Detlef Laumann über Menschenkette und Brandmauer „Müssen Selbstverständliches jetzt aktiv verteidigen“

Detlef Laumann: „Müssen Selbstverständliches jetzt aktiv verteidigen“
Lesezeit

Zur Demonstration am 18. Januar am Stadtmittelpunkt kamen in Castrop-Rauxel 1500 Menschen. Eine stattliche Zahl: So viele Leute bei einer Demo in der Europastadt gab es lange nicht, vielleicht sogar noch nie. Nun steht eine weitere an: eine Menschenkette, die mit der Unterzeichnung eines Brandmauer-Versprechens einhergehen soll. Was genau geplant ist und was sich das „Bündnis für Demokratie“ dabei denkt, sagt einer, der der Aktionsgruppe vorsteht: Detlef Laumann, pensionierter Lehrer des Ernst-Barlach-Gymnasiums.

Detlef Laumann: „Müssen Selbstverständliches jetzt aktiv verteidigen“

Herr Laumann, ein Brandmauer-Versprechen – das klingt stark. Wie finden Sie das Bild von der Brandmauer? Was verbinden Sie selbst damit?

Für mich bringt das Bild der „Brandmauer“ zum Ausdruck, dass wir Demokraten unsere Demokratie gegen das bildliche Brandstiften antidemokratischer Kräfte schützen müssen. Sie zündeln an verschiedenen Stellen und Orten und beabsichtigen damit, einen Großbrand auszulösen, der unsere politische Ordnung und deren Grundwerte vernichten soll.

Geben Sie mal ein Beispiel.

Ein aktuelles Beispiel für ein solches Zündeln ist die von Herrn Höcke getätigte Formulierung „Alles für Deutschland“, die er als ehemaliger Geschichtslehrer angeblich nicht dem SA-Jargon habe zuordnen können, als er sie benutzte. Das halte ich als Historiker für völlig unglaubwürdig. Damit wird versucht, über die Banalisierung der NS-Sprache schrittweise eine ideologische Wende zu erreichen, die unsere Demokratie infrage stellt und letztlich bedroht. Das Landgericht Halle hat da mit dem Urteil seinen Teil zur Errichtung einer Brandmauer beigetragen. Dies müssen wir hier vor Ort auch durch Widerrede und Widerstand gegen solche Bestrebungen deutlich tun.

Würden Sie bei den Demonstrationen eigentlich eher „gegen Rechts“ oder „gegen Rechtsextremismus“ sagen?

Für mich mit meinen 66 Jahren ist die Formulierung „Gegen Rechts“ eindeutig auf den „Rechtsradikalismus“ ausgerichtet. Mit diesem Verständnis bin ich wie viele in meiner Generation groß geworden, und so habe ich den Begriff „rechts“ auch immer gedacht und verwendet. Damit ist er deutlich zu unterscheiden von einem „rechts-konservativen Denken“, das demokratisch ausgerichtet und nicht reaktionär ist. Die Debatte um solche Begrifflichkeiten lässt sich meines Erachtens durch klare Definitionen schnell beenden und darf nicht als Nebenkriegsschauplatz zur Aufweichung der Solidarität unter allen Demokraten führen.

Zu Ihren aktuellen Protest-Plänen: Glauben Sie, dass Sie das Tempo der gesamtgesellschaftlichen Bewegung, die vor allem zu Jahresbeginn sehr stark war, wieder aufnehmen können? Aktuell fehlt so ein bisschen der Aufschrei wie damals, oder?

Ein Aufschrei erfolgt immer dann, wenn ein schmerzhaftes und bedrohliches Ereignis geschehen ist. Ein solcher Aufschrei war nach Veröffentlichung der Nachrichten zum demokratiefeindlichen Geheimtreffen rechtsradikaler Kräfte die Demonstration von 1500 Bürgerinnen und Bürgern dieser Stadt am Europaplatz. Mit unserer Aktion am 26.5., also der Unterzeichnung des „Castroper Brandmauer-Versprechens“ und der anschließenden Menschenkette, wollen wir präventiv vor der Europawahl für den Gang zur Wahlurne und für die Wahl demokratischer Parteien werben, damit nicht erst nach einem Wahlergebnis, das die rechtsradikalen und europafeindlichen Kräfte stärken würde, ein solcher Aufschrei erfolgen muss. Dann ist es zu spät.

1500 Teilnehmer waren in der Spitze bei der Demo gegen Rechtsextremismus am Rathaus Castrop-Rauxel am 18. Januar 2024.
1500 Teilnehmer waren in der Spitze bei der Demo gegen Rechtsextremismus am Rathaus Castrop-Rauxel am 18. Januar 2024. © Ludger Staudinger

Im Januar kamen 1500 Menschen. Nun, sagen Sie, brauchen Sie 1100. Was, wenn Sie nicht so viele Teilnehmer zusammen bekommen? Ist die Demo dann nicht eher eine Niederlage für die „Demokraten“ in Castrop-Rauxel?

Natürlich ist diese Aktion ein Wagnis, aber das ist doch auch und gerade die Demokratie als politisches System, das auf bürgerliches Engagement und auf bürgerliche Verantwortung setzt. Die Demokratie muss jeden Tag aufs Neue belebt werden und kann nur funktionieren, wenn sich Bürgerinnen und Bürger für sie und in ihr engagieren. Es wird sich zeigen, wie viele Castrop-Rauxeler sich beteiligen werden. Aber jede und jeder einzelne zählt und ist ein wichtiges Zeichen für die Demokratie und für ein vereintes Europa. Damit können wir das Versprechen der Castrop-Rauxeler aus dem Jahr 1950 erneuern, dass sich mit überragender Mehrheit für einen „Zusammenschluß aller europäischen Völker zu einem europäischen Bundesstaat“ aussprach.

