Wo der Bankräuber in Rente geht Inside JVA Meisenhof: So läuft’s im Castrop-Rauxeler Knast

Wo der Bankräuber in Rente geht: So läuft’s in der JVA Meisenhof
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Der Meisenhof war einst Berglehrlingsheim der Klöckner-Werke. Hier waren Knappen und Lehrlinge untergebracht, die auf der Zeche arbeiteten und in Ickern lernten, was man dafür wissen muss. 1968 zogen die ersten 30 Gefangenen ein. Seither ist das Gebäude-Ensemble südlich angrenzend an die Emscher eine Justizvollzugsanstalt, umgeben von einem Zaun mit Nato-Draht. Und doch ein nicht ganz geschlossenes und hochgradig gesichertes Gefängnis, sondern ein Ort, wo Straftäter den Weg zurück ins offene Leben finden sollen.

567 Haftplätze stehen zur Verfügung. Vom Drogendealer und Betrüger bis zum Mörder sind hier Straftäter aller Kategorien untergebracht. Dabei ist die Einrichtung in sechs Bereiche eingeteilt. Wir stellen die Organisation und die Funktion der einzelnen Abteilungen vor.

Der Zugangsbereich

Wer neu aufgenommen wird in der JVA Meisenhof, der kommt in diese Abteilung. Sie ist geschlossen, also ein richtiges Gefängnis. Drei oder vier Tage sind die Gefangenen hier. „Dann wissen wir, mit wem wir es genau zu tun haben“, sagte Anstaltsleiter Julius Wandelt mit 19 Jahren Leitungs-Erfahrung im Mai 2023 im Gespräch mit unserer Redaktion. Und bringt ein Beispiel: „Ein Mann meldet sich an der Pforte an. Er sei wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis hier. Dann gucken wir in die Akten, sehen dabei eine Vergewaltigung im Hintergrund. Auch wenn diese Tat schon verbüßt ist, heißt das: Vorsicht!“

Im Hintergrund der Behörde mit ihren rund 200 Beschäftigten laufe viel Diagnostik. Und wenn die abgeschlossen ist, erstellen die Fachleute einen Vollzugsplan. Der gilt für ein halbes Jahr. Alle Fachleute sitzen am Tisch, auch der Gefangene selbst, um für ihn den richtigen Plan auszumachen.

Der Erprobungsbereich

Gefangene, die bereits längere Strafen im Knast verbüßt haben, werden hier an vollzugsöffnende Maßnahmen herangeführt. Meist geht es um Besuchsausgang, um Besuche von Angehörigen in der Anstalt, die mit ihnen zusammen rausgehen. „Auch die Leute lernen wir dadurch kennen“, sagt Julius Wandelt. Das hilft bei der Einschätzung, ob Rückfälle wahrscheinlich sind und wie weit man anfangs gehen kann. „Die können dann einmal in der Woche zwei Stunden raus, zum Beispiel einkaufen gehen. Später mal für vier Stunden. Aber wir bleiben da ganz nah dran an dem einzelnen Fall“, so der Anstaltsleiter.

Ein Beispiel: „Wir hatten jetzt einen Mörder hier, der hatte lebenslänglich. Er wollte mit seinem Hafthaus grillen. Das ist gut, denn die Menschen sollen hier ja auch sinnvolle Freizeitgestaltung lernen“, so Wandelt. Es gibt einen Grillplatz dafür auf dem Gelände. Der Gefangene ging also mit seinem Betreuer raus zum Geschäft. „Er wollte einfach nur Ketchup kaufen. Ich sah ihn, als er zurückkam, und sprach ihn an: Na, wie war’s? Er antwortete: ‚Ich habe nichts gekauft. Warum brauchen wir 40 Sorten Ketchup? Ich konnte mich entscheiden.‘“

So erzählt es Julius Wandelt und sagt auch, warum: „Der Mann ist seit 20 Jahren im Knast. Er kennt die Welt da draußen, wie sie heute ist, gar nicht mehr. Er hat es nicht hingekriegt. Ist das aber Sinn und Zweck des Vollzugs? Nein, das sind seine schädlichen Folgen, sich so weit von der Lebenswirklichkeit abzukoppeln, dass es kaum noch geht, zurückzukehren“, so der Anstaltsleiter.

