Sonderpädagogik

Lehrer-Mangel in Castrop-Rauxel: „Mindestens vier Stellen im Minus“

Es gibt zu wenig Lehrer. In Castrop-Rauxel ist die Situation vor allem an Förderschulen schlecht. Rosie Uysal leitet eine Förderschule. Sie und ihr Team versuchen alles, um den Kindern gerecht zu werden.

Castrop-Rauxel

, 03.08.2022 / Lesedauer: 4 min

Viele Menschen halten den Lehrerberuf für einfach. Sie verweisen auf lange Ferien und vermeintlich kurze Arbeitstage. Doch wer das glaubt, sollte sich mal mit Rosie Uysal unterhalten.

Rosie Uysal leitet eine Förderschule in Castrop-Rauxel, die Hans-Christian-Andersen-Schule in Deininghausen. 2013 hat die Sonderpädagogin die Schulleitung übernommen, seitdem sind die Anmeldezahlen in die Höhe geschnellt.

„Wir sind stetig gewachsen. Für das kommende Schuljahr haben wir einen Rekord an Anmeldezahlen“, sagt sie. 150 Schülerinnen und Schüler werden voraussichtlich nach den Sommerferien an der Förderschule unterrichtet, die sich um Grundschulkinder mit Sprachentwicklungsstörungen kümmert.

„Bildungskatastrophe“: Lehrer fehlen

Da es keine Anmeldefrist gibt, können es aber auch noch mehr werden, und das eine Woche vor Beginn des Schuljahres 2022/23. Rosie Uysal muss mit allem rechnen, sie jongliert bei ihrer Schuljahresplanung mit vielen Unbekannten. „Momentan kümmere ich mich um den Schüler-Spezialverkehr“, sagt sie. Eigentlich eine Aufgabe ihrer Stellvertreterin oder ihres Stellvertreters. Aber den gibt es nicht.

Also sitzt sie nun über den Plänen. Bespricht mit den Eltern, wann die Kinder wo vom Schulbus abgeholt werden, gleicht Adressen ab, koordiniert gemeinsam mit dem Busunternehmen die Touren. Und dann ist da auch noch der Stundenplan, der vorbereitet werden muss.

Die Hans-Christian-Andersen-Schule in Deininghausen hat zu wenige Sonderpädagogen. © Marcel Witte (A)

Mit zu wenigen Lehrern hat nicht nur die Förderschule in Deininghausen zu kämpfen. Kürzlich schlug die oppositionelle NRW-SPD Alarm, sprach von einer „Bildungskatastrophe“ wegen des Lehrermangels. 2,7 Prozent der Stellen seien unbesetzt. Die Fraktion berief sich dabei auf Informationen des Schulministeriums und Berichte der Deutschen Presse-Agentur. Allerdings: Als die SPD in NRW noch regierte, war die Situation nicht besser.

Die Bezirksregierung Münster nennt die Stellensituation an Castrop-Rauxels Schulen insgesamt „gut“. Sie schränkt jedoch ein und teilt auf Anfrage unserer Redaktion mit, dass es bei den Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen anders aussieht.

Außer der Hans-Christian-Andersen-Schule gibt es in Castrop-Rauxel als zweite Förderschule die Martin-Luther-King-Schule. Nach Informationen der Bezirksregierung Münster fehlen an diesen zwei Schulen insgesamt fünf Sonderpädagogen und eine sozial-pädagogische Fachkraft (Stand: 22.6.).

Stellenbesetzung ist nicht gut: Sie liegt bei 84 Prozent

Die Stellenbesetzung liegt demnach laut Bezirksregierung an den Förderschulen bei 86 Prozent. Die Hans-Christian-Andersen-Schule lag sogar darunter, bei 84 Prozent. Das klingt erst einmal nicht wenig. Aber es bedeutet: „Wir haben für jede Klasse und jede Schulstunde genau eine Lehrkraft. Eigentlich vorgesehene und notwendige Doppelbesetzungen müssen zurzeit ausfallen.“

Inklusive Rosie Uysal gibt es dreizehn Sonderpädagogen, drei Lehramtsanwärter und zwei Vertretungslehrer, die noch Lehramtsstudierende sind, an der Schule. Wenn also jemand ausfällt, müssen alle anderen Kräfte das kompensieren.

An anderen Schulen würden im Notfall die Kinder vielleicht eher nachhause geschickt, oder ein Fachlehrer springt ein. „Bei uns geht das aufgrund des Spezialverkehrs nicht. Die Kinder sind den ganzen Tag hier und wir wollen ihnen gerecht werden.“ Die Lösung sei dann, die eine Klasse ohne Lehrerin auf die anderen Klassen zu verteilen. Anders gehe es nicht.

„Wir sind vermutlich mindestens vier Stellen im Minus“, schätzt Rosie Uysal. Ganz genau könne sie das nicht sagen, die nächste offizielle Berechnung erfolgt im September.

Bereits im März muss sie immer eine Prognose für den Bedarf des kommenden Schuljahrs abgeben. Doch während die Regelschulen zu diesem Zeitpunkt ihre Schülerzahl ziemlich gut kennen, ziehen sich die Anmelde-Verfahren an der Förderschule teilweise bis ins neue Schuljahr und machen die Bedarfsrechnung dementsprechend kompliziert.

Sonderpädagogen an einer Förderschule unterrichten in Vollzeit 27,5 Stunden in der Woche. Dazu kommen Vor- und Nachbereitung des Unterrichts, die Elternarbeit und die Zusammenarbeit mit der Familienhilfe oder Therapeuten. Die Kinder, die an der Schule in Deininghausen unterrichtet werden, haben „grundlegende Probleme in der Sprachentwicklung“, so die Schulleiterin.

„Wir fangen langsamer an. Das bedeutet, dass die Schuleingangsphase für die meisten Schülerinnen und Schüler aus drei Jahren besteht, statt aus zwei. Die Kinder verbleiben in dieser Zeit im Klassenverband.“ Im dritten Schulbesuchsjahr geht es aber im normalen Grundschultempo weiter, da die Kinder die regulären Grundschulziele erreichen sollen.

Prekäre Situation: Trotzdem liebt Rosie Uysal ihren Beruf

Und das gelinge durchaus: Manch Ehemaliger kehre später als Praktikant an die Förderschule zurück, erzählt Rosie Uysal. Ein Ex-Schüler stehe vor seinem Realschulabschluss und wolle anschließend das Fachabitur machen.

Trotz der prekären Stellensituation liebt Rosie Uysal ihren Beruf. „Wir setzen uns mit der ganzheitlichen Entwicklung der Kinder auseinander“, sagt sie. „Eines unserer Ziele ist es, den Kindern Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen zu vermitteln. Es geht darum, die Stärken zu erkennen und zu fördern.“

Eine gute Nachricht gibt es für Rosie Uysal jetzt schon: Eine Referendarin wird im August ihre Prüfung ablegen und dann an der Förderschule in Deininghausen bleiben.

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