Zum Thema

Menschenkette und Brandmauer

Am Sonntag, 26.5.2024, um 15 Uhr treffen sich die Teilnehmer am Marktplatz. Dort sollen Politiker das „Castoper Brandmauer-Versprechen“ unterzeichnen. Darin geht es um ein gemeinsames Einstehen für Demokratie, gegen politischen Extremismus und gegen die Angst von Menschen mit Migrationshintergrund vor Vertreibung. Anschließend bilden die Teilnehmer eine Menschenkette vom Platz von Kuopio (Taubenvatta / Obere Münsterstraße) bis zum Baumkreis gegen den NSU-Terror im Goldschmiedingpark.

Was hat sich seit Januar im Bündnis für Demokratie getan?

Bürgermeister Kravanja hat nach der Demonstration vom Januar am 6. März zu einer Wiederbelebung des 2018 gegründeten Bündnisses für Demokratie Castrop-Rauxel aufgerufen, an der dann ca. 70 Personen teilgenommen haben. Aus diesem Personenkreis heraus hat sich eine Planungsgruppe von ca. 15 Personen gebildet, die eine kontinuierliche Arbeit gewährleisten will und zukünftige Aktivitäten plant, um diese dann gemeinsam mit dem Gesamtbündnis und der Castrop-Rauxeler Bevölkerung umzusetzen.

Kravanja ist Bürgermeister der Rot-Grünen Koalition und SPD-Mitglied. Wie versteht sich das Bündnis vor diesem Hintergrund?

Wichtig ist, dass die Mitglieder dieser Planungsgruppe ein überparteiliches Gremium darstellen, dem es um die grundsätzliche Stärkung der Demokratie und nicht um parteipolitische Anliegen geht.

Ein runder Tisch und einige weitere Teilnehmer auf den "Besucher-Plätzen" – so sah das erste Treffen im "DIEZE" an der Erinstraße vom neu belebten "Bündnis für Demokratie" aus.
Ein runder Tisch und einige weitere Teilnehmer auf den "Besucher-Plätzen" – so sah das erste Treffen im "DIEZE" an der Erinstraße vom neu belebten "Bündnis für Demokratie" aus. © Stadt Castrop-Rauxel

Klappt das?

Ich als parteiloser Koordinator dieser Planungsgruppe erlebe die Zusammenarbeit dort als äußerst konstruktiv und über alle Parteigrenzen hinausgehend.

Nach der Menschenkette ist vor... was?

Weitere Aktionen und Veranstaltungen sind angedacht und werden in der zweiten Jahreshälfte konkretisiert werden.

Okay. Bleiben wir noch mal bei diesem Event: Wie ist die Idee mit der Menschenkette und zu diesen zwei Orten entstanden?

Am und auf dem Kupioplatz begegnen uns mehrere wichtige Stationen der Stadtgeschichte. Der Jüdische Friedhof erinnert an die Zeiten, in denen Menschen jüdischen Glaubens hier ihre Heimat gefunden haben und ihre Toten bestatteten. Jüdische Mitmenschen gehörten trotz eines sicher auch existenten Antisemitismus lange selbstverständlich zur Stadtgesellschaft. Unsere Menschenkette wird dann auf dem Weg zu Goldschmieding an den Stolpersteinen vorbeiführen, die auf die Verbrechen zwischen 1933 und 1945 an diesen Mitmenschen verweisen.

Aber an diesem Platz wird auch auf die Entscheidung der Bevölkerung für ein freies, demokratisches, vereintes und die Menschenrechte garantierendes Europa hingewiesen, das auch den im „Taubenvatta“ mit symbolisierten zugewanderten Mitmenschen Sicherheit und Freiheit garantieren soll.

An dieser Stelle kommt der zweite Ankerpunkt der Kette in den Blick: Das Mahnmal für die Opfer des rassistischen NSU-Terrors im Goldschmiedingpark erinnert daran, dass das verbrecherische und menschenfeindliche Denken des Faschismus und Nationalsozialismus bis heute zu von uns zu bekämpfendem Unrecht und Leid für Mitmenschen führt, die hier in Deutschland als Zugewanderte oder als deren Kinder und Enkel ihre Heimat gefunden haben. Es mahnt alle Demokratinnen und Demokraten, sich Hand in Hand gegen Ausgrenzung und für Menschenrechte und Vielfalt einzusetzen.

Zwei der Bäume aus dem Baumkreis wurden im Sommer 2021 abgesägt. Hier endet die Menschenkette im Goldschmiedingpark.
Zwei der Bäume aus dem Baumkreis wurden im Sommer 2021 abgesägt. Hier endet die Menschenkette im Goldschmiedingpark. © Nora Varga (2021)

Das klingt nach einem gut durchdachten Plan. Letzte Frage: Was versprechen Sie sich von der Demo?

Das wiederhole ich gern: Ein lebendiges Zeichen für Mitmenschlichkeit, für Menschrechte, für Demokratie, für ein Europa, das Frieden sichert, für all das, was wir bisher fast wie selbstverständlich genießen durften und was wir jetzt aktiv verteidigen und schützen müssen – nicht nur zu besonderen Anlässen, sondern jeden Tag und jede und jeder einzelne im Rahmen seiner Möglichkeiten.

Foto von Castrop-Rauxeler Demo wird zu Fake-News: Das steckt in Wirklichkeit hinter dem Bild