Ziemlich steinig, dieser Vorgarten. Echt praktisch. Und schön. © Stephan Schuetze
Kolumne „Schroeter denkt“
Der Vorgarten wandelt sich von der Gartenzwerg-Idylle zur Abraumhalde
Der Stein des Anstoßes liegt beim Nachbarn. Dort hat der Zierkies den Gartenzwerg abgelöst, die neue Sachlichkeit die alte Biederkeit. Eine Betrachtung des deutschen Vorgarten-Wesens.
Der Deutsche ist schon speziell. Er ist systematisch, sparsam und hat es gern ordentlich, sauber und gediegen. Ein Vorurteil? Mag sein. Eine unzulässige Verallgemeinerung? Mag auch sein. Aber gucken wir uns doch einmal um und nehmen uns das Beispiel Gartengestaltung als Prüffeld meiner Behauptung. Der Garten fing mal (sehen wir von Schlossgärten und ähnlichen Landschaftsgärten betuchter Menschen mal ab) als Nutzfläche an. Bohnen, Kartoffeln, Rüben, Spalierobst und ähnlich Nahrhaftes sollten die heimische Speisekarte bereichern. Im Hausgarten ist das überwiegend Vergangenheit, hier hat der Zier- den Nutzgedanken in den vergangenen Jahrzehnten komplett verdrängt.
Kleingärten bleiben grüne Inseln in der Stadt
Das Kleingarten-Wesen (ein herrlich deutscher Begriff) hält die Fahne des Fruchtstandes dagegen noch halbwegs hoch. Hier sieht man noch akkurate Reihen Wirsing, Spitzkohl oder Möhren, gut gepflegte Tomatenpflanzen und üppige Himbeersträucher. Aber auch im Kleingarten hat der Erholungs- den Versorgungsgedanken nach und nach überlagert. Es hat zwar immer noch alles seine Ordnung, heißt: „der Kleingarten darf ausschließlich kleingärtnerisch genutzt werden“ und eine Nutzung als reiner Ziergarten ist unzulässig. Aber der Anteil der Rasen- und Blütenflächen ist schon deutlich gewachsen. Die Kleingärten in Castrop-Rauxel sind dank der engagierten Kleingärtner in den Anlagen der Stadt echte grüne Inseln geblieben, in denen auch das naturnahe und Ressourcen schonende Gärtnern in den vergangenen Jahren massiv an Bedeutung gewonnen haben.
Im Hausgarten sieht das anders aus. Auf den immer kleiner werdenden Grundstücken der modernen Reihenhaus- oder Doppelhaus-Siedlungen muss man den Grünanteil zusehends mit der Lupe suchen. Bei einer Doppelhaushälfte, die heute gern schon mal auf einem 340-Quadratmeter-Grundstück realisiert wird, bleiben neben Haus, Vorgarten, Garage samt Zufahrt, Terrasse mit genug Raum für den großen Weber-Gasgrill und die Feuerschale, das heute quasi obligatorische Garten-Holzhaus und dem 20-Quadratmeter-Trampolin für die Kinder noch geschätzte 27,3 Quadratmeter für das Grün übrig. Rollrasen drauf, Lebensbäume am Rand, ein Blumenpott, fertig.
Bei einem solch aufwendig zu pflegenden Gartengrundstück will man sich dann natürlich nicht noch unnötige weitere Arbeit mit dem Vorgarten machen. Was also tun? Richtig: Wir gestalten uns eine Abraumhalde. Quasi in Erinnerung der ruhmreichen Bergbauvergangenheit setzen wir vor dem Haus ein Gedenken aus taubem Gestein.
Das muss nur feiner formuliert werden: „Kies und Steine sind prädestiniert für die Vorgarten-Gestaltung nach modernen Kriterien. Dank mannigfaltiger Korngrößen und Farben fangen sie die gewünschte Stimmung gekonnt ein. Mit einer wohlüberlegten Komposition der verschiedenen Elemente bringen Sie zugleich moderne Dynamik ins Erscheinungsbild.“ So gefunden in einem Online-Gartenjournal.
