Als Diana Engelhardt die Tür zu ihrer Wohnung in Habinghorst öffnet, erkennt man der 56-Jährigen ihr Schicksal erstmal nicht an. Sie wirkt glücklich und ausgeglichen. Doch hinter der taffen Frau aus Castrop-Rauxel stecken harte fünf Jahre - und ein Leben, das nie wieder so sein wird wie vor der Corona-Pandemie.
„Ich habe Long Covid und Fatigue“
Es ist der 28.12.2020. Diana feiert mit ihrem Mann, Kindern und Eltern ein ausgelassenes Weihnachten, bis ein Anruf aus dem Krankenhaus kommt. „Frau Engelhardt, Sie sind Corona positiv“, heißt es vom Arzt. Sie reagiert gelassen, denn sie merkt fast gar nichts von der Infektion, nur leichte Erkältungssymptome. Nach den vorgeschriebenen zwei Wochen ist sie zurück auf der Arbeit. Diana ist Stationsassistentin im Krankenhaus. Dort hat sie sich auch mit Corona angesteckt. Doch nach einer Woche der Schock: Sie hat wieder Corona. „Ich vermute, dass ich nach der ersten Infektion gar nicht richtig negativ war“, sagt die 56-Jährige.
Die zweite Infektion trifft Diana Engelhardt schlimmer. „Ich hatte alle Symptome, außer Fieber.“ Kurzatmigkeit, starke Knochenschmerzen, vor allem an der Wirbelsäule, schränkten die damals 52-Jährige extrem ein. „Die Schmerzen kamen richtig von innen. So schlimme Knochenschmerzen hatte ich noch nie in meinem Leben.“
Doch bei Schmerzen bleibt es nicht. Diana, eine damals fröhliche und lebensfrohe Frau, war zu dem Zeitpunkt noch nicht bewusst, welch kräftezehrenden Wochen, Monate und Jahre nun folgen.
„Corona hat mich verändert“
„Ich bin nicht mehr der Mensch vor Corona“, sagt Diana Engelhardt. Denn die Krankheit hat nicht nur ihre Lunge angegriffen, sondern auch ihren Kopf. Die 56-Jährige leidet von ein auf den anderen Tag an extremer Vergesslichkeit und Wortfindungsstörungen. „Man konnte es vergleichen mit Alzheimer“, sagt Diana. Teilweise vergisst sie nach einigen Minuten, was sie zuvor ihren Mann gefragt hat. Eine Herausforderung für die Ehe der beiden. „Ich wusste sogar eine Zeit lang nicht mehr, wie meine Kinder heißen.“ Fast alles in ihrem Kopf war weg - jegliche Anstrengung und Konzentration endet für sie mit Übelkeit, Überforderung und Ermüdung.
„Das war ein Albtraum, noch viel schlimmer als die Luftnot“, sagt Diana Engelhardt heute. Sie erhält die Diagnose Long Covid und Fatigue. Im Sommer 2021 folgt die erste Reha. Die Luftprobleme bekommt sie dort, in Wyk auf Föhr, in den Griff. Doch trotz jeglicher Denkspiele und Ergotherapie wird der „Kopf“, wie Diana immer sagt, nicht besser. Im September 2021 musste sie in eine weitere Reha. Diesmal stationär nach Bochum ins Bergmannsheil. „Ich war nicht einmal fähig, eine Uhr zu malen. Ich wusste nicht mehr, wie das geht.“ Diesmal verlässt sie die Reha gestärkt. Die Ergotherapie und die Denkspiele zeigen erste Wirkung. Doch eine Sache bleibt – mit der anhaltenden Vergesslichkeit versinkt sie in einer Abwärtsspirale. Höhen und Tiefen im Leben kenne Diana, aber diesmal sei es anders gewesen.

