Realschul-Konrektor: „Die Krise macht mit jedem Menschen was. Auch mit unseren Schülern“
Für Schulen ist die Situation speziell. Das bestätigt Volker Supanc. Der stellvertretende Schulleiter der Castrop-Rauxeler Realschule über Chancen der Corona-Krise, Noten und Notfallpläne.
Volker Supanc aus Dortmund ist Lehrer an der Fridtjof-Nansen-Realschule in Habinghorst. Er unterrichtet Deutsch und Erdkunde und ist seit rund 15 Jahren auch stellvertretender Schuleiter. Eine Phase wie diese ist für alle neu. Auch für ihn. Was macht das Coronavirus mit einer Schule mit rund 800 Schülern? Ein Interview.
Wie geht es eigentlich gerade in den Schulen zu: Das war meine Leitfrage. Ich rufe bei der Fridtjof-Nansen-Realschule an und erreiche erst die Sekretärin und dann Sie, Herr Supanc. Was ist Ihre erste Antwort?Ich empfinde es so, dass es gerade sehr viele Aktivitäten gibt: Unsere Lehrer und Lehrerinnen finden immer neue Möglichkeiten und Plattformen im Internet. Ein Beispiel ist Learning View, eine Plattform, auf der man Lernpläne koordinieren kann. Nicht alle Lehrer sind gleichermaßen technikaffin, aber sie arbeiten sich ein. Sie geben ihre Aufgaben über E-Mails, WhatsApp oder über andere Plattformen an die Schüler weiter. Zudem erscheinen die Aufgaben auch nach Klassen und Kursen geordnet auf unserer Homepage. Die Lehrer korrigieren die Aufgaben dann im Home Office. Wir versuchen, die Situation zu bewältigen, wie sie gerade ist.Was ist das Signal aus dem Kollegium?Es ist respektabel, dass die Lehrer so untereinander in Kontakt stehen. Sie helfen sich gegenseitig. Die Schulleitung hat sich die Tage in der Woche untereinander aufgeteilt, an denen wir selbst in der Schule anwesend sind.
Sie sollen ja auch eine Notbetreuung anbieten. Sie haben 800 Schüler und Schülerinnen. Wie viele kommen denn zurzeit?Keine. Seit dem Wochenende reicht ja nun ein Elternteil in einem systemkritischen Beruf. Darum war ich am Montagmorgen da. Ich habe trotzdem festgestellt: Es ist kein Bedarf da, es gibt keinen Elternanruf, es gibt keine Anmeldung für eine Notbetreuung. Trotzdem arbeiten wir nun an einem Plan, um rechtzeitig Lehrkräfte für eine Notbetreuung in der Schule zu haben, auch wenn es Bedarf während der Ferien oder an den Wochenenden gäbe.Wie kommunizieren Sie denn schnell im Kollegium?Es gab bisher neun Rundmails des Schulministeriums. Die haben wir immer schnell unter allen Kollegen verteilt. Jeder Lehrer ist morgens um 10 Uhr angehalten, schnell auf Mailabfragen zu reagieren. Die meisten Lehrer erreichen morgens gegen 9 Uhr ihre Schüler und Schülerinnen. Wenn etwas Wichtiges zu klären ist, wie unser Notfallplan, dann bekomme ich so gegen 10 Uhr schnell alle Antworten.Was steht in den Mails der Landesregierung?Verschiedenes ist zu regeln: Was passiert mit den zentralen Abschlussprüfungen, die bald anstehen? Was mit der Anzahl der Klassenarbeiten? In einer der nächsten Rundmails, die die nächsten Tage kommen soll, soll es Klarheit zu diesen juristischen Fragen geben.