Der clevere Steinbruch-Besitzer, der auf die Idee gekommen ist, seinen Steinabfall so gekonnt an den Gartenbesitzer zu bringen, muss sich heute noch die Finger reiben. Und auch Steinmetze dürfen sich freuen. Reste ihrer eigentlichen Arbeit können sie Vorgärtnern jetzt als auflockernde Elemente der Kiesschüttung verhökern. Vornehmlich in staubgrau, aber auch in anderen Tönungen, denn: „Kies und Steine in warmen Erdfarben kreieren mediterranes Flair.“ So das erwähnte Gartenjournal.
Eine von Gräsern unterbrochene Ödnis
Neckische Steinstelen, unterschiedliche Schüttungen wie Kies „Tirol“ und „Carrara“ oder Splitt „Savanne“, „Ardennen“ oder „Lachs“, die eine oder andere Steinplatte in zackiger Rechteck- oder organisch-amorpher Form für den eher esoterisch angehauchten Hausbesitzer machen aus dem Vorgarten so im Handumdrehen eine von ökologisch nutzlosen Gräsern oder Koniferen unterbrochene Ödnis.
All das dann unterfüttert mit Folien, Unkrautvlies und Schotter, und nie wieder wird auch nur ein Halm Kraut die Unversehrtheit der grau(sam)en Fläche durchbrechen. Der moderne Städter hat es der Natur gezeigt, kann zufrieden vom geteerten Bordstein über die Betonplatten der Zufahrt in das mit Vinylboden oder Click-fix-Laminat versiegelte Haus und weiter auf die WPC-Kunststoff-Terrassendielen treten, ohne jemals wieder mit Natur in Berührung kommen zu müssen. Der Triumph des menschlichen Erfindergeistes ist vollbracht.
Neue Sachlichkeit löst den Gartenzwerg ab
Und da dachte ich lange Jahre ernsthaft, dass mir der deutsche Gartenbesitzer nichts Schlimmeres als den kniehohen Jägerzaun, Pflanzgefäße mit Geranien und Petunien oder den Gartenzwerg zu bieten hätte. Weit gefehlt. Der deutschen Garten-Gemütlichkeit hat der Garten-Deutsche den Krieg erklärt.
Die neue Sachlichkeit hat Einzug gehalten, Natur und Naturmaterialien haben ausgedient. Wo einst der Holzzaun den Garten umgab, sorgt heute als Krönung der Nützlichkeit das 1,80 Meter hohe, feuerverzinkte Doppelstahlmatten-Element samt Sichtschutz bietender Propylen-Kunststoff-Bahnen für Abschottung. Verrottung gibt es hier nicht mehr. Mensch führt gegen Natur uneinholbar mit 4:0.
Herrliche neue Gartenwelt.
Und die Moral von der Geschichte? Verbieten, wie es die Grünen landauf und landab fordern mit Hinweis auf Klimaschutz, Erderwärmung, Vogelschutz und vielen weiteren Argumenten? Oder aushalten, wie es Michael Breilmann von der CDU und Nils Bettinger von der FDP in Castrop-Rauxel fordern? Bettinger hält es für „übergriffig und bevormundend, den Bürgern vorzuschreiben, wie sie ihren Vorgarten zu gestalten haben“. Umweltschutz und das Mikroklima in der Stadt seien der FDP wichtig. Die Stellschrauben sehe man aber nicht in den Vorgärten der Bürger.
Wo denn, darf man dann schon fragen? Das soll es also gewesen sein? Lassen wir allen Menschen ihre Freiheit. Klar. Ist einfach. Freiheit ist toll. Freiheit, zu rasen, wie man will. Freiheit, den Hund in die Gegend kacken zu lassen. Freiheit, das Klima zu beschädigen. Freiheit, die Natur aus der Stadt auszusperren.
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