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1055 Runden im Zeitraffer: 21-Jähriger geht einen Marathon im Garten
Garten-Marathon
1055 Runden ist er im Kreis gegangen, 12 Stunden hat er gebraucht: Der Castrop-Rauxeler Julian Zill (21) hat in Corona-Quarantäne einen Marathon zurückgelegt – im Garten seiner Eltern.
Stoisch setzt Julian Zill in dem kleinen grünen Garten, der von Hecken und Gebüsch eingegrenzt wird, einen Schritt vor den anderen. Die Fußsohlen des Castrop-Rauxelers sind schwarz. Das Handy-Display, das in die Kamera gehalten wird, zeigt 15.52 Uhr.
Über fünfeinhalb Stunden ist Julian Zill schon unterwegs, wirklich vom Fleck gekommen ist er noch nicht. Er wird noch einmal etwa genauso lange unterwegs sein, bis er geschafft hat, was er sich vorgenommen hat: einen Marathon gehen, 42,195 Kilometer, im Garten seiner Eltern, immer im Kreis – und barfuß.
Zill hat seine Aktion gefilmt
Julian Zill hat sich dabei gefilmt. Das Lied „A Walk In The Park“ von der Nick Straker Band untermalt das Video, das auf der Facebook-Seite des Schweriner Korfball Clubs gepostet wurde und den 21-Jährigen zeigt, wie er seine Runden dreht. Allerdings in Zeitraffer. In der Realität dauert sein Marsch weit länger als vier Minuten.
Als er um 10.11 Uhr beginnt, liegen 1055 Runden mit jeweils 40 Meter Länge vor ihm. „Die habe ich mit dem Elektrokabel des Rasenmähers abgemessen. Von dem wusste ich, dass es 25 Meter lang ist“, erzählt Zill. „Die restlichen 15 Meter musste ich dann mit dem Zollstock ausmessen.“
Aber warum geht man eigentlich einen halben Tag lang im Kreis? „Ich hatte viel Langeweile“, sagt Zill und lacht. „Ich musste in häusliche Quarantäne, weil ich Kontakt zu jemandem hatte, der mit dem Coronavirus infiziert war. Es stellte sich heraus, dass ich mich zum Glück nicht infiziert hatte, aber ich hatte viel Zeit.“
Korfball-Verein hatte eine Challenge ausgerufen
Und dann sei ihm eben die Idee mit dem Marathon gekommen. Einen Halbmarathon sei er schon mal gelaufen. Nun einen Marathon auf der kleinen Gartenfläche zu laufen, wäre schwierig geworden, deshalb entschied er sich zu gehen.

Der Marathon ist nicht die erste ungewöhnliche Aktion des 21-Jährigen. Zill ist auch schon mit dem Rad nach Stockholm gefahren. © privat
Auf die Idee sei er auch gekommen, weil sein Verein während der Corona-Pandemie eine Challenge ausgerufen hatte, sagt der Korfballer. In Teams sollten die Sportler verschiedene Aufgaben erfüllen. Eine davon war, eine möglichst lange Wanderung zurückzulegen. Weil er zu Hause zum Herumsitzen verdammt war, beschloss er, sich im Garten auf den Weg zu machen.
„Ich bin so ein Typ, der das dann auch umsetzt, wenn er sich etwas in den Kopf setzt“, sagt Zill. „Und mir fehlte dann ja auch eine Ausrede, es nicht zu machen.“ Er lacht.
Crocket-Hammer als Trophäe
Für sein Vorhaben hat sich der 21-Jährige ein Zählsystem ausgedacht. Im Video sind zehn Pfosten zu sehen, die im Boden stecken. In der Mitte ist die Trophäe, die Zielmarkierung, ein Crocket-Hammer, in die Erde gerammt.
Zill hat an dem Tag im Juni genug Zeit, ihn sich anzuschauen. Elfeinhalb Stunden umrundet er den Hammer. In der Tasche seiner Sporthose klackern zehn Murmeln, alle zehn Runden wirft er eine von ihnen in einen Topf.
Sind die Taschen leer, hat er 100 Runden zurückgelegt und zieht einen Pfosten aus dem Boden. Dann füllt er seine Hosentasche wieder. Zehnmal, bis nur noch 55 Runden, der Crocket-Hammer und der Wille, ihn endlich aus dem Boden zu ziehen, übrig sind.
„Es ist unglaublich, wie schwierig es irgendwann ist, bis zehn zu zählen“, sagt Zill. „Eigentlich ist im Kreis gehen und zählen ja eine ziemlich primitive Aufgabe, aber ich musste mich echt ziemlich darauf konzentrieren.“ Viel mehr Gedanken habe er sich in der ganzen Zeit nicht machen können.
You’ll never walk alone
Es geht 15 Meter geradeaus, dann abbiegen, fünf Meter geradeaus, abbiegen, 15 Meter geradeaus, abbiegen, fünf Meter geradeaus, abbiegen. 1055 Mal. „You‘ll never walk alone“ steht auf seinem gelben T-Shirt. Das stimmt so nicht ganz. Zwar begleiten ihn seine Eltern abwechselnd ein paar Runden, die meiste Zeit stampft Zill aber alleine über die Wiese.
„Irgendwann wird das schon ziemlich eintönig“, sagt er. „Aber ich habe dann auch den Ehrgeiz, das zu schaffen.“ Pausen macht er zwischendurch, um etwas zu essen und zu trinken und um eine Musikbox zu holen, die die Eintönigkeit zumindest ein bisschen bekämpfen soll.
Anders als das Video suggerieren könnte, ertönt aber nicht nur „A Walk In The Park“. Nach elfeinhalb Stunden im Kreis und diesem Ohrwurm in Dauerschleife – da wäre man wohl bereit gewesen, einen Mord zu begehen.
Kurz vor 22 Uhr hat Zill sein Ziel erreicht
Die Schatten im Garten werden immer länger, bis irgendwann nur noch Schatten auf die Wiese fallen. „Hoffentlich schaffe ich das heute noch“, habe er irgendwann gedacht, sagt Zill. Als es soweit ist, um 21.57 Uhr, meint man, dass er nicht mehr ganz so rund geht wie zu Beginn seines Gangs, irgendwie ein bisschen hölzern.
Ein kleiner Hüpfer ins Ziel, eine Jubelfaust und ein Emporrecken des Crocket-Hammers in Richtung Himmel – nein, das wäre zu viel gesagt, der Arm geht eher in Richtung Hecke – sind aber noch drin.

Nach 11 Stunden und 46 Minuten hat Julian Zill es geschafft. © privat
Euphorischer ist die Mutter des 21-Jährigen, die freudestrahlend herbeigeeilt kommt und ihrem Sohn ein Bier in die Hand drückt. Er öffnet es, trink einen Schluck und sagt trocken: „Ich hab‘s geschafft.“ Er sei einfach nur froh gewesen, im Ziel zu sein, sagt Zill. Danach habe er sich direkt in die Badewanne gelegt. Die Füße taten weh. Am nächsten Tag sei das aber schon wieder gegangen. Der Muskelkater ist noch ein bisschen geblieben.
Die Spuren des Marathons im Garten noch ein bisschen länger. Eineinhalb Monate nach der Challenge sieht der Rasen auf dem Rundkurs immer noch nicht so frisch aus.
Als gebürtiger Dortmunder bin ich großer Fan der ehrlich-direkten Ruhrpott-Mentalität. Nach journalistischen Ausflügen nach München und Berlin seit 2021 Redakteur in der Dortmunder Stadtredaktion.
