Erzieherin Larissa Michalak vermisst die Wertschätzung Wie ihr Kita-Alltag wirklich aussieht

Wenn die Wertschätzung fehlt: Erzieherin Larissa Michalak berichtet
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In der neunten Klasse macht die Castrop-Rauxelerin Larissa Michalak (24) ein Praktikum in ihrem alten Kindergarten. Bis zum Praktikum hat sie keine Ahnung, was sie nach der Schule machen möchte, aber nach dem Praktikum steht ihr Wunsch felsenfest: Sie will Erzieherin werden.

Der Weg dahin verläuft alles andere als geradlinig. Larissa Michalak: „Ich habe erst mal meinen Realschulabschluss nachgemacht, zwei Jahre Fachabitur und dann die eigentlichen drei Jahre Ausbildung. Aber ich habe ein Jahr wiederholt. Mein Anerkennungsjahr habe ich zweimal gemacht. Nach sieben Jahren war ich dann endlich fertig.“ Mittlerweile ist sie seit zwei Jahren Erzieherin in der städtischen Villa Kunterbunt in Ickern-End.

Geld erst im dritten Jahr

In den ersten zwei Ausbildungsjahren bekommt Larissa Michalak kein Geld: „Ich habe, als ich 18 geworden bin, in der Tankstelle angefangen zu arbeiten.“ Bis sie im Anerkennungsjahr Geld bekommt, arbeitet sie dort zusammen mit ihrer Mutter: „Ich bin da auch groß geworden, die Tankstelle war ein bisschen wie ein zweites zu Hause.“ Sie wohnt während der ersten zwei Ausbildungsjahre auch noch bei ihren Eltern, auszuziehen wäre finanziell nicht drin gewesen: „Ich bin dann im Anerkennungsjahr ausgezogen. Das hätte ich aber ohne meinen Partner auch nicht geschafft, weil der dann auch noch Geld mit reingebracht hat.“

Die Unterstützung, die es vom Staat für Auszubildende gibt, findet sie absolut unzureichend: „BAföG ist eine totale Katastrophe. Ich hätte damals kein BAföG bekommen, weil meine Mutter sieben Tage die Woche arbeiten gegangen ist.“ Im besten Fall hätte sie vielleicht 50 Euro bekommen, rechnet sie vor. „Ich brauchte es auch nicht, weil ich zu Hause gewohnt habe, aber das kann halt nicht jeder.“

Viel Theorie und erst spät die Praxis

Während Larissa Michalak ihren Beruf sehr liebt, fand sie die Ausbildung alles andere als schön: „Ich kenne viele. Und auch für mich selbst war die Ausbildung die Hölle. Da verlangt man viel von einem ab.“ Sie kritisiert besonders, wie theoretisch die Ausbildung ist. Sie kramt für uns ihre alten Lehrbücher aus dem Schrank. In den dicken Wälzern geht es auf etlichen Seiten darum, wie man theoretisch Erzieherin ist: „Heute wende ich davon nur total wenig wirklich an.“

Das ist nur ein kleiner Teil der vielen Unterlagen, die Larissa Michalak noch aus ihrer Ausbildung hat.
Das ist nur ein kleiner Teil der vielen Unterlagen, die Larissa Michalak noch aus ihrer Ausbildung hat. Von der Theorie, die sie damals gelernt hat, wendet sie heute nicht viel an. Der Kita-Alltag sieht in der Realität einfach anders aus als im Lehrbuch. © Nora Varga

Natürlich sei es auch wichtig, sich mit der Pädagogik hinter dem Job zu beschäftigen: „Wir hatten zum Beispiel Traumapädagogik. Gerade in Bezug auf die Flüchtlingskrise wichtig. Auch das Thema Kindeswohlgefährdung, das war tatsächlich interessant. Das sind Dinge, die man braucht.“

Für sie müsste die Ausbildung mehr Fokus auf die Praxis legen. Sechs Wochen Praktikum in einem Jahr seien einfach nicht genug: „Ich war zum Beispiel nicht gut in der Schule, aber ich würde von mir schon sagen, dass ich eine gute Erzieherin bin.“ Mittlerweile gibt es die PiA (praxisintegrierte Ausbildung), hier verbringen die Auszubildenden viel mehr Zeit im Kita-Alltag. Larissa Michalak: „Das ist eine gute Sache. Das sollte man ausweiten.“

Die Klischees halten sich

Wie anstrengend die Tage in den Kitas sind, das sei vielen Menschen nicht klar: „Es fehlt einfach oft die Wertschätzung. Viele Leute sagen, du trinkst ja nur Kaffee und spielst mit den Kindern.“ Larissa Michalak hat sich an dieses Klischee gewöhnt: „Ich bin dann immer ganz entspannt und ich sage ‚Ja, mache ich auch. Wenn ich morgens komme, dann hol’ ich mir erst mal einen Kaffee und setz mich erst mal auf den Bauteppich.‘ Aber die sehen halt die ganzen anderen Sachen nicht.“ Es lohne sich nach ihrer Erfahrung nicht, mit solchen Menschen zu diskutieren.

