An dieser Stelle hat Wolf-Rüdiger Heidemann die Rufe der in Not geratenen Vögel gehört. Mit seinem Hund Athus war der Rentner am südlichen Emscherufer in Pöppinghausen unterwegs. © Tobias Wurzel

Feuerwehreinsatz

Eskalation bei einer harmlosen Tierrettung an der Emscher

Aus dem fürsorglichen Gedanke, kleine Küken zu retten, ist am Samstag ein heftiger Streit zwischen Feuerwehr und Hundehalter entfacht. Für einen endete dieser sogar im Krankenhaus.

Castrop-Rauxel

, 02.08.2018 / Lesedauer: 5 min

Eigentlich wollte er nur ein paar Gänseküken vor dem Ertrinken in der Emscher retten, erzählt Wolf-Rüdiger Heidemann. Doch am Ende habe das dazu geführt, dass sein Vertrauen zur Feuerwehr zerstört wurde: „Das war ein Lehrgang“, lautet sein Fazit.

Aufgeregtes Geschnatter am Ufer der Emscher

Wie Hooligans hätten sich die Einsatzkräfte verhalten. „Die wollten mich erwischen“, ist sich der Rentner sicher. Grund genug zur Annahme, dass er selbst sich womöglich nicht ganz korrekt verhalten hat. „Die Vorwürfe sind so definitiv nicht tragbar“, entgegnet Christian Schell, Sprecher der zuständigen Feuerwehr Recklinghausen, auf Anfrage und reagiert mit einer Stellungnahme. „Ich muss zugeben, ich bin wohl auch ein bisschen laut geworden“, sagt Heidemann.

Der Streit entbrannte am Samstagabend: Heidemann sei mit seinem Hund, dem Labrador-„Old English Bulldog“-Mischling Athus, entlang der Emscher in Pöppinghausen spazieren gegangen. Auf Höhe der Brücke an der Brandheide hörte er dann aufgeregtes Geschnatter. Eine Gänsefamilie am gegenüberliegenden Nordufer: Der Gänserich oben, die Gans kämpfte mit etwa fünf Küken unten gegen die Strömung an, so seine Schilderung. „Die Böschung war viel zu steil“, sagt Heidemann. „Die müssen irgendwo reingefallen sein.“

Feuerwehr verspätet sich wegen „schlechter Zuwegung“

Über die Brücke sei er zu ihnen gelangt, habe mit einem Stock versucht, zu helfen – keine Chance. Gegen 20 Uhr rief er dann den Notruf 112, wurde mit der Kreisleitstelle in Recklinghausen verbunden. Er beschrieb die Situation und bat darum, einen Kescher oder Ähnliches mitzubringen. Soweit stimmen die Schilderungen mit denen der Feuerwehr überein. „Die hauptamtliche Wachbereitschaft der Feuerwehr Recklinghausen wurde um 20.17 Uhr durch die Kreisleitstelle zur Einsatzadresse alarmiert“, heißt es in der Stellungnahme. „Die Leitstelle war top“, lobt Heidemann ausdrücklich. „Die kriegen von mir ‘ne Eins plus.“

Doch es tat sich nichts. Mehrmals habe Heidemann zurückgerufen, gefragt, ob überhaupt jemand losgefahren sei. Die Kollegen hätten sich aber „auf direktem Weg von der Feuer- und Rettungswache (Kurt-Schumacher-Allee) zum Einsatzort“ begeben, so die Feuerwehr. Nur sei es schwierig gewesen „aufgrund der schlechten Zuwegung und der fehlenden Traglast einer Fußgängerbrücke“, mit den Fahrzeugen bis zum Ufer zu gelangen. Daher die Verzögerung.

Einsatzkräfte verzichten zunächst auf Ausrüstung

Rückruf von der Leitstelle: Die Einsatzkräfte stünden an einer Brücke und wollten Kontakt aufnehmen. Fast eine Stunde nach dem Notruf habe Heidemann einen Mann entdeckt – etwa 600 Meter weiter östlich, an der Brücke Pöppinghauser Straße. Als Feuerwehrmann hätte er den gar nicht erkannt. „Der ging langsam in seinem schicken blauen Anzug.“ Und ohne Ausrüstung.

Zur Eigensicherung habe der Kollege, schreibt die Feuerwehr, Heidemann aufgefordert, seinen Hund zu sichern, was ihm zunächst gelang. Dann habe der Kollege gesagt, er wolle für die Tierrettung erst die Lage sondieren, erinnert sich Heidemann. „Ich hatte nur die Bitte, dass er einen Kollegen informiert, der Gerätschaften mitbringt.“ Der sei dann gekommen – ohne Ausrüstung.

