Die angeblichen Vertreter gaben an, dass sie die Zählerstände überprüfen wollten. In Wahrheit jubelten sie einer Castrop-Rauxelerin Kündigungen und Neuabschlüsse von Strom- und Gasverträgen unter.

Die angeblichen Vertreter gaben an, dass sie die Zählerstände überprüfen wollten. In Wahrheit jubelten sie einer Castrop-Rauxelerin Kündigungen und Neuabschlüsse von Strom- und Gasverträgen unter. © David Ebener (dpa)

Alleinstehende Frau (88) im Hausflur betrogen: „Das ist schockierend“

rnGas- und Stromvertrag

Wieder eines dieser dreisten Haustürgeschäfte: Johanna R. (88) aus Castrop-Rauxel schloss unwissentlich einen Gas- und Strom-Deal ab. Der Sprecher eines großen Energielieferanten reagiert perplex.

Ickern

, 27.09.2022, 18:15 Uhr / Lesedauer: 3 min

Johanna R. ist 88 Jahre alt und lebt allein in einem Haus in den Aapwiesen in Castrop-Rauxel-Ickern. Dieses Alleinleben, das wird ihr nun zum Verhängnis. Sie sagt im Gespräch mit unserer Redaktion, einen solchen Fehler habe sie noch nie begangen. Es geht um Gas und Strom und zwei junge, adrett gekleidete Menschen, denen sie auf den Leim ging. Hier schildert sie, was ihr passierte.

Es hat geschellt, ich habe die Tür aufgemacht. Da standen ein junger Mann und eine junge Frau, beide hatten ein Notebook in der Hand. Sie sagten, sie müssten Zählerstände überprüfen. Ich sagte, dass vor einigen Tagen schon jemand abgelesen habe. Aber sie sagten, sie müssten noch mal nachsehen.

Die Frau blieb oben im Flur stehen, der Mann ging in den Keller. Als er wieder rauf kam, fragte er, ob er sich irgendwo hinsetzen dürfe, um etwas einzutippen. Dann setzte er sich ins Wohnzimmer, fragte, was ich für Gas derzeit pauschal bezahle. Ich sagte: „229 Euro, glaube ich.“ Er sagte, er müsse das genau wissen. Ich hab dann nachgesehen und es stimmte. Den Betrag hat er dann eingetippt.

„Ich sollte einfach auf dem Laptop unterschreiben“

Nach einiger Zeit sagte er, nun müsste ich nur noch hier unterschreiben. Ich fragte: „Wofür denn?“ Nur damit er seiner Firma vorlegen könne, dass er wirklich hier war. Er hatte aber kein Papier dabei, auch keinen Kugelschreiber, ich sollte einfach auf dem Laptop unterschreiben, mit dem Finger.

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Im Rausgehen sagte er dann noch: „Kennen Sie mich denn nicht mehr? Ich war doch vor zwei Jahren im März schon mal hier.“ Das kann aber gar nicht sein, denn damals hatte ich noch gar keine Gasheizung. Da fiel mir auf, dass das Verbrecher sein müssen.

Ich habe sofort per Telefon mein Konto sperren lassen. Das war an einem Freitagabend. Samstag habe ich die Polizei benachrichtigt, die kamen auch gleich mit drei Leuten zu mir. Der eine hat mich ausgeschimpft, ich sollte, wenn jemand klingelt, nur durchs Fenster sprechen und nicht gleich jeden reinlassen.

Die Personen waren aber recht festlich angezogen, er im Anzug, sie im T-Shirt und Jeans – sahen schick aus, als würden sie auf eine Feier gehen. Eine Plakette oder ein Namensschild hatten sie nicht dabei.

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Als die Polizei fragte, was ich unterschrieben habe, konnte ich das nicht genau sagen. 14 Tage später bekam ich ein Schreiben von meinem Stromanbieter, dass mein Vertrag gekündigt sei. Dann bekam ich ein Schreiben vom Gasanbieter, dass mein Vertrag gekündigt sei. Jeweils, weil neue Verträge geschlossen worden seien.

Ich bin wieder zur Polizei gegangen. Die hat wieder alles aufgenommen. Aber ich bekam einige Zeit später Post von der Staatsanwaltschaft, dass das Verfahren eingestellt sei.