Der Job einer Erzieherin sei einfach anstrengend: „Diese Menschen würden niemals in einem Raum mit 25 Kindern sitzen. Selbst wenn die alle in Ruhe in ihrem Spiel sind, sind die einfach laut.“ Zu jedem Kind fertigen die Erzieherinnen und Erzieher Berichte an, beobachten die Entwicklung, halten wichtige Meilensteine fest. Den Papierkram macht Larissa Michalak manchmal auch noch zu Hause nach Feierabend: „Ich finde ganz häufig die Zeit einfach nicht auf der Arbeit und möchte dann lieber, dass es vernünftig gemacht ist und mache es dann doch mal eine Stunde nach Feierabend.“

Auf die Wünsche der Kinder eingehen

Die Zeit in der Kita möchte sie lieber direkt für die Kinder einsetzen: „Wir machen natürlich auch noch Projekte zu dem, was die Kinder gerade interessiert. Bei uns sind Dinos gerade zum Beispiel total angesagt und dann versuchen wir dazu etwas zu machen.“ Es sei wichtig, dass man auf das eingeht, was die Kinder mitbringen: „Es gab dann ein Dinoforscher-Zimmer. Wir haben eine Höhle aufgebaut, mit Höhlenmalerei von innen. Es gab eine Sandkiste mit Fossilien, die Kinder aus Salzteig geknetet haben und dann ausgraben konnten.“ Sie mache sich immer Gedanken dazu, was man den Kindern als Nächstes anbieten kann, damit sie sich kreativ ausleben können.

Obendrauf kommen neben Dokumentationen und dem normalen Kita-Alltag dann noch Elterngespräche, große Kita-Feste, Geburtstage oder einzelne Kinder, die besonders viel Aufmerksamkeit brauchen.

Trotzdem kommt Larissa Michalak jeden Tag gerne zur Arbeit: „Wenn ich schlechte Laune habe, komme ich auf die Arbeit, dann kommt mit jedem Kind mehr Freude auf. Die Kinder sind super wertschätzend. Und selbst wenn die morgens nur reinkommen und auf dich zu rennen und sagen ‚Hallo Larissa, schön, dass du da bist.‘ Das gibt unglaublich viel zurück.“

In ihrer Kita und auch in ihrer eigenen Gruppe fühlt sich die Castrop-Rauxelerin sehr wohl. Nicht nur mit ihren Kolleginnen und Kindern habe sie Glück, sondern auch mit den Eltern: „Die haben auch Lust, zu Elternabenden zu kommen oder im Elternrat mitzuwirken.“ Aber es gibt immer wieder auch Eltern, die nicht sehen können oder wollen, wie viel die Erzieherinnen zu tun haben. „Das ist manchmal einfach schwierig. Eltern wollen dann zwischen Tür und Angel wissen, wie viel ihr Kind gegessen hat oder wie oft es auf Toilette war, wir versuchen uns das immer zu merken und im Team weiterzugeben, aber es geht eben nicht immer.“

Erzieherinnen müssen spontan sein

Manchmal sei das zermürbend, den Job wechseln kommt für Larissa Michalak aber nicht infrage. Durch ihren Beruf habe sie viel gelernt: „Ich bin viel geduldiger, gerade in meinem ersten Jahr nach der Ausbildung habe ich da viel mitgenommen.“ Sie kann den Beruf der Erzieherin oder des Erziehers jedem wärmstens ans Herz legen. Ein paar Dinge sollte man allerdings mitbringen: „Empathie, Wertschätzung und man sollte damit zurechtkommen, dass nicht immer alles nach Plan läuft.“

Ein wichtiger Faktor, um mehr Menschen in den Beruf zu holen, sei das Gehalt: „Ich finde schon, dass Erzieher mehr verdienen sollten. Ich lebe von meinem Gehalt auf jeden Fall nicht schlecht, trotzdem sollte es mehr Geld geben und die allgemeinen Arbeitsbedingungen sollten verbessert werden.“ Es müsse gar nicht immer mehr Top-Pädagogen in den Kitas geben.

Manchmal sei eine helfende Hand viel wichtiger, die eben den Tisch abräumt, einen Lappen zum Aufwischen holt oder schon mal das Bastelzeug bereitstellt. An den Streiks der vergangenen Wochen hat sich Larissa Michalak gerne beteiligt, es sei ihr wichtig, für ihren Beruf einzustehen. Die Eltern in der Villa Kunterbunt haben für die streikenden Erzieherinnen Verständnis: „Da kommen nur ganz selten mal doofe Sprüche, viele sehen das eigentlich wie wir.“

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