„Ich habe Depressionen“
Ihre Familie macht sich besonders Sorgen um sie. „Alle haben gesagt: Du bist schwer krank, Diana.“ Die heute 56-Jährige habe das alles gar nicht so wahrgenommen. „Ja, ich war auch traurig, aber das ist doch jeder mal“, dachte sie sich immer. Einkaufen, Anträge für die Krankenkasse stellen, einfache Gespräche führen oder das Telefonieren sind für Diana eine Herausforderung.
Ihr Hausarzt schickt Diana Engelhardt besorgt zu einer Neurologin. „So wie es Ihnen geht, das ist nicht normal, sagte der Hausarzt zu mir.“ Dort bestätigten sich seine Befürchtungen. Diana Engelhardt hat eine mittelgradige Depression. „Ich wollte es nicht wahrhaben, auch wenn ich schon manchmal gedacht habe: Wenn das mit dem Kopf nicht weggeht, dann nehme ich mir das Leben.“
Seit 2022 arbeitet Diana wieder in ihrem Beruf. Auch da fängt sie bei null an. „Es gab Momente, da wusste ich nicht mehr, wie meine Kollegen heißen und auch die Computer-Systeme, die eigentlich die gleichen geblieben sind, kannte ich nicht mehr“, sagt Diana. Heute, fast fünf Jahre später, rechnet sie mit ihrer Krankheit auf eine ganz besondere Art und Weise ab. Sie lässt sich ein Tattoo stechen. „Der Kopf mit den Kritzeleien an den Augen soll die Gedächtnisstörungen darstellen und die Buchstaben ,Bitch‘ stehen dafür, was die Krankheit mir angetan hat, die Fragezeichen und Corona-Viren runden das ganze ab.“

„Thea hat mir geholfen“
Neben dem Corona-Tattoo folgte aber auch ein zweites. Ein ganz Besonderes für Diana Engelhardt. Als sie ihren Ärmel hochkrempelt, fließen ihr Tränen runter. Auf dem Tattoo sieht man Thea. Ein Eichhörnchen. Die Beiden verbindet eine besondere Mensch-Tierfreundschaft. Diana Engelhardt ist vor ihrer Erkrankung noch selbstständig nebenbei als Fotografin tätig gewesen. Sie setzt das Eichhörnchen Thea und bald noch weitere drei Eichhörnchen sehr gerne in Szene. Viele Bilder hat sie damals von Thea und ihren Freunden gemacht.
Gerade Eichhörnchen Thea hat Diana Engelhardt durch die schwere Zeit geholfen. „Sie war der Grund, weshalb ich mich jeden Tag gefreut habe. Ich habe sie stundenlang beobachten können und mir den Arsch abgefeiert, wenn sie gekommen ist.“ Für Diana steht fest, ohne die kleinen wilden Nager, hätte sie die Zeit nicht so gut überstanden. Mittlerweile kommt Thea nicht mehr zu Diana auf den Balkon. „Ich glaube, sie ist schon verstorben. Es wirkt aber fast so, als wären sie extra nur für mich gekommen, um mich bei meiner schweren Zeit zu unterstützen.“


„Respekt vor der Zukunft“
Diana Engelhardt geht es nun, rund fünf Jahre nach der Corona-Pandemie, besser. Sie macht täglich Fortschritte und übt weiter mit Denkspielen an ihrer Konzentration und den Wortfindungsstörungen. „Manchmal fehlen mir die passenden Worte, oder ich vergesse Sachen“, sagt sie. Aber es sei kein Vergleich mehr zu vor zwei Jahren. Gegen ihre Depressionen nimmt sie weiterhin Medikamente. „Ich bin ehrlich, ich habe schon Respekt davor, wenn ich die Medikamente absetzte.“ Aber Diana Engelhardt gibt nicht auf. Sie möchte sich ihr Leben von vor Corona so gut es geht zurück erkämpfen.
Arbeiten geht Diana Engelhardt nur noch 20 Stunden in der Woche, mehr schafft sie nicht. Erst vor Kurzem hat sie ihre Arbeitszeit von 25 Stunden reduziert. Gemeinsam mit ihrem Mann hat sie sich jetzt die Ruhrtop-Karte geholt. „Wir haben früher lange Spaziergänge gemacht, das kann ich so nicht mehr. Ich hoffe durch die Ruhrtop-Karte haben wir wieder mehr Motivation rauszugehen.“ Auf eine Sache freut sich Diana dabei am meisten. Seit sie ihre Selbständigkeit in der Fotografie, aufgrund ihrer Erkrankung aufgeben musste, freut sie sich besonders Anlässe für Schnappschüsse zu finden. „Ich werde in die Zoos gehen und dort für mich ganz in Ruhe die Tiere fotografieren.“