Der 59-Jährige in der JVA Meisenhof hat in der Vergangenheit 26 Einbrüche begangen. © Victoria Maiwald
Knast-Serie
Meisenhof-Häftling in Serie packt aus: „In meiner Aktentasche war Einbruchswerkzeug“
In der JVA sitzt ein 59-Jähriger Mann. Wer ihm zuhört, erfährt, was eine kriminelle Karriere erster Güte ist und warum der Weg daraus so schwierig ist. Ein Problem durchzieht sein Leben.
Für den 59-Jährigen ist es ein Wiedersehen mit Bekannten, als er in die Justizvollzugsanstalt nach Ickern kommt. Er saß dort bereits vor 30 Jahren ein. Damals fing seine kriminelle Karriere an - beziehungsweise bekam sie ihren ersten Dämpfer.
Mit Mitte 20 ging die Straftäter-Karriere los
Mit Mitte 20 hatte sich der Mann aus seiner Wohnung ausgeschlossen und musste einen Schlüsseldienst rufen. „Ich habe dann aufgepasst und das direkt mal ausprobiert“, erinnert sich der Häftling.
Und siehe da: Es klappte. Das Unheil nahm seinen Lauf. „Ich bin um 7 Uhr aufgestanden und bin zur Arbeit gefahren, wie alle anderen auch. Nur in meiner Aktentasche war Einbruchswerkzeug.“ Kreuz und quer durchs Ruhrgebiet stahl er in 26 Fällen Bargeld und Schmuck. Die Türen seien damals noch nicht so gut gesichert gewesen wie heute, sagt er.
Überführt hat ihn ein Fingerabdruck
Eine ältere Dame hatte ihr Erbe in der Wohnung gelagert: 11.000 Mark. Der Einbrecher nahm es mit und sagt heute: „Das hängt mir noch nach.“
Die Vehemenz und Intensität dieser Straftaten habe mit der Zeit nachgelassen. „Heute käme es mir nicht mehr in den Sinn, irgendwo einzubrechen“, sagt der 59-Jährige. Er könne sich vorstellen, wie sich Menschen fühlen, denen das passiert sei und wie es sich anfühlt, wenn Dinge, an denen das Herz hängt, fehlen.
Überführt hat ihn letztlich ein Fingerabdruck. In seiner Wohnung wurde dann weiteres belastendes Material gefunden.
Der junge Mann wanderte im März 1987 für zwei Jahre in den Knast. Er verabschiedete sich zunächst auch vom Alkohol. Die Einbrüche hatte er nämlich allesamt betrunken begangen.
Modellbahngeschäft, Zahntechniker, Bierverlag
In seiner Abstinenz besorgte er sich erst einen Job in einem Modellbahngeschäft, begann dann eine Lehre als Zahntechniker und arbeitete schließlich bei einem Bierverlag - als trockener Alkoholiker.
Armin Kersting arbeitete damals wie heute in der JVA Meisenhof. Er kennt den 59-Jährigen gut und sagt: „Für uns war es bemerkenswert, dass ein trockener Alkoholiker direkt mit Alkohol arbeitet. Wir haben uns lange Gedanken gemacht, ob wir das genehmigen. Aber wir haben es versucht und sind nicht enttäuscht worden.“
„Man muss den Stoff einfach nicht trinken“
Der Häftling sah das entspannter. „Der Stoff ist ja immer vor der Nase, auch im Supermarkt. Man muss einfach nicht trinken.“ Er wurde vorzeitig entlassen. Und eigentlich könnte die Geschichte an dieser Stelle zu Ende sein. Eigentlich.
Was folgt war ein rasanter Aufstieg dank eines neuen Jobs bei Thyssen als Werkstoffprüfer. „Das war total gut bezahlt und Schritt für Schritt ging es bergauf.“ Er konnte sich ein Auto kaufen, hatte eine nette Wohnung und freundliche Vermieter. Als nächstes erfüllte er sich einen lang gehegten Traum, machte einen Pilotenschein und erlangte auch eine Instrumentenflugberechtigung.
Der Schock, der ihn drei Bier trinken ließ
Der nächste Absturz, fast im wahrsten Sinne des Wortes, kam im Jahr 1991. „Auf dem Flug von Hof in Bayern nach Essen/Mühlheim kam ich in eine Gewitterfront und musste notlanden und eine unplanmäßige Übernachtung einlegen“, erinnert sich der Häftling. Es sei eine beängstigende Situation gewesen, aus der er gerade nochmal rausgekommen sei.
Die Folge: Abends in der Herberge trank er drei Flaschen Bier. Nach acht Jahren Abstinenz. Am nächsten Tag musste er wieder notlanden, nachdem er das Flugzeug falsch betankt hatte. Diesmal berechnete ihm die Versicherung 5000 Euro als Eigenbeteiligung für die jetzt flugunfähige Maschine.
