
© Bettinger
Nils Bettinger im Interview: "Ich bin einfach mit viel Herzblut dabei"
Kommunalwahl 2020
Bei der Kommunalwahl will Nils Bettinger für die FDP Bürgermeister werden. Warum er Amtsinhaber Kravanja zwar schätzt, aber findet, dass zu viel unerledigt geblieben ist, erklärt er im Interview.
Gerade einmal 4,8 Prozent der Stimmen hat FDP-Politiker Nils Bettinger bei der Bürgermeisterwahl 2015 geholt. Warum er erneut antritt, wie er die Stadt voranbringen möchte und warum ihm bei jedwedem Wahlausgang nicht angst und bange ist, verrät er im Interview.
Zur Person
Nils Bettinger ist seit 10 Jahren für die FDP in Castrop-Rauxel im Rat aktiv. Der 47-Jährige lebt mit seinen zwei Katzen in der Altstadt und ist ledig, aber vergeben. Er unterrichtet als Lehrer Informatik an der Gesamtschule Waltrop.Herr Bettinger, wenn man sich Ihre Aktivitäten auf Facebook anguckt, dann hat man den Eindruck, dass Sie sich mit dem Amtsinhaber Rajko Kravanja sehr gut verstehen, beruflich und auch privat. Was hat Kravanja seit seiner Wahl am besten gemacht?
Sie haben recht, wir verstehen uns tatsächlich gut. Trotzdem haben wir einen Wettstreit um Ideen in der Politik, und da stehen Rajko Kravanja und ich uns an der ein oder anderen Stelle ein bisschen gegenüber. Was hat er bis jetzt gut gemacht? Er hat hinten raus ein paar Dinge gut gemacht, zum Beispiel das Bürgerbüro besser aufgestellt, mit der Stadt Bochum eine interkommunale Vereinbarung gesucht. Also: Was er in den letzten Wochen gemacht hat, war gut. Es ist nur schade, dass das erst jetzt passiert ist.
Was war vorher schlecht?
Er hat aus meiner Sicht einiges liegen lassen. Es waren ein paar Projekte, die wir schon vor langer Zeit angestoßen haben, die er einfach nicht realisiert hat. Was mir da immer besonders unter den Nägeln brennt, ist das Inklusionskonzept. Das wurde 2013 angestoßen, und 2017 haben wir zuletzt was drüber gehört. Ich habe immer wieder nachgefragt, da kommt nichts.
Dann die Verbesserung der Bürgerschnittstellen abseits des Bürgerbüros, also Bauordnungsamt und Ordnungsamt und so weiter. Da kam drei Jahre lang überhaupt nichts. Die Digitalisierung im Rathaus kommt nicht voran. Das, was jetzt vorgestellt wurde als Digitalisierungsportal, ist äußerst dürftig.
Das Verkehrskonzept Altstadt, das wir 2015 beschlossen haben, ist immer noch nicht in Gänze umgesetzt. Also da ist noch einiges an Baustellen übrig geblieben.
Dann gehen wir doch mal die einzelnen Punkte an. Unter dem Stichwort Inklusionskonzept können sich viele Leute etwas vorstellen, aber wahrscheinlich nur die Wenigsten etwas Konkretes. Was schwebt Ihnen vor und wo gibt es Defizite?
Wir brauchen für die Politik Handlungsempfehlungen, ganz konkrete Dinge, die wir politisch umsetzen sollen. Dafür haben wir erbeten, dass wir bei der Umsetzung der EU-Richtlinie für die Inklusion hier vor Ort Hinweise bekommen. Die Uni Dortmund ist mit eingestiegen, wir haben große Arbeitskreise gebildet. Über Monate und Jahre haben die getagt, um zu Ergebnissen zu kommen. Dann wurde ein Zwischenbericht vorgestellt - und dann ist das in der Versenkung verschwunden.
Nur: So können wir den Menschen, die es im Alltag brauchen, nicht helfen. Ich sitze im Behindertenbeirat der Stadt und nehme da jede Anfrage von Vereinen und Leuten, die es angeht, wirklich dankbar auf. Ich stelle Anträge, dass da Abhilfe geschaffen wird, ob das jetzt ein Lift im Hallenbad ist oder eine Rampe am Bogi’s, damit man zum inklusiven Tanzen kommt. Das sind Einzelmaßnahmen, wir brauchen aber das große Konzept. Das fehlt, nach wie vor.
Ein weiterer Punkt, den Sie gerade genannt haben, war Verkehrskonzept Altstadt. Wo fehlt’s Ihnen da? Brauchen wir weniger Einbahnstraßen?
Ein neues Verkehrsleitsystem wäre auch mal wieder fällig. Wir haben hier nicht das Optimum. Aber im Bereich Radverkehr fehlt mir so viel. Beispielsweise hier am Bennertor, wo das Kaffeehaus ist: Da sollte eigentlich eine große Abstellanlage für Fahrräder sein, Tankstellen für E-Bikes. Das fehlt vollkommen. Wir haben die Mühlenstraße, wo ich sage: Sollte man nicht vielleicht darüber nachdenken, ob man daraus eine Fahrradstraße macht? Wir haben aber auch schon eine beschlossen, nämlich an der Langen Straße. Wo ist die denn eigentlich? Es ist schon zwei Jahre her, dass wir beschlossen haben, dass das eine Radfahrstraße wird. Das sind diese Verkehrskonzepte; aber natürlich auch im Bereich Autoverkehr. Wir haben ganz viele Dinge, die wir noch regeln müssen, wo ich sage, da ist viel zu wenig passiert.
