
© Inka Hermanski
Kuriose Schlagzeilen, die wir ohne Corona nie gelesen hätten
Coronavirus
Seit einem Jahr hat die Corona-Krise Castrop-Rauxel im Griff. Das Virus sorgte für Schlagzeilen, die ohne Pandemie keinerlei Sinn ergeben hätten. Wir haben einige der Skurrilsten gesammelt.
Es war der 12.3.2020, als die erste Coronavirus-Infektion in Castrop-Rauxel entdeckt und gemeldet wurde. Seither haben sich 2500 Menschen wissentlich infiziert. In diesen 365 Tagen haben sich die Menschen in Castrop-Rauxel und im Rest der Welt an Dinge und Begriffe gewöhnt, die sie sich vor der Pandemie nie hätten vorstellen können: Maskenpflicht, Homeschooling, Sars-CoV-2, PCR-Test, Aerosole, dritte Welle, FFP2-Maske, Abstandsregeln, AHA+L, exponentielles Wachstum, Inzidenz, R-Wert und, und und.
Es waren kuriose Meldungen, die einem vor Ausbruch des Virus in Castrop-Rauxel die Leser niemals abgenommen hätten. Erst seit Beginn der Pandemie ergeben sie Sinn. Zuweilen endet das in Schlagzeilen, die vor einem Jahr unvorstellbar erschienen.
Los ging es Anfang Februar, als Corona noch gar nicht da war: Wir titelten einen Artikel mit „Vorbeugung gegen Corona-Virus: Lieber dauernd Hände waschen als Mundschutz tragen“. Apotheker Claus Ehrensberger gab uns darin am 8.2.2020 vorbeugende Verhaltens-Tipps. Er meinte, ein Mundschutz sei nur in Einzelfällen nötig. Aus heutiger Sicht: kurios.
„Handballer kapitulieren vor dem Coronavirus“ lautete eine Überschrift am 12.3.2020. Die waren echt früh dran. Am 22.3.2020 folgte der Rest der Stadt: „Kontaktverbote wegen Corona: Bürgermeister Rajko Kravanja betont: ‚Jetzt wird es bitterernst‘“ war die Schlagzeile, die den Lockdown einleitete. „Wir ist das neue Ich“ lautete der Titel einer Video-Kampagne fünf Tage später, die Kravanja intensiv unterstützte – und die Hunderte rote Stoffmasken populär machten.
Dass die Dramatik selbst in Supermärkten ankam, bekamen wir durch Hamsterkäufe in dieser Phase zu spüren. „Edeka Gronemann denkt über weitere Maßnahmen in Corona-Krise nach“ schrieben wir am 31.3. Und einen Tag später: „Einkaufswagen-Pflicht in Castrop-Rauxel nicht weit verbreitet“. Ja, es gibt nicht nur jede Menge „Zentren“, sondern auch reichlich „Pflichten“, die man niemals zuvor hätte erahnen können. Wucherpreise von Toilettenpapier waren da längst verbreitet. Auch wenn später erst diese Idee aufkam: „Pascal Rathers ist der Retter in der großen Klopapiernot“ – Ende Oktober gab es das begehrte Zeug rollenweise in einem Automaten, an dem man sonst Grillfleisch bekommt.
Zahlen der Wasserwerke belegten eine These Anfang April, die da lautete: „Castrop-Rauxeler schlafen in Corona-Krise länger“ (6.4.). Der bei Gelsenwasser gemessene Wasserverbrauch stieg nicht wie sonst werktags üblich schon um 5.30 / 6 Uhr stark an, sondern erst gegen 8 Uhr.
Eine „Trauerfeier mit fast 500 Menschen in Merklinde“ (26.4.) mischte die Stadt Ende April auf. Was sonst staunend zur Kenntnis genommen worden wäre, bekam hier noch den Beisatz „Trotz Kontaktverbot“ bei uns – und wurde so ein Skandal.
Am 4.6. war Castrop-Rauxel erstmals wieder gänzlich coronafrei. Aber die zum Teil kuriosen Nachrichten in einer Welt ganz ohne Pandemie gingen weiter: „eingeschränkter Regelbetrieb“ war so ein neues Wort (15.6.). Wir schrieben damals: „Viele Castrop-Rauxeler Eltern lehnen die Öffnung der Grundschulen ab“.
