Eine kürzere Anlaufphase gab es nicht: Dr. Michael Grüner (52) startete gleich von null auf 100. Seit dem 1. Januar 2025 ist er der neue Chefarzt für Allgemeine Innere Medizin, Kardiologie und Intensivmedizin am Evangelischen Krankenhaus Castrop-Rauxel. „Zurzeit haben wir Maximalbelegung“, sagt er, dafür sorgt die Grippewelle.
Freundlich aufgenommen worden sei er von den Kollegen, „von einem intakten Team“, so erzählt er im Gespräch. Sechs Oberärzte und zehn Assistenzärzte arbeiten in seiner Abteilung. Eng ist die Zusammenarbeit mit den Chefarzt-Kollegen Christoph Schildger für die Gastroenterologie und Dr. Holger Gespers in der Altersmedizin. Noch sei er in der Eingewöhnungsphase. Doch was ihm wichtig ist, weiß Michael Grüner genau.
„Ich möchte, dass die Castrop-Rauxeler Bevölkerung hier Herzerkrankungen auf hohem Niveau behandelt bekommt. Und dass keiner per se erstmal woanders hingehen muss, sondern dass sie wissen, dass das hier die Anlaufstelle ist. Und dass wir eine sprechende Medizin machen“, sagt er.
Kommunikation zwischen Arzt und Patient
„Sprechende Medizin“, was heißt das? Michael Grüner beschreibt: „Wenn jeder Patient, der hier war, nachher weiß, warum er hier war, was gemacht wurde, warum das so gemacht wurde und was er jetzt vielleicht an Tabletten noch nehmen muss oder was er an Verhaltensregeln beachten muss.“
Nicht das tolle Gerät, die hohe Technik sorge dafür, dass sich der Patient gut aufgehoben fühle. „Denk dran, wie würde sich deine Mutter, dein Bruder fühlen“, sage er zu seinen Ärzten, so erzählt er, der ohne weißen Kittel im Krankenhaus unterwegs ist, und so gar nicht dem Klischee eines abgehobenen Chefarztes entspricht. Gute Kommunikation sei immens wichtig. Zufriedene Patienten, so Grüner weiter, tragen auch zum Wachstum bei. Das ist ein zweites Ziel, dass er sich vorgenommen hat: Wachstum seiner Abteilung, also mehr Patienten für das EvK.
„Sprechende Medizin“ sei keine Selbstverständlichkeit, auch das weiß der Kardiologe, der in den vergangenen 15 Jahren in Mülheim, Oberhausen und Gladbeck als leitender Oberarzt die Kardiologie-Abteilungen ausgebaut hat.

Gerade in hochtechnologisierten Kliniken sei das ein Problem, sagt er offen. Er weiß, dass Patienten manchmal mit einem Brief ohne große Erklärungen nach Hause geschickt werden. Und: „Ich habe schon in Kliniken gearbeitet, wo ich wirklich Nöte hatte, die Assistenzärzte zu verstehen.“ Am EvK hat er das noch nicht erlebt, erzählt er weiter, sagt aber auch ehrlich, dass natürlich auch hier Ärzte mit anderen Nationalitäten arbeiten, die allerdings sehr gut Deutsch sprechen würden.
Hilfe kommt auch von KI. Die künstliche Intelligenz hilft bei einem System, das jetzt „glücklicherweise hier eingeführt wird“. Ärzte können hier ihre Befunde, ihre Briefe diktieren, anstatt ihn selbst einzutippen. „Der syrische Arzt, der schon acht Jahre in Deutschland ist, wird nie einen Brief so formulieren können wie Sie“, sagt Michael Grüner im Gespräch. Er selbst habe persönlich nicht so ein Faible für KI. Aber er ist sicher, dass sie an Bedeutung gewinnt, nennt als Beispiel die automatische Analyse von EKGs.
„Auf mich zugeschnitten“ empfand Michael Grüner die neue Position am EvK Castrop-Rauxel. Dass es hier seit rund zweieinhalb Jahren ein Herzkatheter-Labor gibt, dass hier Patienten mit einem Herzinfarkt 24 Stunden am Tag behandelt werden können, das waren wichtige Punkte für seine Entscheidung. Die Kombination mit einer großen inneren Abteilung und der Intensivmedizin kommt dazu. „Das ist mit Renommee verbunden“, sagt der Chefarzt.
Dass das EvK zu einem großen Verbund gehört, gefällt ihm außerdem. Gerade, weil das Gesundheitswesen im Umbruch sei. Was in Castrop-Rauxel laut Krankenhausplanung nicht gemacht werden kann, passiere in anderen Kliniken. Zum Beispiel der Einsatz von Defibrillatoren. „Unser Schrittmacher-Operateur geht dann mit unseren Patienten ans Augusta-Krankenhaus nach Bochum oder ans EvK in Gelsenkirchen und setzt die Schrittmacher dort ein. Das ist der Vorteil bei so einem großen Konzern“, sagt er. „Und der Castrop-Rauxeler weiß, er kann hier in die Klinik kommen und erhält die komplette Versorgung.“
Michael Grüner selbst kennt Castrop-Rauxel bislang nur vom Weg zur Arbeit. „Castrop-Rauxel lag außerhalb meiner Vorstellungswelt“, sagt er und lacht. Der Vater von vier erwachsenen Kindern wohnt zwar nicht weit entfernt in Gelsenkirchen, hat sich aber bisher im westlichen Ruhrgebiet orientiert. „Vor Kurzem waren meine Frau und ich das erste Mal in Dortmund einkaufen“, erzählt er. Das habe ihnen gefallen. Und Castrop-Rauxel: „Meine Tochter hat mir den Song von einem TikToker vorgespielt, Castrop-Rauxel ist die schönste Stadt der Welt“, sagt er und lacht wieder. Mehr wisse er nicht. Noch nicht.
Demnächst will er sich die Stadt genauer anschauen. Wenn es heller wird, wird er regelmäßig mit dem Fahrrad zum EvK fahren. Und ein Besuch bei den niedergelassenen Ärzten steht auch auf seinem Plan.