„Man nimmt sich immer vor, am nächsten Tag aufzuhören“
Das schöne neue Leben brach zusammen. „Man nimmt sich immer vor, am nächsten Tag aufzuhören“, erklärt der heute 59-Jährige und meint damit nicht nur den Alkohol, sondern auch die Verbrechen.
Durch die Pilotenausbildung und die Notlandungen hatte er mittlerweile 70.000 Euro Schulden bei seiner Familie. „Ich bin mit der Erwartungshaltung von zu Hause nicht klar gekommen.“ Er hätte wieder bei Thyssen anfangen können, tat das aber nicht. „Ich bin zu Hause geblieben und habe getrunken.“
Der gleiche Polizist überführte ihn ein zweites Mal
Mit dem Alkohol sei er in alte Tugenden zurückggefallen und habe nochmal ein paar Einbrüche begangen. „Weggefischt“ wurde er von dem gleichen Kriminalkommissar wie in den 80er-Jahren, auch weil er seinen Führerschein wegen Trunkenheit verloren hatte.
Es ging wieder ins Kittchen. Diesmal in die Forensik zum Entzug. „Das lief zunächst ganz gut“, erinnert sich der Häftling. Er habe sich gut benommen, die Haftbedingungen wurden gelockert. „Man hatte sehr viel Geduld mit mir und hat mir den Hintern gepudert.“
Im Weihnachtsurlaub wurde er wieder rückfällig
Dann erinnert er sich an eine Redensart: „Wenn dem Esel zu wohl wird, geht er aufs Glatteis.“ Er bekam über Weihnachten Hafturlaub, fuhr zu seiner damaligen Freundin und wurde erneut rückfällig. So war es ein Auf und Ab, bis er irgendwann tatsächlich seine Strafe abgesessen hatte und auf freiem Fuß war.
Eines muss man dem Mann lassen: Er steckt voller Ideen. Jetzt machte er sich nämlich selbstständig, fing an, Computer mit Wasserkühlung zu bauen und zu verkaufen. „Ich muss dann die Erfahrung machen, dass einige Kunden trotz Lieferung nicht bezahlen.“
Der heute 59-Jährige musste hinter seinem Geld „herhecheln“. Das machte ihn sauer und er dachte sich: „Was die können, das kann ich auch.“ Schwuppdiwupp wurde er schon wieder straffällig, bestellte Ware, um seine Computer zu bauen, zahlte die aber nicht.
Der Mann gibt nicht auf
„Ich habe mich nicht mehr auf mich selbst oder mein Gewissen berufen, sondern einfach immer weitergemacht.“ Es blieb nicht beim Betrug, er gründete diverse Scheinfirmen, unter anderem den „Verein zur Förderung der Bewährungshilfe“ und eine Postfiliale, die es nie gab. Er handelte mit Briefmarken und wirtschaftete in die eigene Tasche.
Eine Hausdurchsuchung im Jahr 2015 beendete seine Betrügereien und er wurde wieder einmal verurteilt. Dieses Mal für knapp sieben Jahre. Zum letzten Mal?
Der Mann gibt nicht auf. Er hat dem Alkohol noch einmal die rote Karte gezeigt und viel über seine Sucht gelernt: „Wenn ich abstinent bin, dann klappt alles.“ Er geht regelmäßig zur Therapie und nimmt an einer Selbsthilfegruppe teil. Man müsse, was diese Erkrankung betrifft, immer am Ball bleiben.
Sucht steht still, aber die Krankheit bleibt
Derzeit sei die Sucht zum Stillstand gekommen, aber die Krankheit sei ja nicht weg. „Ich muss im Bewusstsein haben, dass ich aufpassen muss.“ Kleine Dinge, wie eine Veränderung des Tagesrhythmus könne ihn schon ins falsche Fahrwasser bringen. „Hier in der JVA kann ich lernen, meine Struktur einzuhalten.“
In der Vergangenheit habe er immer Dinge für andere getan, entweder um seinen Eltern zu gefallen oder um die Beziehung zu seiner Freundin zu festigen. Jetzt sei es an der Zeit, an sich selbst zu denken. „Eigentlich, im Alter von 59, bietet sich jetzt die Gelegenheit, mich an meiner Abstinenz zu erfreuen und wählen zu können, was ich noch machen könnte in meiner verbleibenden Zeit, ohne etwas für andere Leute zu tun.“
„Ich schätze mich als sattelfest ein“
Und, wie könnte es anders sein: Der 59-Jährige hat wieder eine Idee: „Ich mache jetzt einen Lkw-Führerschein.“ In dem Bereich könne er sich beispielsweise zum Schwerlast- oder Gefahrguttransportfahrer weiterbilden und auch von der JVA aus gut arbeiten. Und sein Lebensbegleiter, der Alkohol? „Ich schätze mich als sattelfest ein.“
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