„Eltern müssen sich in der Schule mehr einbringen - auch nach Corona“
Bildung
Erziehung ist nicht alleine Aufgabe der Lehrer, sagt Andrea Heck. Sie ist Vorsitzende des Elternvereins NRW. Homeschooling zeige, wie wichtig es ist, dass Eltern ihre Kinder unterstützen.

Andrea Heck ist Vorsitzende des Elternvereins NRW mit Sitz in Recklinghausen. © Ulrike Schumann
Der Elternverein NRW mit Sitz in Recklinghausen gibt Eltern eine wichtige Stimme in der Bildungspolitik - gerade auch als Gegenpol zu den einflussreichen Lehrer-Gewerkschaften. Wie die Vorsitzende Andrea Heck über Distanzunterricht, die Rolle der Eltern und über Versäumnisse im Schulministerium denkt, sagte sie im Gespräch mit unserer Redaktion.
Was wären Sie im vergangenen Schuljahr lieber gewesen: Schulministerin oder Lehrerin?
Andrea Heck: Keines von beidem. Die Schulministerin war mit einer Situation konfrontiert, die es so vorher nie gegeben hat. Sie musste in kurzer Zeit Entscheidungen treffen - und dabei waren, das muss man so sagen - auch falsche. Aber grundsätzlich kann man in einer solchen Ausnahmesituation in dieser Position nicht gewinnen. Auch die Lehrer waren nicht vorbereitet: Sie mussten sich in sehr kurzer Zeit mit digitalem Unterricht beschäftigen und hatten von allen Seiten viel Druck, nicht zuletzt von uns Eltern.
Das klingt, nachdem der Elternverein immer wieder auf Versäumnisse hingewiesen hat, geradezu versöhnlich.
Heck: Das möchte ich unterscheiden. Natürlich haben wir sehr beharrlich die Digitalisierung in den Schulen eingefordert und haben uns für den maximalen Schutz unserer Kinder eingesetzt. Das werden wir auch weiter tun, denn mit dem Ende dieses Schuljahres endet ja nicht Corona. Dennoch habe ich Verständnis dafür, dass die Pandemie uns alle fordert und Fehlentscheidungen mit sich bringt. Die dürfen sich nur nicht häufen, denn das geht zu Lasten unserer Kinder - und auch zu Lasten von uns Eltern.
Was lasten Sie der Politik an?
Heck: Ihre Haltung war immer reaktiv, nicht proaktiv. Das betraf rechtzeitige Planung bei der Digitalisierung, bei den Testungen und bei Lüftungsgeräten in den Klassenzimmern.
Staatssekretär Mathias Richter aus Recklinghausen hat neulich die Wirksamkeit von Lüftungsgeräten in Frage gestellt.
Heck: Ich finde für alle Argumentationen die richtige Studie, wenn ich nur danach suche. Es gibt aber etliche andere Studien, die besagen, dass Lüftungsgeräte durchaus Effekte haben und die Ansteckungsgefahr minimieren. Ich sehe jetzt schon wieder mit Grauen, dass unsere Kinder ab dem Herbst bei geöffneten Fenstern in ihren Klassenräumen frieren. Fakt ist allerdings auch, dass sich nicht alle Städte und Schulen solche Anlagen leisten können. Denn die Förderung durch Bund und Land kommt für einen geringen Teil der Unterrichtsräume in Betracht.
Mit welchem Gefühl betrachten Sie das abgelaufene Schuljahr?
Heck: Ich bin vor allem erleichtert, dass wir alle es nach einer wahren Achterbahnfahrt irgendwie dann doch zu einem guten Abschluss gebracht haben: nach Schulschließungen, langem Distanzunterricht, und zuletzt wieder Präsenz in der Schule mit Maskenpflicht und Tests. Das höre ich von vielen anderen Eltern auch.
Ihre Tochter hat Abitur gemacht - Glückwunsch dazu! Wie schwer ist es ihr und Ihnen als Mutter unter diesen widrigen Bedingungen ergangen?
Heck: Natürlich hätten wir alle Corona nicht gebraucht. Aber wenn ich dem Ganzen etwas Positives abgewinnen soll: Sie und die allermeisten anderen Kinder und Jugendlichen sind Kämpfer-Kinder. Sie müssen es unter diesen Bedingungen auch sein. Das wird ihnen auf ihrem weiteren Lebensweg noch von Nutzen sein.
Wie blicken Sie auf das neue Schuljahr? Ministerpräsident Armin Laschet hat ja bereits in Aussicht gestellt, dass die Maskenpflicht im Unterricht unter bestimmten Bedingungen entfallen kann.
Heck: Ich betrachte das neue Schuljahr mit einem Gefühl der Unsicherheit. Wir wissen ja alle nicht, was noch kommt und wie sich Corona entwickelt, gerade mit Blick auf die Delta-Variante. Und was die Maskenpflicht betrifft, da komme ich wieder zum Thema Planung: Dann muss Herr Laschet aber auch sagen, ab welcher Inzidenz die Masken nicht mehr getragen werden müssen. Alles andere verunsichert Eltern doch nur.
