Vor der Entweihung der Petrikirche Wie ein Gebäude vor 112 Jahren Symbol für den Wandel war

Wie die Petrikirche vor 112 Jahren Symbol für den Wandel im Ruhrgebiet war
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Die Petrikirche in Castrop-Rauxel ist bald keine Kirche im eigentliche Sinne mehr. Am 12.11.2023 wird sie von der Evangelischen Kirchengemeinde Castrop-Rauxel-Nord entweiht. Die Gemeinde trägt an jenem Sonntag mitten im Gottesdienst die Altarbibel, die Abendmahlsgeräte und die Osterkerze aus der Kirche in Habinghorst heraus, fährt mit dem Bus zur Christuskirche in Ickern und feiert dort den Gottesdienst mit dem Abendmahl zu Ende. Die Fusionsgemeinde hat dort ohnehin schon ihr Zentrum. Auch wenn der Kirche an der Wartburgstraße 109 eine große Bedeutung zukommt. Vor allem geschichtlich.

Nur ein Jahr Bauzeit

Nach einer historischen Ausarbeitung von Petra Schieferstein-Kosthöfer, die Kirchenführungen macht und für Kirchenpädagogik zuständig ist, sei sie gar ein Symbol für die Entwicklung der Industrie im Ruhrgebiet. Sie wurde in einer Zeit des Umbruchs und des Neubeginns vor 112 Jahren erbaut. 1911 ging sie nach nur einem Jahr Bauzeit in „Betrieb“ und spiegelt die rasche Transformation der Region wider.

Innerhalb weniger Jahrzehnte entstanden damals zahlreiche Industrieunternehmen im Ruhrgebiet, die Arbeiter aus verschiedenen Regionen anlockten, darunter Ost- und Westpreußen, Schlesien und Pommern. Hier am Standort waren das vor allem die Zeche Viktor mit den Schachtanlagen 3 / 4 in unmittelbarer Nähe und die Teerproduktion von Rütgers, heute Rain Carbon, auf der anderen Seite des Kirchengrundstücks. Mit den Arbeitern kamen nicht nur „Wirtschaftsförderer“, sondern auch neue kulturelle Gepflogenheiten. Und der damals weit verbreitete Glaube an Gott. Letztlich wurde die Kirche nach einem Beschluss von 1910 erbaut, um den Bedürfnissen der wachsenden evangelischen Gemeinde in Habinghorst gerecht zu werden.

Die Besonderheit der Petrikirche liegt auch in ihrer „evangelischen“ Architektur: Im Gottesdienst steht die Bibel im Mittelpunkt, „gleichwertig in Form von Altar, Gesang und Auslegung des Wortes“, so Petra Schieferstein-Kosthöfer. Deshalb habe man versucht, möglichst viele Menschen möglichst nahe an das Geschehen heranzubringen. Durch den breiten Querarm und die Einrichtung von Emporen waren viele Menschen nah dran.

Die Kirche wurde im Zweiten Weltkrieg, am 3. Januar 1945 von einer Sprengbombe getroffen. Schwer beschädigt wurde sie schon 1946 wieder aufgebaut. Nur der Turm und ein paar Außenmauern standen noch, der Rest musste in harter Arbeit wiederhergestellt werden. Die Gemeindemitglieder beteiligten sich daran aktiv und trugen dazu bei, die Kirche zu restaurieren und zu verschönern. Bei der Einweihung 1949 erhält sie dann ihren heutigen Namen; zuvor hieß sie einfach Evangelische Kirche Habinghorst.

Zu wenige Kirchengänger

Im Laufe der Jahre gab es verschiedene Erweiterungen und Renovierungen, darunter die Neugestaltung des Altarraums und der Bau eines neuen Eingangs im Norden. So stieg ihre Kapazität auf bis zu 400 Gläubige an. Eine Zahl, die in den vergangenen Jahrzehnten kaum noch erreicht wurde.

