„Da wird mir speiübel!“ und „Katar ist keine Ausnahme“ Castrop-Rauxeler und der WM-Boykott

Meinungen zur WM: „Da wird mir speiübel!“ und „Katar ist keine Ausnahme“
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Deutschland hat gegen Oman gewonnen. Haben Sie das mitbekommen? Viele nicht. Es war eines dieser letzten Vorbereitungsspiele vor der WM gegen unterklassige Gegner, die die DFB-Elf zumeist hoch gewonnen hat. Dienstag siegte sie 1:0. Wow!

Am Wochenende beginnt die Fifa-Fußball-WM in Katar mit einem wahren Schlagerspiel: der Gastgeber gegen Ecuador. Wie groß ist die Vorfreude? In der vergangenen Woche sendete das ZDF eine 45-Minuten-Reportage von Sportredakteur Jochen Breyer, der vor allem die WM-Vergabe kritisch hinterfragt, den überbordenden Luxus und die Homophobie thematisiert. Dienstag sendete die ARD eine 45-Minuten-Reportage des schwulen Ex-Profis Thomas Hitzlsperger: Er traf u.a. in Nepal Familien, deren Männer in Katar arbeiteten. Ein Familienvater kam im Sarg zurück.

Fähnchen an Autos? An Balkonen? Vorfreude? Gar Euphorie? In Castrop-Rauxel ist noch nicht zu erkennen, dass eine Fußball-Weltmeisterschaft bevorsteht. Aber wird es trotzdem Begeisterung geben?

„Ich bin eingefleischter Fußballfan, BVB-Mitglied seit fast 40 Jahren, habe lange Zeit bei Rot-Weiss Essen gearbeitet“, sagt Sabine Seibel aus Castrop-Rauxel. Um dann zum Aber zu kommen: „Aber ich boykottiere diese WM. Weil wir aufhören müssen mit dieser Kultur des Wegsehens, mit dieser Kultur des Wegschweigens. Weil wir die Dinge benennen müssen und dann auch mal Konsequenzen ziehen müssen. Der Gedanke, Spaß am Spiel zu haben, während Hunderte Menschen auf den Baustellen verunglückt sind, Schwule und Lesben geprügelt werden und Frauen unterdrückt, da wird mir speiübel.“

Kommerz statt klare Kante, das sei unredlich. Da mache man sich einen schlanken Fuß. „Nicht alles ist mit Coronaeinbußen zu entschuldigen – Menschenrechte schon gar nicht“, meint die SPD-Ratsfrau und Gewerkschafterin.

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„Bin hin- und hergerissen“

Manfred Pietschmann, im Wanderverein der Stadt organisiert und auch sonst engagierter Bürger, meint: „Ich bin noch hin- und hergerissen. Je mehr ich mich aber mit dem Profifußball im Allgemeinen auseinandersetze, je mehr überwiegt doch der Entschluss zum Zuschauen.“

Man lebe eben in einer neoliberalen Welt, da sei der Fußball, total überkommerzialisiert, keine Ausnahme. „Auch die Entscheidung der Fifa, die WM nach Katar zu vergeben, entspringt dem neoliberalen System. Pecuniam non olet, Geld stinkt nicht!“, so Pietschmann. „Wir verachten das, aber gehen zu den Spielen und schauen im TV zu.“

Franz Beckenbauer habe keine Sklaven in Katar gesehen. Der Bundes-Wirtschaftsminister Habeck buckele dort für Gas. „Was für eine Welt! Man könnte den Verstand verlieren. Wir machen Geschäfte ohne Skrupel“, meint er. Und: „Die Unverschämtheiten sind überall auf dieser Welt zu finden, da ist Katar leider keine Ausnahme.“

Diese beiden Beiträge kamen als Reaktion auf einen Kommentar unseres Redakteurs Tobias Weckenbrock, in dem er um Feedback bat, weil er sich noch nicht sicher sei, ob er schaue oder boykottiere. Seither sind etwa zwei Wochen vergangen und die Tendenz geht in Richtung „vereinzelt gucken, aber ohne große Begeisterung“.


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