Wo ist Merlin? Warum verschwand der Mischling Mitte Februar 2021, obwohl er in der Obhut des Tierschutzvereins war? Und was hat das alles mit einem Gerichtsurteil zu tun, das nun in der ersten Instanz den Castrop-Rauxeler Ex-Bürgermeister Johannes Beisenherz zu 10.000 Euro Geldstrafe und seine Vorstandskollegin zu 12.000 Euro Geldstrafe verurteilt hat? Das Urteil ist nicht rechtskräftig, sie gehen in Berufung. Aber hat das Aussicht auf Erfolg?
Man muss weit in die 2010er-Jahre zurückgehen, um diese Geschichte zu verstehen. Und all die aufgeworfenen Fragen kann man auch heute noch nicht beantworten. Damals war der Tierschutz Castrop-Rauxel e.V. in der Krise. Es gab Streit zwischen Ehrenamtlichen und dem Vorstand, turbulente, von Sicherheitskräften geschützte Versammlungen und undurchsichtige Wirrungen. Als der damalige Bürgermeister Johannes Beisenherz 2015 nach der zweiten Amtsperiode abdankte, nahm er sich vor, als Pensionär neue Aufgaben zu suchen. Unter anderem im Tierschutz.
Widerstand gegen gültige Gerichtsbeschlüsse
Als die Turbulenzen im Jahr 2016 in einem Rücktritt der damaligen Vorsitzenden Roswitha Heise gipfelten, übernahm der damalige Beisitzer Beisenherz die kommissarische Leitung des Vereins. Vom nachrangigen Posten auf die Spitzen-Position: Er sagte damals, er wolle den Tierschutzverein wieder in ruhiges Fahrwasser lenken.
Bis heute ist er Vorsitzender. Und jetzt kann man sagen: Es hat nicht geklappt. Auch wenn es zwischenzeitlich von außerhalb so aussah. Es wird weiter gestritten. Es geht um Vereinsmitglieder, die den Vorstand nicht verstehen. Um Katzenfreunde, die meinen, man kümmere sich zu sehr um Hunde und umgekehrt. Und dann geht es um Detailfragen: Für welches Tier in Obhut des Vereins investiert man welche medizinischen Kosten? Wer kümmert sich? Wer entscheidet? Seit der Merlin-Frage geht es sogar so weit, dass der Vereinsvorstand nicht nur entscheidet und durchsetzt, sondern sich auch gegen die Aufsichtsbehörde auflehnt. Und sogar gegen gültige Gerichtsentscheide.

Hat sich Hundefreund Johannes Beisenherz mit der Vorstandskollegin, ebenfalls eine Hunde-Närrin, verrannt in der Idee, sie seien die Robin Hoods des Tierschutzes und die einzigen, die neutral beurteilen können, was das richtige für Merlin, Gaya und andere, weniger umstrittene Artgenossen ist? Sie legen Arztberichte vor, behaupten so, ihre Auffassung sei bestätigt und beharren darauf. Komme, was wolle.
Auch Medien berichten über einzelne Tierschutz-Fälle. Fälle wie den von Gaya aus 2022. Oder Merlin. Der hatte einen von seiner Halterin wohl nicht erkannten Krebs-Tumor. Die nun verurteilten Vorstände erkannten das und wollten ihm auch angesehen haben, dass er bei der pflegebedürftigen Frau ohnehin nicht gut aufgehoben gewesen sei. Sie hingegen sei, so ihr Bruder, sehr vertraut mit ihm gewesen, fast so wie mit einem menschlichen Partner.
August 2020: Merlin kommt zum Tierheim
Der Merlin-Streit ging 2020 los: Das Tierheim nahm den Hund im August in seine Obhut, weil die Halterin ins Krankenhaus musste. Das Tierheim Recklinghausen, wo er zuvor häufiger untergebracht war, nahm ihn nicht mehr. Bei Merlin wurde recht bald ein Tumor an den Geschlechtsteilen erkannt. Der Vorstand ließ ihn operieren.
Als die Frau nach längerem Klinik-Aufenthalt wieder nach Hause kam, wollte sie ihr Tier zurück. Doch die Angeklagte hatte ihn laut Aussage des Amtsgerichts damals in eigener Obhut. Sie wollte gar veranlassen, dass das Kreis-Veterinäramt zum Schutze des Tierwohls eine Unterbringung im Heim anordnet. Dagegen ging die Besitzerin aber gerichtlich vor. „Und diese Einwendung hatte Erfolg“, berichtet nun Gerichts-Chefin Yvonne Schmuck-Schmiedel. Während also die Angeklagte und erstinstanzlich Verurteilte heute schweigt, legte die Amtsgerichts-Direktorin uns die Details der mündlichen Verhandlung am Montag vor. Auch dort sagten Beisenherz und seine Kollegin nichts.
2021 scheiterten nach Schilderung des Gerichts vier Versuche, den Hund am Tierheim abzuholen: „Die Angeklagte und der Angeklagte haben die Herausgabe verweigert“, so Schmuck-Schmiedel. Oder sie waren nicht zugegen. Immerhin: Gewalt wurde nicht angewendet.