Wie gehen Sie mit Benotungen in dieser Phase um?Wir werden alles, was zurzeit geschieht, nur positiv bewerten. Tatsächlich machen wir die Erfahrung, dass nur ganz wenige Schüler nicht motiviert bei der Sache sind. Fast alle sind pünktlich mit ihren Aufgaben fertig, fragen bei den Klassenlehrern nach, wenn es Unklarheiten gibt. Was ich mitkriege ist: Die Schüler sind sehr motiviert.Ich habe zum Beispiel eine Lesemappe aufgegeben: Die Schüler müssen ein Jugendbuch lesen und haben Aufgaben dazu bekommen. Nur, damit keine Unruhe aufkommt: Ich habe klar formuliert, dass bis zum Ende der Osterferien niemand in der Schule ist. Darum ist meine Botschaft: alle Aufgaben so gut es geht und in Ruhe erledigen!Wir dürfen nicht vergessen: Die Krise macht mit jedem Menschen was. Auch mit unseren Schülern, die damit zu kämpfen haben, dass sie ihre Freunde nicht treffen können. Wir versuchen, das Gute herauszunehmen, und sagen: Es wird sich niemand verschlechtern. Wichtig ist für uns: Wir wollen die positiven Gedanken nach vorne bringen. Jeder hat seine eigene Geschichte zu tragen, seine Sicht auf die Welt. Das macht was mit einem.Gibt es denn bei den Schülern keine technischen Barrieren? Klar, ein Smartphone hat heute wohl jeder. Aber ein Gerät mit Tastatur und Drucker? Wir hören, dass das nicht mehr alltäglich ist.Technische Probleme gibt es kaum. Klar, es gibt Schüler, die nur ihr Handy haben. Wenn sie etwas ausdrucken müssen, schaffen sie es aber bisher immer irgendwie. Wir müssen da einfach kreativ sein. Jeder Klassenlehrer hat auf jeden Fall irgendwie Kontakt zu all seinen Schülern. Auch die Fachlehrer schicken ihre Aufgaben an die Klassenlehrer.
„Tatsächlich machen wir die Erfahrung, dass nur ganz wenige Schüler nicht motiviert bei der Sache sind.“
Klingt nach einer Mammut-Aufgabe…Ja, aber es wird positiv aufgenommen. Es ist eine neue Erfahrung für alle, über die Distanz zu lernen. Es entstehen viele kreative Dinge: eine Foto-Collage der Lehrer mit der Botschaft „Bleibt zu Hause“ zum Beispiel. Ein Religionslehrer hat ein Projekt gestartet, wo Lehrerinnen und Schülerinnen in einem Tagebuch, einer Bild-Collage oder anderem mitteilen können, was sie gerade beschäftigt. Diese Projekte und diese Menschen sind es, die motivieren, das Bestmögliche aus dieser Krise zu machen.Sie selbst sind gerade in der Schule, Ihre Schulsekretärin auch. Was machen Sie denn da jetzt?Ich bin in engem Austausch mit anderen Lehrern, und auch das empfinde ich als sehr belebend. Ich wollte eigentlich mein Büro aufräumen. Aber das habe ich maximal eine halbe Stunde geschafft. Den Rest des Tages schreibe ich, telefoniere, halte Kontakt zu Kollegen. Wir versuchen, zu beruhigen, wo es Aufgeregtheiten gibt.
Die müsste es ja auch geben. Ja, aktuell geht es zum Beispiel darum, wie wir die Kollegen und Schüler schützen, wenn wir Notbetreuung anbieten müssen. Wir haben keine Atemschutzmasken oder Handschuhe. Die bräuchten wir aber, weil wir zwei Meter Abstand nicht einhalten könnten.Was ist denn Ihre Prognose, wie es weiter geht?Meine private Prognose interessiert nicht. Aber klar ist: Genau das fragen wir uns alle. Da ist nun das Ministerium gefragt. Aber in einer der nächsten Rundmails soll es ja Antworten geben.
Haben Sie die Sorge, dass sich vieles in diesen Wochen in den Köpfen der Schüler verflüchtigt? Ein Hauptschul-Rektor aus Dortmund hat sogar die Sorge, dass Tagesstruktur und soziales Zusammenleben leiden.Tatsächlich beziehen sich die Aufgaben auf erlernten Stoff oder Methoden. Die Schüler wenden bekannte Arbeitsweisen an oder wiederholen bestimmte Lernbereiche. Neuen Unterrichtsstoff kann man bedingt vermitteln. Wir verschicken Links zu Lernvideos von Planet Schule oder Planet Wissen. Wenn aber komplexe Inhalte neu vermittelt werden sollen, wird es schwierig. Da geht man oft mit kleinen Schritten voran, die im Unterrichtsgespräch erarbeitet werden. Man kann dies sicher auch digital in Einzelarbeit leisten, aber das ist deutlich schwieriger.Ich sehe das nicht so pessimistisch, auch wenn ein Vergessenseffekt da ist. Nach einigen Wochen wird es irgendwann schwierig für einzelne Schüler, sich zum Selbstlernen zu motivieren. Aber auch damit müssen wir fertig werden. Keine Frage: Es gibt immer irgendwo Nachteile. Aber wir können die Situation nicht ändern. Vielleicht, nein, ganz bestimmt lernen wir gerade ganz andere Dinge. Gesundheit geht in jedem Fall vor.
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