Die Coronakrise hat auch vielen Kindertageseinrichtungen in Castrop-Rauxel zugesetzt. Aus einer Kita, nicht der in unserem Symbolbild, kommt nun ein klagender Insider-Bericht.

© Tobias Weckenbrock

„Schwer zu ertragen“: Unser neuer Kita-Alltag in der Corona-Krise

rnWut- und Klagebrief einer Erzieherin

Die Kitas sind wieder für alle Kinder geöffnet. Doch die Abläufe haben sich durch Corona-Einschränkungen kolossal geändert. Eine Castrop-Rauxeler Erzieherin über ihre Wut und den Regel-Wust.

Castrop-Rauxel

, 17.06.2020, 16:35 Uhr / Lesedauer: 3 min

Seit dem 8. Juni gilt in den Kindertagesstätten in NRW wieder ein „eingeschränkter Regelbetrieb“. Aus der vorher geltenden Notbetreuung für Kinder von Alleinerziehenden und Beschäftigten in systemrelevanten Berufen ist eine Betreuung für alle Kinder geworden - allerdings in reduziertem Stundenumfang.

Es hat sich aber noch mehr verändert. In einem Wut- und Klage-Brief äußert sich nun eine Erzieherin einer Castrop-Rauxeler Einrichtung. Die Situation sei schwer zu ertragen, so ihr Fazit.

Wir dokumentieren Auszüge ihres Briefes, den wir in Teilen kürzen mussten. Der Name der Erzieherin und auch die Person an sich sind unserer Redaktion bekannt.

„(...) Es sind nicht nur die Schwierigkeiten, die das Personal hat, sondern auch die kleinen Menschen. Sind Eltern und Kinder eigentlich der Fußabtreter von ganz Deutschland? Bevor Spielplätze wieder geöffnet waren, durften Erwachsene längst viele Freiheiten genießen. Unverständlich und ungerecht!

Mit Mundschutz kaum zu erkennen

Wer gestern noch systemrelevant war und Notbetreuung für sein Kind erhalten hat, steht jetzt vor dem Dilemma, dass er sein Kind nur zu reduzierten Zeiten in die Kita bringen kann und dadurch eventuell seinen Job gefährdet. Eltern, die ihre Kinder nach fast drei Monaten wieder in die Kita bringen dürfen, müssen durch verschiedene Eingänge und begegnen Erziehern, die Mundschutz tragen und für die Kinder kaum zu erkennen sind. (...)

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Die Wut, die zurecht unter den Eltern (und dem pädagogischen Personal) herrscht, wird auf die Erzieherinnen übertragen. Wir selbst sind sehr unzufrieden mit dem eingeschränkten Regelbetrieb und dem Umgang mit Eltern und vor allem den Kindern. Kinder, die sich - wie in unserem Fall - frei durch die gesamte Einrichtung bewegen konnten, sind nun an einen Raum gebunden, eventuell noch mit einem Nebenraum. (...)

Abstand halten? Unmöglich!

Die Basteltische im Nebenraum dürfen eigentlich nicht als solche genutzt werden, weil an diesen auch gegessen werden muss. Von Abstand mit 25 Kindern und zwei Erzieherinnen in einem ca. 35 qm großen Raum brauchen wir gar nicht sprechen, vor allem, da es den kleinen Kindern nicht möglich ist, diesen zu halten. Und das Fachpersonal hält diesen sowieso nicht. Kinder müssen getröstet, gewickelt und in den Arm genommen werden. Ich könnte es als Fachkraft nie über mein Herz bringen, ihnen diese Zuwendung zu verweigern.

Von Pädagogik und qualitativ hochwertiger Arbeit ist in diesen Zeiten fast keine Rede mehr. Man ist bemüht, jedoch liegt der Fokus darauf, Regeln zu beachten, umzusetzen, zu erinnern, ermahnen. Ständig höre ich mich „Nein“ oder „Stop“ rufen und kontrolliere den Flur, bevor wir im Eiltempo zur Toilette sprinten, um bloß keinem anderen Kind oder einem Erwachsenen aus einer anderen Betreuungsgruppe zu begegnen.

Nur noch eine Aufbewahrungsstätte

Erzieher/innen haben derzeit keine Lobby. Der Kindergarten ist nur noch eine Aufbewahrungsstätte. Jeden Tag müssen so viele Regeln beachtet werden, die Hälfte der Regeln ergibt aber weder für Erwachsene noch für Kinder Sinn und schränkt die Kinder in ihrer Entwicklung und ihren Bedürfnissen stark ein.

Immer wieder wurde von der Politik erwähnt, dass Pädagogik mehr wert sein muss, dass der Beruf aufgewertet werden und mehr Geld in die Kitas fließen muss. Aber mit Wiederaufnahme des eingeschränkten Regelbetriebes war davon nichts mehr zu spüren.

Es scheint, als wüsste auf Landesebene niemand, dass es in Kindertageseinrichtungen Konzepte, pädagogische Handlungsweisen und sehr engagiertes Personal gibt, das alles versucht, den Kindern auch in der Coronazeit (...) einen sicheren Hafen zu bieten. (...)

Plötzlich von den Freunden getrennt

Die Selbständigkeit der Kinder ist stark eingeschränkt. All das wurde einfach verboten: alleine auf die Toilette gehen, sich Brote schmieren, Bereiche eigenständig wechseln, die Mahlzeiten portionieren, sich mit Freunden zum Spielen innerhalb der Kita verabreden.

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Mitarbeiter dürfen untereinander in den Gruppen nicht tauschen. Wenn ich krank werde, kann meine Betreuungsgruppe nicht betreut werden, eventuell im Notbetrieb mit ein paar Ausnahmen. 25 Kinder müssten eigentlich zu Hause bleiben. Krank zu werden ist also keine Option (...)

Gespräche mit den Eltern fehlen

Zehn Leute dürfen sich draußen zum Grillen treffen, aber ich darf einer Handvoll Kollegen in der Kita nicht mehr begegnen. Das schadet auf Dauer auch dem Betriebsklima. (...) Auch das Miteinander mit den Eltern fehlt ungemein. Dass Eltern ihre Kinder nach drei Monaten Kindergartenabstinenz einfach an der Kindergartentür abgeben müssen, ist für uns alle nur sehr schwer zu ertragen.

Den Kindern, die im Sommer in die Schule kommen, wurde alles genommen, auf das sie sich gefreut haben. Es ist schwer zu erklären, dass sie mit 25 Kindern gemeinsam in einem Raum sein dürfen, aber nicht gemeinsam in der Kita übernachten dürfen. (...)

Neue Regeln machen Kinder traurig

Die Kinder wissen, dass diese Regeln nicht von uns kommen und sind an manchen Tagen sehr traurig. Gerade die Kleinen verstehen nicht, warum in einem offenen Konzept auf einmal Freunde getrennt werden (...) und sie zusehen müssen, wenn die andere Gruppe draußen spielt.

Ein Satz von einem Kind meiner Gruppe in der letzten Woche: ‚Corona nervt. Und die Leute, die solche Regeln beschließen, wissen nichts über Kinder oder Kindergärten.‘ Dem kann ich mich nur anschließen.“