Der Sohn von Anna H. ist viereinhalb Jahre alt. Zum zweiten Mal hat sie keinen Platz für ihn in einem Kindergarten bekommen. Auch eine Dringlichkeitsbescheinigung habe nicht geholfen, berichtet sie unserer Redaktion. Es ist nur ein Fall von vielen. Das Kindergartenjahr ist inzwischen ein paar Wochen alt, aber die Kritik reißt nicht ab. Eine Klage scheint manchen Eltern der einzige Weg. Denn: Sie haben schließlich einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz.
Wie ist also die Situation an den Kitas? Der Blick in den Bedarfsplan von 2022/23 bis 2026/27 für Kindertageseinrichtungen zeigt, dass noch eine Durststrecke zu überwinden ist. Die 1. Beigeordnete Regina Kleff und Claudia Wimber, bei der Stadt Castrop-Rauxel zuständig für die Vergabe der Kita-Plätze, sagen im Gespräch mit unserer Redaktion, wie es zurzeit aussieht und wie es weitergeht.
Wie viele Eltern haben einen Platz durch eine Klage erhalten. Und funktioniert das immer?
Jedes Kind in NRW hat ab dem vollendeten ersten Lebensjahr bis zum vollendeten dritten Lebensjahr einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz in einer Kindertageseinrichtung oder in Kindertagespflege und ab dem vollendeten dritten Lebensjahr einen Anspruch auf einen Betreuungsplatz in einer Kindertageseinrichtung. So weit so gut. Doch wenn Plätze fehlen, kann die Stadt nicht helfen, so Regina Kleff.
Zu diesem Kindergartenjahr 2023/24 gab es 18 Klagen – so viele wie noch nie. Alle Eltern waren erfolgreich. Das lag aber vor allem an einer Tatsache: Die Kita am Stadtmittelpunkt, geplant für vier Gruppen, konnte wegen Personalmangels erst im Sommer die dritte, und jetzt die vierte Gruppe eröffnen. Diese vierte Gruppe hat 20 Plätze. „Das hatte einen wesentlichen Effekt bei den Klagen, die bei uns eingegangen sind“, so Regina Kleff.

Werden in Zukunft immer mehr Klagen erwartet?
Darauf gibt es keine klare Antwort. Es sei aber deutlich, dass es Anwälte gebe, die sich auf diese Fälle spezialisiert hätten, so die beiden. Es entwickele sich eine gewisse Dynamik. Die Stadt sei im Austausch mit diesen Anwälten, so Regina Kleff. Es gehe um Kommunikation. Denn, wenn keine Plätze da sind, kann auch eine Klage nicht zum gewünschten Ziel verhelfen.
In der Stadt Bergisch Gladbach erwirkte zum Beispiel eine Anwältin und Mutter ein Zwangsgeld, sollte die Stadt keinen Kita-Platz bereitstellen. Auch um Schadensersatz kann es dann gehen, zum Beispiel für Verdienstausfälle, wenn ein Elternteil zuhause bleiben muss.
Wie ist die Situation aktuell im Ü3- und im U3-Bereich?
Es stehen aktuell 230 Kinder über drei Jahren auf der Warteliste für einen Kita-Platz. Bei den Kindern unter drei Jahren sind es 55. Dabei wurden bereits in allen Kitas der Stadt Gruppen überbelegt, 80 Plätze wurden so insgesamt gewonnen. „Da ist alles ausgereizt“, so Regina Kleff.
An den 41 Standorten im Stadtgebiet werden 1845 Kinder über drei Jahren betreut, 612 Kinder unter drei Jahren. Rund 200 Kinder sind aktuell in der Kindertagespflege, die Zahl variiert immer etwas. 51 Kindertagespflegestellen, darunter eine Großtagespflege mit neun Kindern, gibt es in Castrop-Rauxel.
Gibt es Unterschiede innerhalb von Castrop-Rauxel?
Die Unterschiede sind deutlich. Am schlechtesten sieht es im Norden aus, auch perspektivisch gesehen. Trotz steigender Zahl von Kita-Plätzen wird es laut Bedarfsplan 2026/27 im Ü3-Bereich immer noch einen Fehlbedarf von 125 Plätzen geben (aktuell 143). Die Versorgungsquote bei den U3-Plätzen lag bei Erscheinung des Plans im Juni 2023 gerade mal bei 22,6 Prozent, mit Kindertagespflege bei 30,7 Prozent.
Anders im Bereich Mitte: Schon 2024/25 soll es hier 26 Plätze mehr geben als benötigt, 2026/27 sogar 71. Hier kann also der Mangel im Norden etwas aufgefangen werden. Die Versorgungsquote inklusive Kindertagesplätzen lag im U3-Bereich bei 51,5 Prozent.
Im Süden wird sich die Situation ab 2025 verbessern. 2026/27 soll es erstmals ein Plus von Plätzen geben. Das U3-Angebot war zum Ende des vergangenen Kindergartenjahres mit insgesamt 31 Prozent ähnlich schlecht wie im Norden.
Welchen Rat hat die Stadt für Eltern?