Die Petrikirche ist als Symbol für die Veränderungen im Ruhrgebiet ein wichtiger Bestandteil der Stadt-Geschichte. Aber sie ist heute kein adäquater Raum mehr für die Gemeinde: Inzwischen ist sie laut Pfarrer Sven Teschner hoch sanierungsbedürftig. Kontinuierlich sinkende Gemeindegliederzah­len hätten jetzt zur Entscheidung des Presbyteriums geführt: „In die Petrikir­che kommen in der Regel nur etwa 30 Personen zum Gottesdienst zusammen. Bei Taufgottesdiensten oder an­deren besonderen Gottesdiensten sind es 80 bis 150 Personen; nur an Weih­nachten und zur Konfirmation ist die Kirche ausgelastet“, so der Pfarrer, der noch direkt an der Kirche wohnt.

Die evangelischen Pfarrer Dominik Kemper und Sven Teschner mussten sich vor einigen Jahren von Nina Ciesielski und Claudia Reifenberger (v.l.) trennen, die die Gemeinde Castrop-Rauxel-Nord verließen. Nun trennt man sich sogar von einem Kirchengebäude.
Die evangelischen Pfarrer Dominik Kemper und Sven Teschner mussten sich vor einigen Jahren von Nina Ciesielski und Claudia Reifenberger (v.l.) trennen, die die Gemeinde Castrop-Rauxel-Nord verließen. Nun trennt man sich sogar von einem Kirchengebäude. © Tobias Weckenbrock (2019)

Gleichwohl sei dem Presbyterium die Entscheidung „alles andere als leicht­gefallen. Es musste diskutieren, ob ein schö­nes, stadtbildprägendes und religiös bedeutsames Gebäude aufgegeben wer­den kann und gleichzeitig die Frage beantworten, ob es richtig ist, für die Sanierung eines so wenig ausgelasteten Gebäudes mindestens eine Million Euro auszugeben“, so Pfarrer Teschner. Letztlich habe sich die Gemeindeleitung zur Aufgabe entschieden, „weil eine so große Kirche an diesem Standort weder gebraucht wird noch finanzierbar ist“.

Christophorus-Heim: Ersatz in Habinghorst

„Wir haben mit der Christuskirche und der Erlöserkirche in Henrichenburg andere schöne Kirchen, in denen wir künftig gemeinsam Gottesdienste, Taufen, Trauungen, Konfirmationen und Jubiläen feiern wer­den“, sagt Pfarrer Teschner, der selbst aus dem Pfarrhaus neben der Petrikirche auszie­hen wird. Ein Rückzug aus Habinghorst sei das mitnichten: Angebote aus Kirche und Christophorus-Heim wird es künftig an der Langen Straße geben. Noch ist allerdings kein Mietvertrag unterschrieben.

„Ich hoffe, dass alle, die im Moment trau­rig, erschüttert oder wütend sind, sich Zeit nehmen zum Trauern, Klagen und Erinnern“, sagt Sven Teschner. „Und ich hoffe, dass sie sich dann nach und nach trösten lassen durch die Erfahrungen, die sie an anderen kirchlichen Orten der Gemeinde im Norden unserer Stadt machen können und machen wer­den.“

Die Taufkapelle mit dem Taufbrunnen und dem Blick ins Kirchenschiff: Die Osterkerze wird am 12.11.2023 zum letzten Mal aus der 112 Jahre alten Kirche herausgetragen. Dann wird sie entweiht.
Die Taufkapelle mit dem Taufbrunnen und dem Blick ins Kirchenschiff: Die Osterkerze wird am 12.11.2023 zum letzten Mal aus der 112 Jahre alten Kirche herausgetragen. Dann wird sie entweiht. © Gemeinde

Die Petrikirche wird dann an einen Investor verkauft. Fest steht: Sie soll, obwohl sie nicht unter Denkmalschutz steht, als Gebäude erhalten bleiben. „Es gibt Pläne, die noch nicht spruchreif sind, die aber eine sinnvolle und eine angemessene Weiternut­zung des Kirchgebäudes beinhalten“, erklärt Pfarrer Sven Teschner am Donnerstag.

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