„Kauf das Auto, mach die Reise“ Vier Lebensweisheiten aus dem Hospiz St. Elisabeth

„Kauf das Auto, mach die Reise“: Lebensweisheiten aus dem Hospiz
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Jeder kennt das: Im Alltag ist man oft gestresst, macht sich Sorgen um die Zukunft, forscht in der Vergangenheit nach vermeintlichen Fehlern und vergisst dabei das Leben in der Gegenwart. Hätte ich doch lieber meinen Job gekündigt, aber was wird dann aus der Altersvorsorge?

Das Geld lieber sparen oder doch den Reisebus kaufen und um die Welt fahren? Versuche ich Beziehungen zu retten oder breche ich den Kontakt ab? Gedanken kreisen in Dauerschleife und spielen im Kopf einen Film, den eigentlich keiner sehen will. Aber wie sehen das eigentlich Menschen, die dem Tod jeden Tag ins Auge blicken?

Das Hospiz St. Elisabeth ist ein fröhlicher, aber komplexer Ort. Hier wird gelacht, geweint und über das eigene Leben reflektiert. Die Menschen, die in dem Hospiz an der Bockenfelder Straße in Dortmund-Westrich regelmäßig ein und aus gehen, haben zum Tod ein ganz besonderes Verhältnis. Janine Brechtel (23) und Jan Wand (29) arbeiten in der Palliativ-Pflege und lernen viel über das Leben – durch den Tod. Ihr Umgang mit der Endlichkeit bringt klare Sichtweisen auf das, was am Ende wirklich zählt und was ganz zum Schluss bereut wird.

Lebensweisheit 1: Lebe im Jetzt

Janine: Ganz wichtig: Man sollte jetzt leben, nicht morgen, sondern jetzt. Man hört ja immer wieder, ich spare nun mein Geld, weil wenn ich mit meinem Mann in Rente bin, möchten wir dies oder das machen. Ich möchte auch irgendwann mit meinem Partner über ein paar Monate eine kleine Weltreise machen und durch die Arbeit im Hospiz habe ich gelernt: Man muss jetzt leben.

Wie viele Gäste haben wir hier schon gesehen – 30-Jährige oder 42-Jährige – die noch nicht mal bis zur Rente gekommen sind und das Leben nicht mehr leben können. Man sollte jetzt leben, wenn man es kann und nicht alles auf später verschieben: Kauf das Auto und mach die Reise jetzt.

Lebensweisheit 2: Vergebe

Janine: Wir haben hier einen Gast liegen, der hat seit acht Jahren keinen Kontakt mehr zu seinem Sohn. Irgendwann ist er mitten in der Nacht aufgewacht, weil er von ihm geträumt hat. Dann hat er seine Tochter angerufen und ihr gesagt, er möchte seinen Sohn unbedingt sehen: ‚Nicht, dass ich sterbe und das bereue.‘

Der Sohn kam dann tatsächlich. Ich habe ihn begleitet, bin mit ihm rein und habe geguckt wie sich das so verhält. Die beiden haben sich gefreut, lagen sich heulend in den Armen – das war richtig schön. Vater und Sohn haben es nicht lange ausgehalten, aber es war dennoch ein schöner Abschied.

Der Raum der Stille ist im Hospiz St. Elisabeth ein Ort der Reflexion. Die Gäste dürfen sich aber auch mal an die Orgel setzen und laut musizieren.
Der Raum der Stille ist im Hospiz St. Elisabeth ein Ort der Reflexion. Die Gäste dürfen sich aber auch mal an die Orgel setzen und laut musizieren. © Janina Preuß

Lebensweisheit 3: Alles ist relativ

Jan: In unserem Alltag ist nichts normal. Durch das, was man das hier im Hospiz sieht, merkt man, dass Kleinigkeiten, die wir sonst als Probleme empfinden, gar keine Probleme sind. Zum Beispiel, wenn die Ampel auf dem Weg nach Hause wieder auf Rot springt. Oder wenn irgendwas kaputtgeht. Wenn man sieht, was wir hier teilweise für Schicksalsschläge haben, dann sieht man das Leben mit anderen Augen.

Lebensweisheit 4: Es ist nie zu spät

Jan: Was die Menschen kurz vor dem Tod bereuen, sind Wege, die nicht gegangen wurden. Wir hatten einen Gast, der hatte seit 30 Jahren eine Jugendliebe. Er hat nie geheiratet, aber immer wieder von dieser Jugendliebe gesprochen. Sein innigster Wunsch war, diese Jugendliebe anzurufen. Das habe ich dann für ihn gemacht und sie kam dann extra hier hin.

Die beiden sind sich dann auch sofort in die Arme gefallen. Beide haben das Gleiche gesagt: ‚Ich hab in meinem Leben nie geheiratet, weil ich immer so irgendwie an dich denken musste.‘ Gemeinsam hatten die zwei noch mal so einen schönen letzten Abschied. Am Ende hatten sie sogar vor, am Sterbebett zu heiraten.

Von den Sterbenden lernen

Am Rand des irdischen Daseins werden alltägliche Sorgen und Eitelkeiten zur Nebensache. Worauf es ankommt, sind menschliche Beziehungen und das Verwirklichen der eigenen Träume. Wer ein volles Leben im Jetzt lebt, bereut beim Sterben später weniger.

  • Das Hospiz St. Elisabeth besteht seit mehr als zehn Jahren an der Bockenfelder Straße 237 in Dortmund-Westrich als Einrichtung für den Dortmunder Westen, aber auch Castrop-Rauxel.
  • Initiatorin und heute Stiftungsgründerin ist die Castrop-Rauxelerin Elisabeth Grümer.
  • Gearbeitet wird auch an der Realisierung für das Kinderhospiz Sonnenherz, das am gleichen Ort entstehen soll.

Den Plan gibt es seit 2015: Wie steht es eigentlich um das Kinderhospiz „Sonnenherz“?

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