Lieber weiter Maske tragen als in den Distanzunterricht zurückkehren: Würden Sie diese Aussage unterschreiben?
Heck: In der Frage ist die Elternschaft nach wie vor geteilt. Die eine Hälfte sagt, dass die Kinder lieber weiter Maske tragen sollen. Die andere sagt: Lasst die Kinder endlich wieder Kinder sein. Ich kann beide Positionen verstehen. Ich persönlich würde auf Nummer sicher gehen, solange das Virus noch unter uns ist - also Maskenpflicht. Denn Präsenzunterricht ist durch nichts zu ersetzen.
Welche Position vertreten Sie in der Frage des Impfens von Kindern?
Heck: Auch da gibt es in der Elternschaft zwei Lager, dafür und dagegen. Mir ist wichtig, dass wir ihnen die Entscheidung überlassen, natürlich gemeinsam mit ihren Kindern. Es kann aber nicht sein, dass Impfen die einzige Lösung ist, um unsere Kinder vor einer Ansteckung zu schützen. Die anderen Maßnahmen dürfen deswegen nicht vernachlässigt oder gar aufgegeben werden.
Welche meinen Sie?
Heck: Die Kombination bringt den größten Effekt. Und das bedeutet Maske tragen, Testen und Klassenzimmer lüften.
Das klingt so ähnlich wie vor einem Jahr. Wo stehen wir im Vergleich zum Sommer 2020?
Heck: Es hat sich vieles entwickelt, vor allem im Verhältnis zwischen Schulen und den Eltern. Viele Familien haben Schule in dieser Zeit ganz anders zu schätzen gelernt. Sie haben unmittelbar erfahren, wie ihre Kinder lernen und was es bedeutet, Kindern etwas beizubringen. Für die meisten von uns war es eine gute Erfahrung, dass wir uns mit unseren Kindern zusammen an den Schreibtisch gesetzt und gemeinsam gelernt haben.
Ist das nicht ein bisschen beschönigend? Was ist mit den vielen, vor allem Alleinerziehenden und den berufstätigen Eltern, die diese Doppelbelastung an den Rand ihrer Kräfte gebracht hat?
Heck: Sie haben Recht! Die Schere zwischen denen, die es sich zeitlich und finanziell leisten können, ihre Kinder durch ein solch schwieriges Schuljahr zu bringen, und denen, die auch ohne Pandemie schon genug belastet sind, ist noch einmal gestiegen. Es gab und gibt zwar Hilfen, vor allem für Alleinerziehende; aber das reicht nicht aus. Auch der Umstand, dass Schulen Notbetreuung angeboten haben, ist sicherlich positiv zu bewerten. Aber bei der Familienförderung muss sich noch eine Menge ändern. Denn niemand wird ernsthaft bestreiten, was wir als Eltern da geleistet haben.
Es wird viel darüber gesprochen, welche Schäden das Distanzlernen und das Fehlen sozialer Kontakte bei unseren Kindern hinterlassen. Das ist richtig, dem nachzugehen. Welche psychischen Folgen Eltern möglicherweise aus dieser Zeit davontragen, wird wenig bis gar nicht thematisiert.
Heck: Ich bin davon überzeugt, dass wir Eltern da stabiler sind als unsere Kinder, die ja noch in ihrer Entwicklung sind. Ich finde es spannender, dass wir uns als Eltern viel mehr Gedanken darüber machen müssen, welche Rolle wir bei der Bildung unserer Kinder spielen wollen. Es ist ja nicht gerade unüblich, dass Kinder früh in Kita und Schule geschickt werden, und Eltern die Verantwortung den Erziehern und Lehrern übertragen.
Manche haben aber gar keine andere Wahl, weil sie es aus verschiedenen Gründen nicht leisten können.
Heck: Von denen rede ich nicht. Es gibt nach meinen Erfahrungen deutlich mehr Eltern, die das nicht leisten wollen - weil sie die Erwartung haben, dass das Schulsystem alles für sie regelt. Das wird meines Erachtens so nicht mehr funktionieren. Wir als Eltern müssen uns mehr einbringen, auch nach Corona. Unter anderem müssen wir unseren Kindern zeigen, wie man Verantwortung übernimmt, wie sie sich organisieren können, und wie ein strukturierter Tagesablauf aussieht. Das kann auch der beste Lehrer nicht für uns übernehmen.
Was hat der Elternverein in den vergangenen anderthalb Jahren erreicht?
Heck: Vor allem bei der digitalen Ausstattung der Schulen haben wir richtig viel Druck gemacht sowie bei dem Thema Testungen. Wichtig war vor allem die Vernetzung mit anderen Elternverbänden und Gruppierungen, die sich mit dem Thema Schulbildung befassen. So konnten wir verschieden Probleme rechtzeitig erkennen und an den Zuständigen rüberbringen. Und letztendlich haben wir durch Social Media versucht, so viele Familien wie möglich zu erreichen und zu informieren. Darauf dürfen wir ein bisschen stolz sein.