Der erste Schritt ist die Registrierung im Kita-Navigator der Stadt. Das muss in jedem Jahr wiederholt werden, um zu zeigen, dass man weiter an einem Platz interessiert ist. Bei bis zu acht Kitas kann man sich vormerken.
„Man sollte sich nicht nur registrieren lassen, sondern auch in die Kitas gehen, nicht anonym bleiben“, sagt Claudia Wimber. Dann lernen sich Erzieherinnen und Erzieher und die Eltern schon mal kennen. Aktuell und noch bis zum 28. Oktober gibt es in den Kitas Tage der offenen Tür. Die Termine finden sich auf der Homepage der Stadt.
Dieses Angebot zu nutzen, kann Einfluss haben. Denn in den Kitas, bei denen nicht die Stadt der Träger ist, bestimmen diese erst einmal selbst, wer einen Platz bekommt. Die Aufnahmekriterien der Stadt gelten zwar als Orientierung, jeder Träger kann aber frei entscheiden. Die eventuell frei bleibenden Plätze werden der Stadt gemeldet. Die verteilt sie dann. Und dann greift auch wie bei den Kitas in städtischer Trägerschaft die Priorisierungsliste. So gibt es beispielsweise Plus-Punkte für ältere Kinder, für berufstätige Eltern oder soziale Probleme in den Familien.

Wie wird sich der Bedarf entwickeln?
Zurzeit steigt die Zahl der Kinder noch in Castrop-Rauxel. Das liegt an steigenden Geburtenzahlen, aber auch an Zuwanderung und Zuzügen. Nicht umsonst weist die Stadt in ihrem Bericht auf viele Baugebiete hin, die gerade und in den kommenden Jahren entstehen. 70 Wohneinheiten im Wohnen am Emscherufer in Henrichenburg, rund 200 Wohneinheiten in Ickern-Süd im Beerenbruchviertel, 150 Wohneinheiten an der Pallasstraße in Dorf Rauxel (Erin-Wetterschacht 5). Graf Schwerin 3/4 in Dingen, Mariengärten in Merklinde und mehr: Insgesamt sind es 622 bis 702 Wohneinheiten, so die Stadt. Alle haben als Zielgruppe Familien. Dazu kommt noch eine andere Tatsache: Immer mehr Eltern wollen früher und länger ihre Kinder in Kitas schicken.
Was ist geplant in den kommenden Jahren?
„Wir brauchen zusätzliche Plätze“, sagt Regina Kleff und spricht davon, dass man erst 2027/28 alle Wünsche bedienen könne. Der Bedarfsplan weist aus, dass neue Plätze nur noch durch Neubauten oder weiter durch Umbauten geschaffen werden können. Notwendig erachtet wird der Neubau von mindestens vier Kitas und der Ausbau bestehender Kitas. Der Bedarfsplan sieht vor, dass im Sommer 2024 noch 204 Plätze im Ü3-Bereich fehlen werden, 2026 dann nur noch 48. Die Bedarfsdeckung läge dann bei 98 Prozent, so die Stadt. Geplant sind:
- Kita-Neubau im Beerenbruch St. Antonius in Ickern, Ausbau von derzeit 3 auf 6 Gruppen als Ersatzbau für die Kita St. Antonius, Inbetriebnahme im Kita-Jahr 2025/26
- Kita St. Franziskus auf Schwerin, Ausbau von derzeit 2 auf 4 Gruppen durch Aus- und Anbau, Inbetriebnahme im Kitajahr 2025/26
- Kita an der Harkortschule in Merklinde, Neubau einer fünfgruppigen Kita, Inbetriebnahme im Kita-Jahr 2025/26
- Grüner Weg in Obercastrop, Ausbau von derzeit 2 auf 4 Gruppen, Inbetriebnahme im Kita-Jahr 2024/25
- Kita „Am Wetterschacht“, Pallasstraße, als Ersatzbau für die Kita Swabedoo, Neubau einer mindestens 4-gruppigen Kita, Inbetriebnahme: 2025/26. Eine fünfgruppige Kita sei bei entsprechender Grundstücksgröße zu bevorzugen.
- Integrative Kita Oskarstraße in Habinghorst: Neu- und Ersatzbau geplant, hier wird eine sechsgruppige Kita angestrebt, eine mögliche Baufläche soll jetzt geprüft werden. Konkret ist hier noch nichts.
- Die modulare Kita am Europaplatz als Dependance der Kita Oskarstraße soll bis zu einem Neubau weitergeführt werden. Sie ist viergruppig angelegt. Nachdem es anfangs wegen fehlenden Personals nur zwei Gruppen gegeben hatte, sind es jetzt vier.
Kita in Castrop-Rauxel verdoppelt die Kapazität: Jetzt geht es doch von zwei auf vier Gruppen
In 160 Stunden zur Kita-Fachkraft: Eigentlich arbeitet Ines Steinert (44) schon 25 Jahre in dem Beru
Einen Tag zu Gast in der Kita Lummerland: Von wegen nur Kaffee trinken und mit Kindern spielen