Hier wirke man entgegen, betrachte den Einzelfall. „Das ist das spannende hier: Hier kommt das ganze Leben zusammen. Wir überlegen in einer Konferenz gemeinsam, was das Beste für den Einzelfall ist. Das Ziel ist immer ein Arbeitsvertrag“, so Wandelt. „Bei Drogen gehört der Rückfall mit zur Therapie – immer. Dann werden die Leute in die Geschlossene verlegt. Aber wir sagen immer: Das ist aufzuarbeiten. Meistens kehren sie zu uns zurück...“

Die JVA Meisenhof ist ein Gefängnis des offenen Vollzugs. Hier sind mehr als 500 Häftlinge untergebracht.
Die JVA Meisenhof ist ein Gefängnis des offenen Vollzugs. Hier sind mehr als 500 Häftlinge untergebracht. © RVR 2021

Der Drogenbereich

Die Drogenabteilung wird im Knast in Ickern „Drogerie“ genannt. Die Gefangenen, die hier untergebracht sind, kriegen zum Teil Substitutionsmittel, sind mit Entzugs-Fachleute im Austausch und haben die größte Nähe zum Anstaltsarzt und einem Suchtmediziner. „Das sind die, die abstinent bleiben wollen“, sagt Anstaltsleiter Julius Wandelt. Sie bekommen eine eigene Rückzugsmöglichkeit, denn meist wollen sie sich abschotten. Platz auf der Anlage ist für 50 Leute. Darunter fallen Leute mit Alkoholsucht, Abhängigkeit nach illegalen Drogen wie Kokain, Heroin und andere Mittel, aber auch Spielsüchtige.

Drogen im Knast: ein Thema für sich. „Es gibt immer was auf dem Gelände, das lässt sich einfach nicht verhindern“, sagt Julius Wandelt. „Es wäre naiv, zu sagen, dass man das komplett eindämmen kann.“ Die Anstalt verfügt aber über einen Drogenspürhund. Der lebt bei einer Diensthundeführerin und „schnüffelt immer mal hier und mal da herum“, so Wandelt.

Julius Wandelt leitet die Justizvollzugsanstalt Castrop-Rauxel, den Meisenhof. Seine Dienstzeit endet am 31. Mai 2023.
Julius Wandelt leitet die Justizvollzugsanstalt Castrop-Rauxel, den Meisenhof. Seine Dienstzeit endet am 31. Mai 2023. © Tobias Weckenbrock

Der Mehrgenerationenbereich

Hier führt die JVA Meisenhof ihre Jungtäterabteilung und die Älterenabteilung ganz bewusst in Hafthäusern zusammen. „Wir probieren dort soziales Leben“, sagt Anstaltsleiter Julius Wandelt. Wenn man nur Peer Groups zusammen habe, „dann haben die jüngeren nur Blödsinn im Kopf und stacheln sich gegenseitig auf“, erklärt er die Strategie. Im älteren Segment aber sagen die Gefangenen: Jungs, nicht so laut. Auf der anderen Seite habe man Ältere in der Anstalt, die nicht gut allein raus zum Geschäft gehen können. „Da sagen wir den Jüngeren: Geht doch mal mit. Sie helfen sich, tauschen Erfahrungen aus.“

Ein Beispiel: Ein Inhaftierter, so um die 60 Jahre alt, habe sein Leben lang nur Banküberfälle gemacht, erzählt der Anstaltsleiter. „Er sagte jetzt kurz vor Weihnachten: Ich will nach Hause. Ich muss in Rente. Ich kann nicht mehr. Ich hätte noch ein Ding im Kopf, aber das ziehe ich nicht mehr durch.“ Auf diese Leute könne man sich oft verlassen, sagt Wandelt: „Ich habe ihn Weihnachten zur Familie gelassen, und er war sehr dankbar. Er arbeitet sich jetzt hier langsam vor, bekommt Hilfen, aber kann auch Behördengänge zum Teil schon selbst erledigen.“