Mitten im Sommer machten wir Schlagzeilen wie „Jeder vierte Corona-Infizierte im Kreis ist Reise-Rückkehrer“ (29.7.). Und im August gab es weise vorausschauende Menschen, für die wir titelten: „Corona-Gefahr: CCCS-Rot-Weiß sagt Karneval in Castrop-Rauxel ab“ (20.8.) – man beachte den Zeitpunkt. So ging es in den Herbst, an dessen Anfang es hieß: „Warnstufe Rot im Kreis: Jetzt gilt Maskenpflicht auch in Fußgängerzonen“ (10.10.). Am 11.12. stand fest, was sich lange angebahnt hatte und sich in dieser Schlagzeile niederschlug: „Bürgermeister Kravanja zu Corona-Lockdown: ‚Jetzt haben wir den Salat‘“.
Dieser „Salat“ brachte sonderbare Weihnachten: „Entscheidung: Evangelische Gottesdienste ab sofort nur noch ohne Besucher“ brachte am 17.12. den Anfang einer Reihe von Absagen, einen Tag später stand fest: „Offizielles Verbot: Kein Sternsinger-Besuch an den Haustüren“. Wo, wenn nicht dort, sollten die Kinder denn bitte sammeln? „Wenige Gäste, kein Feuerwerk, keine Party“ war am 21.12. Fakt zu Silvester. Es war eine Phase, in der wir auch titelten: „Inzidenz im Kreis fällt deutlich unter die 200“. Was war das? Freude auf hohem Niveau?
2021 begann das Impfen. „Corona-Impfstoff reißt Lücken bei Rettungsdiensten im Kreis Recklinghausen“ titelten wir am 17.2., weil es Impfreaktionen bei AstraZeneca gab: Husten, Schnupfen, leichtes Fieber und ein bis zwei Krankentage kamen da zusammen.
Am 23.2. schrieben wir: „Corona-Panne im Impfzentrum: Plötzlich gibt es geimpfte Lehrer aus Herten“. Impfneider. Impfvordrängler. All diese Menschengruppen bekamen Namen, wie 2020 schon die seltsamen Querdenker, die uns mit einem Autokorso zu dieser Schlagzeile brachten: „Bekannter Neonazi streamt Corona-Querdenker-Autokorso“ (11.1.).
Aber machen wir lieber lustig-kurios weiter: „Neuer Schulleiter lernt „seine“ Schüler an der Bushaltestelle kennen“ schrieben wir am 22.2.: Jan Hagedorn (32) hatte am ersten Schultag nach dem Corona-Lockdown viele Eltern der Cottenburgschule persönlich begrüßt. Und zwar wirklich an der Bushaltestelle.
Dann schauten wir auf die „Corona-Sorgen unserer Kinder“ und erzählten die Geschichte von einem Jungen, der sagte: „Ich vermisse das Schmusen mit Oma“ (24.2.). Eher traurig war auch die Nachricht hinter „Verschoben auf den Sankt-Nimmerleins-Tag: Wann feiern wir wieder Hochzeiten?“ (2.3.) Immerhin hieß es aber auch: „AstraZeneca begehrt: Impfzentrum Recklinghausen öffnet nun alle Impfstraßen“ (4.3.)
„Anrufen, mailen, klopfen: In Castrop startet Einkaufen mit Termin“, war eine Schlagzeile vom 8.3.: Wer einkaufen will, kann das gar nicht einfach tun. Wahnsinn, wenn man an die Vor-Corona-Zeit zurückdenkt. Ebenso unglaublich: „Quarantäne-Zaun bleibt, obwohl die Häuser fast alle wieder offen sind“ hieß es am 10.3.2021: Ein Zaun? Eine Quarantäne? Was bitte soll das denn? Wir leben in einem Staat, in dem es um Einigkeit, Recht und Freiheit geht. Eine Pandemie hebelt Grundrechte aus.
„Warum hat Ihre Schule schon komplett geöffnet, Frau Uysal?“ fragten wir in einem Interview am 9.3.2021. Eine Schule komplett zu öffnen: Wieso sollte eine Schule halb geschlossen sein?
Dinge, die wir nun, nach einem Jahr Pandemie, neu lernen „durften“. Click & Meet. Drive-In-Testzentrum. Schnelltestzentrum. Abstrichzentrum. Impfzentrum. Alles ist heute eben voller Zentren. Die alten Zentren dagegen sind leer.
Gebürtiger Münsterländer, Jahrgang 1979. Redakteur bei Lensing Media seit 2007. Fußballfreund und fasziniert von den Entwicklungen in der Medienwelt seit dem Jahrtausendwechsel.