Ich bekomme Briefe, Zahlungsaufforderungen vom einem neuen Anbieter namens EnBW. Gas und Strom sind noch da, aber bezahlt habe ich nun erst einmal nichts.

„Jetzt hat mich ein schwacher Moment erwischt“

Ich lass nun niemanden mehr rein, und wenn es der Pastor ist, der kommt. Ich schütte einen Eimer Pech über den Leuten aus. Ich bin so alt geworden, mir ist sowas noch nie passiert. Jetzt aber hat mich ein schwacher Moment erwischt.

Elisabeth Wigger-Düsing berät bei der Verbraucherzentrale zu Strom- und Gas-Fragen. Seit einigen Monaten kommt sie kaum noch zur Ruhe.

Elisabeth Wigger-Düsing berät bei der Verbraucherzentrale zu Strom- und Gas-Fragen. Seit einigen Monaten kommt sie kaum noch zur Ruhe. © VZ Castrop-Rauxel

Die Verbraucherzentrale ist eingeschaltet. An sie wandte sich Johanna R. auf Anraten des Sozialverbands VdK. Und wir fragten bei EnBW nach: Waren das Ihre Leute?

In einer ersten Antwort am Telefon sagt EnBW-Sprecher Heiko Willrett: „Das ist schockierend. Ein extrem dreister, unverschämter Fall von Betrug.“ Das Unternehmen erlebe immer wieder Betrugsfälle, „aber in dieser Form, zu zweit und so dreist, kommt das kaum vor.“ Vertriebler der EnBW wiesen sich stets aus, trügen EnBW-Kleidung. „Es muss für das Gegenüber alles verständlich dargelegt werden. Diese Leute haben in jedem Fall keinen Auftrag von uns erhalten.“

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Das Problem: Man brauche „nur“ die Zählernummer, die Adresse und die Unterschrift, dann könne man betrügerisch vorgehen. „Die Leute kassieren dann sogar noch eine Abschluss-Prämie. Unser Problem ist: Bei Versorgerwechseln gilt der Datenschutz. Wir bekommen über den Netzbetreiber stets neue Kunden zum Beispiel in der Grundversorgung, kennen aber die Hintergründe der Abschlüsse nicht. Warum jemand wechselt, ist uns nicht bekannt. In dem Bereich findet dann Betrug statt.“

Verträge rückabgewickelt – aber was wird aus den Kündigungen?

Er versicherte am Dienstag (27.9.) unserer Redaktion: „Die Kundin war nur einen Tag bei uns Vertragskundin. Wir haben das ganz schnell rückabgewickelt, sie erhält keine Forderungen.“

Dass ihre alten Verträge beim Grundversorger nun gekündigt sind, lässt sich aber womöglich nur schwer reparieren. Darauf habe er leider keinen Einfluss, sagte Willrett. Man versuche aber zu ermitteln, wer die Menschen im Haus von Johanna R. waren. Sie verließ sich darauf, dass sie ja mit der Polizei gesprochen habe. Ob sie wieder aufgenommen wird angesichts der aktuell schwierigen Lage?

Die Energie-Beraterin Elisabeth Wigger-Düsing von der Verbraucherzentrale Castrop-Rauxel sagt: „Die Strafanzeige hat leider keine vertragsrechtliche Relevanz, höchstens eine strafrechtliche. Die Frage ist, was bei den Ermittlungen heraus kommt. Es könnte schwierig werden, den Betrugsversuch zu belegen.“ Das Widerrufsrecht habe eine Frist von 14 Tagen. Das sollte man sofort in Anspruch nehmen. Und vorher am besten keine Unterschriften beim Haustür-Vertrieb leisten. „Man muss nicht bestätigen, dass jemand einen Zählerstand abgelesen hat oder da gewesen ist. Das ist immer ein vorgeschobener Grund“, sagt sie.

Zwei Ideen der Handhabe hat sie: EnBW sei ein namhafter Anbieter. Außer auf dem Tablet habe zudem womöglich nichts schriftlich vorgelegen. Bald treffen sich die beiden zum Beratungsgespräch.