Dieser Mann sei „eine Kapazität für junge Gefangene“: Er habe kein Geld, habe zwar Familie, aber nur Mist gemacht in seinem ganzen Leben. Er sei lungenkrank und jetzt hänge er da. „Viele von den Jungen, davon bin ich überzeugt, überlegen sich lebensplanerisch noch mal, ob sie auch so werden wollen.“

Die Jungtätergruppe spiele in Gruppensitzungen Situationen aus dem Alltag nach, besprächen solche Lebensläufe und Sachverhalte. „Oft erzählen die Älteren aus ihrem Leben“, so Wandelt. „Da findet sozialer Austausch statt. Das ist nicht einfach, aber genau das ist es, was man braucht, um über sein Leben, seinen sozialen Status nachzudenken.“

Thomas H. ist seit Sommer Gefangener in der JVA Meisenhof in Ickern. Beim Adventsbasar war er der für die Kinder wohl wichtigste Mann: der Weihnachtsmann, der mit einem mit Schoko-Lollis prall gefüllten Sack über das Gefängnisgelände zog.
Nach zwei Jahren Corona-Pause konnte die JVA Castrop-Rauxel wieder ihren beliebten Weihnachtsmarkt veranstalten. © Natascha Jaschinski

Der Kurzstrafenvollzug

Hier sind Leute, die ihre Geldstrafe nicht zahlen können, also mit einer Ersatzfreiheitsstrafe büßen. „Das ist für uns vollzuglich unbrauchbar, die kommen rein, machen den Teppich schmutzig und gehen wieder“, sagt Julius Wandelt. Einige sind nur ein paar Wochen da, einige mal für drei Monate. „Aber wir lernen gerade ihren Namen, dann sind sie wieder weg. In drei Monaten kann man gar nichts machen. Wir stellen zwar auch einen Plan auf, aber das ist oft nur als akute Hilfe zu verstehen. Dann sind sie wieder weg.“ Berufsberatung mit ihnen zu machen, bringe aber nichts. Sie arbeiten auf dem Gelände: Holz, Elektro, Metall, der Betrieb im Hof Emscherauen (Café, Landschaftsarbeiten), House Keeping bei den Hotel-Röhren nebenan und das Reinigen der Hafthäuser sind verschiedene Beschäftigungsarten in der JVA Meisenhof.

Der Übergangsvollzug

Er wird auch als „Hostal-Vollzug“ bezeichnet: Das ist der letzte Schritt, die Krönung der Zeit im Meisenhof. „Wir wollen die Gefangenen nicht einfach heraussetzen, denn dann haben sie nichts erreicht und wir haben den Drehtüreffekt: Sie sind schneller wieder da, als ihnen und uns lieb ist.“ Sie sollen einen festen Arbeitsplatz haben, gehen dann erst vom Meisenhof aus zur Arbeit. Wandelt: „Den selbst abgeschlossenen Arbeitsvertrag genehmigen wir ihnen. Wir haben dafür beim Arbeitgeber einen Ansprechpartner, der auch als Einarbeiter und gewissermaßen Betreuer arbeitet.“

Es handelt sich dabei bestenfalls um ein Beschäftigungsverhältnis auf dem freien Arbeitsmarkt. „Wir machen da schon ab und zu mal Vorschläge für die Gefangenen. Aber es hängt auch von den Kenntnissen ab: Hat er einen Schweißerschein, vielleicht sogar bei uns gemacht? Ist er Trockenbauer? Bei uns kann man unter bestimmten Voraussetzungen und mit einem Bildungsgutschein vom Arbeitsamt auch Lkw-Führerscheine machen. Da ist richtig Geld zu verdienen in dem Bereich“, sagt der Anstaltsleiter Julius Wandelt. „Wenn die das in der Haftzeit hinkriegen, dann haben sie einen Royal Flush. Lkw-Fahrer sind gefragt ohne Ende.“

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