Vieles von dem, was Sie jetzt gerade aufzählen, würde Geld kosten. Ist es angesichts von Corona überhaupt realistisch, dass wir viel investieren können in den nächsten Jahren?
Es ist eine Frage der Prioritätensetzung. Ich habe den Eindruck, dass Rajko Kravanja die Priorität auf Bauen in der Stadt und möglichst viel Ausweisung von Baugebieten gelegt hat. Das ist nicht verkehrt, aber da ist viel Energie reingeflossen. Ich denke, wenn wir unseren Haushalt ein bisschen anders priorisieren, und da haben wir Möglichkeiten...
...Beispielsweise welche?
Wir haben die Investitions-Dringlichkeitsliste. Die ist Sache der Politik. Auf der anderen Seite haben wir die Möglichkeit, Fördertöpfe anzuzapfen. Auch da muss sich das Rathaus anders aufstellen und vielleicht mal jemanden einstellen, der nur nach Förderungen sucht, damit wir günstiger an Projektrealisierungen kommen. Ich halte das für durchaus machbar. Und gerade im Bereich Verkehr und E-Mobilität haben wir viele große Fördertöpfe, wo wir ranmüssen. Die Dinge, die ich gerade genannt habe, sind zum Teil ja schon durchgerechnet. Die sind einfach nur in der Investitions-Dringlichkeitsliste zu weit unten priorisiert.
Sie werden bei der Wahl am 13. September grundsätzlich keinen ganz einfachen Stand haben, um es mal vorsichtig auszudrücken. Sie haben beim letzten Mal 4,8 Prozent der Stimmen geholt. Für wie hoch halten Sie die Chancen, dass Sie Bürgermeister werden oder, dass Sie es zumindest in die Stichwahl schaffen?
Darüber zerbreche ich mir tatsächlich nicht den Kopf. Ich komme mit einem Konzept um die Ecke, ich habe Visionen, was man hier in Castrop noch umsetzen könnte. Ich nehme jede Stimme mit, und jede Unterstützung soll für mich auch Ansporn sein, es politisch weiter zu treiben, wenn ich nicht Bürgermeister sein sollte. Ich denke jetzt nicht darüber nach, ob ich in die Stichwahl komme oder nicht, sondern bin einfach mit viel Herzblut dabei und hoffe das Beste.

Die fünf Bürgermeisterkandidaten für Castrop-Rauxel (v.l.): Manfred Fiedler, Nils Bettinger, Rajko Kravanja, Oliver Lind und Mario Rommel ganz rechts. © Grafik Martin Klose
Aber selbst wenn Sie Bürgermeister würden, wären Sie in Ihrem Handeln als Bürgermeister auf Mehrheiten angewiesen. Das, was Sie gerade skizziert haben an Projekten, an Vorhaben, Träumen – glauben Sie, dass Sie dafür Mehrheiten finden?
Ich glaube, wenn man das Bürgermeisteramt so versteht, dass man es nicht als Politiker betreibt und mit Parteipolitik im Hintergrund, dann geht das. Das heißt, ich müsste in dem Moment von meiner Parteipolitik zurücktreten und mich als Bürgermeister in den Dienst aller Parteien stellen. Das ist mir vollkommen klar. Dann muss ich natürlich für Ideen Mehrheiten suchen. Dazu gehört viel Transparenz, viele Gespräche, Offenheit und ein gutes Miteinander.
Wir haben gerade schon kurz über Haushaltsprobleme gesprochen. Haben Sie den Eindruck, dass das Land NRW, dass die Bundesregierung genug tut für die Städte?
Nein, natürlich nicht. Man lässt uns hier schon ein bisschen am ausgestreckten Arm verhungern. Wir bekommen von Bund und Land viele Aufgaben übertragen, aber die sind nicht immer auskömmlich finanziert. Gerade im sozialen Bereich. Da wurde jetzt nachgebessert, das ist hilfreich. Wir müssen aber schauen, dass wir da am Ball bleiben und dass das Geld auch in der Stadt ankommt.
In den ersten Jahren nach 2015 haben Sie in in einer Koalition zusammen mit dem Bürgermeister regiert. Insgesamt ist mein Eindruck zumindest, dass sich die etablierten Parteien in Castrop-Rauxel insgesamt sehr gut verstehen. Würden Sie das so teilen?
Schön, wenn wir den Eindruck nach außen vermitteln können. Wir streiten uns überwiegend in der Sache. Wir sind hier auf lokaler Ebene. Niemand steht morgens auf und hat die Idee, die Stadt in Schutt und Asche zu legen, sondern wir stehen auf und kämpfen um unsere Ideen. Jeder möchte das Beste für die Stadt. Man hat nur unterschiedliche Ansätze, wie man das realisieren möchte. Das ist das, was wir dem Wähler zur Verfügung stellen: unterschiedliche Ideen und Konzepte. Folgt meinem Weg oder folgt irgendeinem anderen demokratischen Weg, das ist vollkommen in Ordnung. Man muss theoretisch abends immer noch ein Bierchen zusammen trinken gehen können. Dann hat man in der Lokalpolitik alles richtig gemacht.
Also wenn Sie nicht gewännen, wäre Ihnen um Castrop-Rauxel in keinem Falle angst und bange?
Nein, das nicht.
Als Journalist arbeite ich seit mehr als 25 Jahren. Im Kreis Unna bin ich dagegen noch recht neu, aber voller Neugier auf Menschen, Städte und Gemeinden. Schreiben habe ich gelernt, komme aber viel zu selten dazu. Dafür stehe ich gerne mal vor der Kamera.
