
© Tobias Weckenbrock
Corona-Dunkelziffer: Kreis Recklinghausen will keine Spekulationen
Coronavirus
Der Leiter des Gesundheitsamts preschte vor: 15.000 Dortmunder seien wohl infiziert, nicht die gemeldeten etwas über 2000. Mit welcher Dunkelziffer hantiert der Kreis Recklinghausen?
Wie viele Menschen waren oder sind mit dem Coronavirus infiziert? Die Zahlen, die das Robert-Koch-Institut, das Landeszentrum für Gesundheit NRW oder der Kreis Recklinghausen melden, geben vermeintliche Antworten auf die Frage. Täglich gibt es neue Zahlen. Aber dabei geht es nur um die registrierten Fälle, die durch PCR-Tests mittels Rachenabstrich im Labor untersucht wurden. Was aber ist mit einer Dunkelziffer?
Dr. Frank Renken, Leiter des Dortmunder Gesundheitsamtes, preschte in dieser Woche vor: Er sagte, dass die Zahl der aktuell infizierten Dortmunder mit Sars-CoV-2 wohl bei 15.000 liege. Nicht bei den 2200 Personen also, die als akut Infiziert gelten, weil sie als Positivfälle gemeldet und registriert wurden und noch nicht genesen sind. Der sieben- bis achtfache Wert, der die Gefahr, sich selbst anzustecken oder zumindest Corona-Positiven zu begegnen, massiv erhöht.
Was ist dran an dieser Schätzung? Welche Studien gibt es dazu? Und ist diese Dunkelziffer auch eine Größe, mit der der Kreis Recklinghausen arbeitet? Fragen und Antworten.
? Welche Studien sind bisher bekannt?
Mehrere Studien zeigten bis heute, dass die Zahl der tatsächlich Infizierten deutlich höher liegen kann als die Zahl der bestätigten Infektionen. Das bestreitet niemand, ist aber auch logisch, denn bestätigt ist, dass einige Menschen trotz einer Infektion überhaupt nicht oder nur leicht erkranken.
Das ifo-Institut zitiert in einer Veröffentlichung serologische Untersuchungen, zum Beispiel die sogenannte Kupferzell-Studie, dass der Bevölkerungsanteil mit Antikörpern gegen Sars-CoV-2 in Orten mit Super-Spreading-Events zu einem tatsächlichen Infektionsgeschehen führte, das 2,5- bis 6-Mal höher lag als durch PCR-Tests bestätigt wurde.
Eine vom RKI anerkannte Untersuchung von über 30.000 Blutspenden aus ganz Deutschland kam Mitte September auf einen Bevölkerungsanteil mit spezifischen Antikörpern von 1,25 Prozent. Das wären über 1 Million Infizierte in Deutschland, 4-Mal so viele, wie zu diesem Zeitpunkt offiziell gemeldet. Andere Experten schätzen den Dunkelziffer-Faktor auf nur 1,8.
? Was meint der Leiter des Gesundheitsamts in Dortmund?
Er stütze sich bei seiner Dunkelziffer-Schätzung auf Ergebnisse der Teststellen am Flughafen und am Klinikum Nord und aus den Screenings in Dortmunds Krankenhäusern. Er sagt: „Wenn Sie 1000 Dortmundern auf dem Westenhellweg entgegen laufen, haben statistisch gesehen 25 von ihnen Corona.“ 2,5 Prozent der Gesamtbevölkerung.
? Was würde das für den Kreis Recklinghausen bedeuten?
Bei rund 615.000 Einwohnern und aktuell rund 2000 gemeldeten Infektionen käme man ebenfalls auf über 15.000 akut Infizierte.
? Rechnet der Kreis Recklinghausen mit einer ähnlichen Zahl? Unsere Frage ans Gesundheitsamt: Gehen Sie konform mit der Dunkelziffer-Schätzung aus der großen Nachbarstadt oder strengen Sie andere Schätzungen an?
Klares Nein. Kreis-Sprecherin Svenja Küchmeister sagt: „Alleine durch unsere Hilfsorganisationen (die die mobilen Abstrichteams im Kreis RE stellen, die Red.) sind etwa doppelt so viele Tests durchgeführt worden wie in den vorangegangenen Monaten – alleine im Oktober über 10.000. Hinzu kommt eine große Zahl von Tests durch die niedergelassenen Ärzte.“ Diese Resultate seien die Grundlage „für unsere Maßnahmen und Entscheidungen. An Spekulationen beteiligen wir uns nicht.“
? Relevant wird diese Frage vor allem in Bezug darauf, welche Zahl schwer an Covid-19 Erkrankter der Kreis Recklinghausen erwartet. Wie schätzen Sie die Entwicklung in den Krankenhäusern des Kreises Recklinghausen ein?
Zwischen der Kreisverwaltung und den Krankenhäusern im Kreisgebiet bestehe enger Kontakt, heißt es aus dem Kreishaus. Ein Klinikchef nehme regelmäßig an den Sitzungen des Krisenstabs teil. Steigende Fallzahlen gebe es im klinischen Bereich. Doch Svenja Küchmeister sagt: „Die Krankenhäuser sind darauf vorbereitet und können im Bedarfsfall zusätzliche Betten und auch ganze Stationen für die Behandlung von Corona-Patienten bereitstellen.“ Die Quote der Corona-Patienten, die stationär behandelt werden müssten, liege relativ konstant zwischen 6,3 und 8,9 Prozent der aktuell Infizierten. Heißt: Jeder 12. bis 15. Infizierte muss ins Krankenhaus.
? Dortmund bereitet sich offenbar darauf vor, Behelfskrankenhäuser einzurichten, eines möglicherweise in den Westfalenhallen. Wie ist es im Kreis Recklinghausen?
Hier gibt es 15 Krankenhäuser, also „eine große Zahl an Kliniken und somit an Kapazitäten, so dass die Einrichtung von Behelfskrankenhäusern aktuell nicht zur Diskussion steht“, sagt Küchmeister. Grundsätzlich habe der Kreis Recklinghausen aber Vorkehrungen getroffen, um im Bedarfsfall Kliniken entlasten zu können. Im Frühjahr sei das auch schon der Fall gewesen. Wie genau, bleibt aber offen. „Sollte dies notwendig werden, werden wir selbstverständlich darüber informieren“, so Küchmeister.
Gebürtiger Münsterländer, Jahrgang 1979. Redakteur bei Lensing Media seit 2007. Fußballfreund und fasziniert von den Entwicklungen in der Medienwelt seit dem Jahrtausendwechsel.