In dieser Phase kam das Thema auch medial in Schwung. Ende Januar / Anfang Februar 2021 berichteten wir ausführlich. Denn am 19. Januar 2021 ging die Besitzerin mit einer einstweiligen Verfügung zur Herausgabe des Hundes vor. Am 22.1.2021 gab es eine mündliche Verhandlung am Amtsgericht. Der Entscheid damals laut Schmuck-Schmiedel: Der Tierschutzverein ist zur sofortigen Herausgabe verpflichtet.
Am selben Abend stand Johannes Beisenherz im WDR-Fernsehstudio vor Kameras. Er wollte deutlich machen, dass es das beste für das Tier sei, wenn es in der Obhut der Fachleute des Vorstandes bliebe. Er trug den Kampf gegen Behörden und Justiz offen aus. Beisenherz und seine Vorstandskollegin fühlten sich damals im Recht. Und tun das bis heute.
2021: Vollstreckungsversuche und der Widerstand
Am 16.2.2021 kam es zu einem weiteren „Vollstreckungsversuch“, diesmal mit Gerichtsvollzieher. Die Mission: Merlin „einziehen“ und der Halterin zurückbringen. Da hieß es am Tierheim: Der Hund ist entlaufen.
Wieder gingen die Vorstände in Berufung gegen den Entscheid. Doch das Amtsgericht wies sie laut Direktorin Yvonne Schmuck-Schmiedel am 17.2.2021 zurück. Damit wurde die Zwangsvollstreckung bestätigt. Aber wie sollte sie passieren? Denn Merlin war ja nicht mehr da.
Der Hund tauchte seither auch nicht mehr auf. Der Vereinsvorstand meldete sein Verschwinden aber nach Aussage des Rechtsanwalts der Besitzerin damals nicht proaktiv. Es wurde erst bekannt, als der Gerichtsvollzieher das Urteil vollstrecken wollte.
Viele Ehrenamtliche rätselten damals, ob das Zufall gewesen sein kann. Einige tun es bis heute. Bei den Streitereien um die Inobhutnahme von Beagle-Hündin Gaya im Jahr 2023 ging die Sorge um, mit ihr könne dasselbe geschehen.
Aber überall gilt die Unschuldsvermutung: Es gab nie Beweise. Und immer, wenn man Beisenherz oder seine Vorstandskollegin anspricht, beharren sie auf ihrem hehren Ziel: Tierschutz. Sonst nichts.

So wäre auch zu erklären, wenn stimmt, was behauptet wird: Wurden die Kosten für juristische Auseinandersetzungen aus der Vereinskasse bestritten? Kosten für die Inobhutnahme von Merlin wollte man im Zuge des Zoffs hingegen damals, Anfang 2021, von der Besitzerin ersetzt haben.
Die Vereinskasse wurde in den vergangenen Jahren geprüft, hieß es bei Mitgliederversammlungen stets. Der Vorstand wurde für seine Arbeit von den Mitgliedern entlastet. Insofern kann gelten: Wer in einem Amt im Interesse des Vereins rechtlich einwandfrei handelt, der darf die Kosten für diese Arbeit auch durch die Vereinskasse bestreiten.
2024: Das Urteil und die Begründung
Aber war alles einwandfrei? Es wird von Behörden geprüft und vom Gericht durchleuchtet. Der Amtsrichter in Castrop-Rauxel berücksichtigte in seinem Urteil am Montag vor allem den Widerstand gegenüber den im Tierschutz und in der Tiermedizin kompetenten Leute vom Veterinäramt, gegenüber Polizei und Justiz. „Strafverschärfend war für ihn, dass es um ein aktives Wehren gegen die behördliche Anordnung des Kreises und die zivilgerichtliche Entscheidung gab“, erklärte Gerichts-Direktorin Yvonne Schmuck-Schmiedel gegenüber unserer Redaktion.
Das Urteil: 120 Tagessätze à 100 Euro für die Frau, 100 Tagessätze à 100 Euro für den Vorsitzenden. Eine juristisch relevante Grenze von 90 Tagessätzen ist damit für beide Angeklagten überschritten. Geldstrafen bis 90 Tagessätze werden nicht im polizeilich-amtlichen Führungszeugnis hinterlegt. Die darüber schon. Das könnte weitreichende Auswirkungen für den Pensionär und die Berufstätige in leitender Anstellung haben.

Ex-Bürgermeister Beisenherz sagte im März 2021 gegenüber unserer Redaktion, er halte es für unfassbar, dass „das Wohl des Menschen eindeutig über das des Tieres“ gestellt werde. Obendrein von einer Tierschutzbehörde. Es klingt wie das Pathos von einem Robin Hood des Tierschutzes.
Die Besitzerin von Merlin, die als geistig beeinträchtigt galt und ein Leiden ihres Tieres wohl übersehen hatte, starb nach Angaben des Amtsgerichts im November 2023. Ohne zu wissen, was nach Februar 2021 mit ihrem Hund, der ihr acht Jahre lang ein Lebensbegleiter war, geschehen ist.
Das Urteil des Amtsgerichts ist nicht rechtskräftig. Die Verurteilten können in Berufung beim Landgericht gehen. Sie wollen sich aktuell mit Hinweis auf ein laufendes Verfahren nicht äußern. Sie streiten weiter. Bis in die letzte Instanz?
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