keine Rakete“

Eine Frau tritt in den Laden. Sie interessiere sich für diese Nähmaschine hier und habe ein paar Fragen, sagt sie. Kurz unterhalten sie und Munzer sich. Als alle Antworten gegeben sind, kommt der 27-Jährige zurück. „Das Geschäft wird schon gut angenommen, aber es ist auch noch keine Rakete“, sagt er. Es gebe auch immer wieder Menschen, die vorbeikämen, weil sie eine Nähmaschine für den Privatgebrauch suchten. Aber vor allem richtet sich das Angebot an den Großhandel.

Ibrahim Sharbawi und Munzer Safaya stehen vor dem ehemaligen Schlatholt-Geschäftsgebäude, das sie kürzlich angemietet haben.
Das ehemalige Schlatholt-Geschäftsgebäude stand über vier Jahre lang leer. Nun haben Ibrahim Sharbawi und Munzer Safaya es angemietet. © Anna Katharina Wrobel

Die beiden Männer sind Vertreter für Jaki-Nähmaschinen in Deutschland, verkaufen sie aber auch ins umliegende Ausland – nach Belgien, in die Schweiz oder Niederlande etwa. Sie glauben: „Wir müssen Geschäfte wie diese mehr aufmachen, damit die Leute wieder nähen. Damit der Beruf des Schneiders in Deutschland wieder berühmt wird. Damit Kleidung endlich wieder hier im Land produziert wird.“

Noch viele Pläne und Träume

Deshalb wollen sie auch noch größer werden. Läden in Wolfsburg, Frankfurt, Hannover, Stuttgart und Hamburg öffnen. Expandieren. Die Autositze für namhafte Autohersteller nähen und besticken. Mitarbeiter einstellen. Zum Beispiel Syrer. Viele seien gute Schneider, der Beruf sei dort viel häufiger vertreten, als hier in Deutschland. „In Syrien gibt es meistens Kleidung zu kaufen, die auch dort genäht worden ist“, sagt Munzer.

So, finden beide, sollte es auch hier sein. Das ist ihr Traum, das treibt sie an. „Wir wollen arbeiten. Wir sind sehr fleißig. Wir werden alles tun, damit das klappt“, sagt Ibrahim.

Das Nähmaschinengeschäft von Ibrahim Sharbawi und Munzer Safaya findet sich an der Münsterstraße 12. Es hat montags bis freitags von 10 bis 20 Uhr, manchmal auch etwas länger, sowie samstags von 10 bis 16 Uhr geöffnet.

Dort können nicht nur Industrienähmaschinen, sondern auch einzelne Haushaltsnähmaschinen gekauft werden. Außerdem helfen die beiden auch beim richtigen Einstellen der Geräte.

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