Streitgespräch fernab der Küken

Darauf angesprochen, habe der entgegnet, dass die Feuerwehr nicht über solche Geräte verfüge. In der Stellungnahme heißt es dazu: Es sei üblich, dass der Einheitsführer ohne weitere Ausrüstung die Lage erkunde; eine „persönliche Schutzausrüstung“ habe er getragen. Und auf die Bitte um zusätzliche Ausrüstung habe der Kollege nicht reagiert, da sich die Feuerwehr auf solche Aussagen nicht verlassen könne. In der Regel hätten Notrufmeldende „keine Detail-Kenntnis über die Ausrüstung“. Doch für dieses Vorgehen hatte Heidemann kein Verständnis: „Dann bin ich auch laut geworden.“

Daraufhin habe der Kollege Heidemann angefahren, er solle aufhören, ständig mit der Leitstelle zu telefonieren und sich nicht aggressiv verhalten. Das bestätigt die Feuerwehr: Schließlich sei der direkte Kontakt für die Einsatzkräfte wichtig. Bis zur Stelle mit den Küken waren sie bislang nicht gekommen.

Hund habe Feuerwehrmann „angegriffen“

Heidemann habe gemerkt, dass die Situation eskalierte, wollte zum Auto zurück. Doch einer der Einsatzkräfte hätte ihn verfolgt und den Hund provoziert. Das sei in „keinster Weise“ geschehen, sagt die Feuerwehr dazu. Doch der Hund reagierte. „Halten sie den zurück“, habe der Kollege noch gerufen.

Dass Athus sich „im weiteren Verlauf losriss und einen Kollegen angriff und hierbei auch leicht verletzte“, so die Feuerwehr, verschwieg Heidemann. Der Kollege habe sich „in ambulante Behandlung“ begeben, „konnte seinen Dienst aber fortsetzen.“ Jedoch prüfe die Stadt Recklinghausen, ob sie Anzeige erstatte.

„Wie die Navy Seals auf mich zugestürmt“

Zurück am Parkplatz sei Heidemann ins Auto gestiegen. Doch da habe er noch die beiden Einsatzwagen mit Besatzung am Ufer entdeckt. Das war zu viel für den 74-Jährigen: „Ich dachte, das ist doch wohl der absolute Hammer. Die verarschen mich doch, obwohl ich dabei bin.“ Schließlich hätten die Einsatzkräfte beteuert, keine Ausrüstung dabei zu haben. Mit einem Foto wollte er das festhalten.

Doch als er sein Handy zückte, hätten ihn die Feuerwehrleute entdeckt – „Ey, der hat ein Handy“, habe einer gerufen. „In dem Moment sind fünf Feuerwehrmänner wie die Navy Seals auf mich zugestürmt“, sagt Heidemann. Die Kollegen hätten das Gespräch gesucht – dem Vorwurf eines „aggressiven Verhaltens“ widerspricht die Feuerwehr. „Die sahen nicht aus, als wenn sie nett reden wollten“, entgegnet Heidemann. Daher sei er gegen 22 Uhr ins Auto gesprungen und geflüchtet.

Flucht während des laufenden Einsatzes

Das bestätigt auch die Feuerwehr. Der Hundehalter habe sich auch nicht um den verletzten Kollegen gekümmert. Die Einsatzkräfte hätten zwei Küken mit Elterntier in der Emscher entdeckt, aber „keinerlei Notlage“ erkannt und den Einsatz beendet, heißt es. „Die Einsatzerfahrung zeigt, dass sich Schwimmenten, die sich im Wasser aufhalten und schwimmen, in aller Regel auch selbst befreien können.“ Weitere Notlagen seien nicht ersichtlich gewesen.

An die steile Böschung habe der Rentner nach dem Einsatz Äste für in Not geratene Wasservögel getragen. © Tobias Wurzel

Für Heidemann kam eine Rückkehr bei der Dunkelheit nicht infrage. So auch am Sonntag: „Ich hätte mich erneut aufgeregt.“ Erst am Montag habe er die Stelle aufgesucht. Dann bei der Feuerwehr angerufen, um sich nach der Einsatzgruppe zu erkundigen – ohne Erfolg. Vom „Gänseeinsatz“ habe man aber gesprochen. „Für mich war das erledigt und ich habe mich entschieden, den öffentlichen Weg zu gehen“, so Heidemann.

Wäre ein Hund oder ein Mensch ins Wasser gefallen, er wäre während des mehrstündigen Einsatzes wohl in Duisburg gewesen oder ertrunken, ist sich der 74-Jährige sicher.

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