Wird es 2020 Kommunalwahlen geben? Während das Land NRW am 13. September festhalten will und die Stadtverwaltung sich vorbereitet, sehen Castrop-Rauxeler Parteien unfaire Bedingungen wegen Corona.
Die Stadtverwaltung hat keine Alternative: Sie sagt ganz eindeutig, sie bereite die Kommunalwahl 2020 ganz normal vor. In einem Fragebogen hatten wir vor anderthalb Wochen die Stadtverwaltung und die in der Stadt vertretenen und wahrscheinlich für den Stadtrat und den Kreistag antretenden Parteien dazu um Stellungnahme gebeten. Nicht alle Parteien antworteten.
Maresa Hilleringmann antwortete für die Stadtverwaltung ganz nüchtern: „Ein Plädoyer für oder gegen eine Verschiebung der Wahl hält die Verwaltung nicht, sie bereitet die Wahl vor und wird sie nach allen geltenden Regeln durchführen. An Spekulationen beteiligt sie sich auch nicht, sondern wird, wenn es so weit sein sollte, auf evtl. Änderungen der Regeln reagieren.“
Deutlich leidenschaftlicher und abwägender formulieren es die Parteien. Von SPD, CDU, Grünen, FDP, FWI und UBP lagen uns zum Teil ausführliche Antworten vor. Die AfD antwortete nur knapp, von den Linken ist nichts gekommen.
SPD überrascht mit Verschiebungs-Wunsch
Die SPD überrascht, weil sie für eine Verschiebung plädiert. Überraschend deswegen, weil viele der Einschätzung folgen, dass es derzeit einen Amtsbonus für den amtierenden Bürgermeister Rajko Kravanja bei der Bürgermeisterwahl gäbe. Er ist als Krisenmanager täglich präsent, während seine Gegenkandidaten Probleme haben, überhaupt in Erscheinung zu treten oder Unterschriften für eine Kandidatur zu sammeln. CDU, Grüne, FWI, UBP und FDP sprechen sich dagegen eher oder ganz klar für eine Beibehaltung des Termins aus. Die AfD äußert dazu keine konkrete Meinung.
„Die Räte und Bürgermeister benötigen insbesondere in der jetzt schwierigen Zeit einen demokratischen Auftrag und Legitimation“, erklärt Michael Breilmann (CDU). „Demokratie lebt von regelmäßig stattfindenden Wahlen.“ Der FDP-Fraktionsvorsitzende Nils Bettinger findet: „Wenn man ein halbes Jahr vorher weiß, dass auch der Wahlkampf unter schwierigen Bedingungen stattfindet, ist das sicherlich nicht schön, aber leistbar.“ Nur eine Entscheidung erst im Juli lehnt er ab.
„Vertrauen dem Innenminister“
Das sagt auch Thomas Schmidt von der UBP: „Wir vertrauen der Entscheidung des Innenministers, der sich der Tragweite einer möglichen Verschiebung bewusst sein wird.“
Bert Wagener und Holger Schelte aus dem Vorstand der Grünen schreiben: „Der Kommununalwahl-Termin wurde bereits seit langem angekündigt, es ist für die Politik und die Bevölkerung wichtig, sich auf solche Termine verbindlich einzustellen.“ Allerdings schränken sie diese Meinung ein: „Sollte sich in der nächsten Zeit herausstellen, dass die massiven Einschränkungen fortbestehen (müssen), kann die Wahl faktisch aber nicht zum vorgesehenen Termin stattfinden. Weil die Einschränkungen wie Abstandsregeln, Hygienevorkehrungen eine planvolle Durchführung nicht zulassen würden.“
Die größten Probleme sehen die Parteien im Wahlkampf. „Man merkt bei allen Kandidaten, dass wir mit angezogener Handbremse unterwegs sind“, so Bettinger (FDP). Wahlkampf könne wie geplant nicht stattfindet, schreibt Daniel Molloisch (SPD). Und der CDU würde trotz aller sozialer Medien der direkte Kontakt „face to face“ fehlen.
Videokonferenzen und Online-Arbeit am Wahlprogramm
Die Grünen erklären, sie arbeiteten sehr viel übers Internet: Sitzungen laufen als Videokonferenzen, die Zusammenarbeit am Wahlprogramm laufe online. Allerdings würde sich laut den Grünen ein Versammlungsverbot massiv auswirken, denn die notwendigen Beschlüsse zum Wahlprogramm und zu den Kandidaten müssten bei physischer Anwesenheit stattfinden. „Ohne diese Möglichkeit wäre eine Wahlvorbereitung unter demokratischen Rahmenbedingungen nicht im Rahmen aktuell geltender Fristen möglich“, so die Grünen.
Bettinger (FDP) bringt ebenso wie die SPD die Verfassung ins Spiel: „Die Legislaturperiode ist ja derzeit eh schon länger als üblich“, so Bettinger. „Eigentlich sollte eine Kommunalwahl alle fünf Jahre stattfinden. Die aktuelle Ratsperiode dauert bereits sechs Jahre. Diese jetzt auf sieben Jahre zu strecken, halte ich dann irgendwann auch verfassungsrechtlich für bedenklich. Die Bürger müssen der Politik ihr Zeugnis regelmäßig ausstellen. Ob uns das nun gefällt oder nicht.“ Die SPD dreht den Spieß eher um: Man müsse verfassungsrechtlich prüfen lassen, ob eine Verschiebung möglich ist, so die Sozialdemokraten.
„Müssen neue Wege finden“
Die Bürgermeisterkandidaten müssten „derzeit neue Wege suchen und finden, wie sie ihre Themen, ihre Ideen und ihr persönliches Angebot den Wählerinnen und Wählern näher bringen können“, schreibt die CDU, die mit Oliver Lind ins Rennen geht. „Da wird es auch mitentscheidend für die Wahl sein, wer hier unter diesen Bedingungen die Bürger am besten erreicht.“
FDP-Bürgermeisterkandidat Bettinger erkennt an, dass Kravanja (SPD) den Vorteil des Amtsbonus‘ habe. „Das ist in Krisenlagen nun einmal so und das muss man als Mitbewerber auch sportlich sehen. Man sollte die Bürger trotzdem nicht unterschätzen – da hat auch nicht jeder gleich alles vergessen, was in den letzten sechs Jahren eben nicht so rund lief.“ Gleichwohl werde es „uns anderen Kandidaten schwerer fallen, den Bürgermeister in der jeweiligen lokalpolitischen Sache zu kritisieren.“
Missbrauch des Amtsbonus‘?
Die UBP kehrt das noch deutlicher heraus: „Wir sehen die Gefahr, dass Bürgermeister Kranvanja seinen Amtsbonus als Krisenmanager dazu missbrauchen wird, von seiner äußerst negativen ‚Vor-Corona-Bilanz‘ abzulenken“, so Ratsherr Thomas Schmidt. Die Grünen finden, dass sich in der Regel die „Regierenden“ in Krisenzeiten durch wichtige Entscheidungen profilieren könnten, die meist aber alternativlos seien. „Die Weichen zum Umgang mit Corona“, so die Grünen, „werden trotz der aktuell starken Medienpräsenz des jetzigen Bürgermeisters natürlich nicht in Castrop-Rauxel, sondern auf Bundes- und Landesebene gestellt. Das wissen die Bürgerinnen und Bürger natürlich auch und werden das bei ihrer Wahlentscheidung sicher berücksichtigen.“
Das größte Problem haben so vermutlich diejenigen, die als Bürgermeisterkandidaten keinen Rückhalt einer Fraktion haben. Florian Pätzold will als freier Kandidat antreten und benötigt zu seiner Zulassung 250 Unterschriften. Zurzeit kann er die nur schwerlich sammeln. Die SPD findet: „Kleine Wählergemeinschaften oder Einzelkandidaten dürften große Schwierigkeiten haben, bis zum 16. Juli die erforderlichen Unterschriften für eine Kandidatur zu bekommen. Da haben es die etablierten Parteien ein wenig einfacher. Das wäre demokratisch ungerecht.“
Das sind die Kandidaten bisher
Für die SPD kandidiert Bürgermeister Rajko Kravanja, für die CDU Oliver Lind, für die FDP Nils Bettinger. Zudem hat Florian Pätzold das Ziel, parteilos bei der Wahl anzutreten. Von den Grünen, FWI, Linken, UBP und AfD sind bisher keine Kandidaturen bekannt. Bei der Kommunalwahl werden der Stadtrat, der Bürgermeister, der Kreistag und der Landrat gewählt. Zudem machen die Bürger am 13. September Kreuzchen für die Zusammensetzung eines neuen Integrationsrates.
Gebürtiger Münsterländer, Jahrgang 1979. Redakteur bei Lensing Media seit 2007. Fußballfreund und fasziniert von den Entwicklungen in der Medienwelt seit dem Jahrtausendwechsel.
