Winfried Radinger sagt, er stehe zurzeit unter einem starken Druck. "Wir müssen alles tun, dass alle Menschen, die im medizinischen Bereich arbeiten, geschützt sind und gesund bleiben", sagt der Apotheker.

© Jens Lukas (Archiv)

Apotheker aus Castrop-Rauxel fürchtet italienische Verhältnisse in Sachen Coronavirus

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Weil das Revierderby zum Geisterspiel wird, rechnen Sky-Kneipen mit einem Ansturm. Apotheker Winfried Radinger ist entsetzt. Wegen des Coronavirus fordert er: „Alles auf den Prüfstand.“

Castrop-Rauxel

, 12.03.2020, 17:30 Uhr / Lesedauer: 3 min

„Wir stehen vor einem riesigen Problem und können uns Rücksicht auf privates Vergnügen nicht mehr erlauben“, sagt Winfried Radinger, Apotheker in der Castroper Altstadt. Ein Interview.

Herr Radinger, warum vertreten Sie diese deutliche Haltung, dass man sich wegen des nicht mehr in Kneipen treffen sollte?

Wir müssen nur nach Italien gucken. Da müssen wir uns nichts vormachen! Wir haben zwischen einer und vier Wochen Vorsprung, je nach Sichtweise der Virologen.

Aber man sagt doch, dass es in Italien möglicherweise eine deutlich höhere Dunkelziffer gebe als in Deutschland, wo von Tag 1 an alles sehr genau dokumentiert und Infektionsketten nachvollzogen wurde.

Entscheidend ist, dass die Zahl der Fälle sich exponentiell von Tag zu Tag erhöht. So können wir ausrechnen, wann wir hier die Grenze des Leistbaren erreicht haben. Nach allem, was ich aus der Literatur entnehme, sieht es so aus, dass wir hier die gleichen Probleme bekommen.

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Was heißt das nun für uns Normalbürger, aber im Speziellen auch für Sie?

Wir müssen diese Zeit jetzt nutzen und die Kurve der Infektionen abflachen. Wir müssen alles auf den Prüfstand stellen, was nötig ist und was wir einschränken. Wenn wir die Zeit nicht nutzen, laufen wir in die Problematik wie in Italien.
Ich stehe zurzeit sehr unter Druck: Ich muss mit meinen Mitarbeitern Verhaltensmaßnahmen einproben für die Zeit, wenn nur noch Apotheken und Lebensmittelgeschäfte geöffnet haben werden.

Moment: Meinen Sie, dass wir dorthin kommen?

Ja, das ist nicht unwahrscheinlich. Die italienische Regierung hat am Mittwoch angeordnet, dass alle Geschäfte außer Apotheken und Lebensmittelmärkten geschlossen bleiben.

Zurück zu Ihrer Apotheke also, die ja dann besonders gebraucht wird…

Ja, ich muss meine Mitarbeiter zu dem Zeitpunkt gesund haben. Ich habe darum jetzt schon allen untersagt, Veranstaltungen zu besuchen. Sie sollen sich von allen und allem fern halten. Darum gilt: Gerade in Kneipen, wo es eng ist und die Luft stickig – das geht in dieser Zeit gar nicht. Für Theater und Kinos gilt das ebenso.

Wie schützen Sie sich denn zurzeit?

Wir tragen Handschuhe, waschen und desinfizieren uns ständig die Hände, halten nach Möglichkeit Abstand von unseren Kunden. Zwei Meter sind da einzuhalten, denn die Tröpfchen beim Niesen und Husten fliegen so weit. Außerdem desinfizieren wir viermal am Tag alle Flächen, Telefone, Tastaturen.

Und was kommt noch auf Sie zu?

Wir werden wahrscheinlich die Tür nur noch einen Spalt öffnen oder die Leute nur noch einzeln oder zu zweit einlassen. Es gibt noch keine Anweisungen aus dem Apothekerverband. Aber davon gehe ich aus.

Ganz schön viel der Vorsicht. Ist das nicht übertrieben?

Nein. Wir müssen alles tun, dass alle Menschen, die im medizinischen Bereich arbeiten, geschützt sind und gesund bleiben. Und wir müssen Zeit gewinnen, damit wir die 27.000 Beatmungsplätze in deutschen Kliniken, von denen ohnehin schon über 20.000 Plätze belegt sind, nicht überlasten. Sonst werden wir mit diesem Virus nicht fertig. Es ist in der Welt, wir kriegen es nicht mehr raus und müssen irgendwie ins nächste Jahr kommen. Dann könnte es einen Impfstoff geben. Aber auch da ist vieles noch offen: Die Produktion ist kompliziert. Vor der Einführung muss man ihn erst in Kohorten testen. Der Prozess ist langwierig.

Was meinen Sie: Soll man denn seine Kinder noch zu seinen Großeltern gehen lassen?

Ich bin der klaren Überzeugung, dass man zumindest Schulen und Kitas nicht schließen sollte: Denn Großeltern sollten zurzeit auf keinen Fall mit der Kinderbetreuung beauftragt werden. Gerade sie sind die am stärksten gefährdete Gruppe. Da muss jeder seine eigene Risikoabwägung treffen.

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Warum tragen Sie keinen Mundschutz?

Den sollten die tragen, die infiziert sind – und wir wollen sicherstellen, dass medizinisches Personal damit hinreichend ausgestattet ist. Wenn die Situation gravierender wird, heißt das aber nicht, dass wir nicht auch Mundschutz tragen. Kollegen in Südtirol tragen Schutzanzüge, Schutzbrillen und Kopfbedeckungen.

Ist denn genügend Material dafür da?

Naja, am Mittwoch erhielten wir einen Anruf aus einer Zahnarztpraxis. „Wir brauchen dringend Handschuhe und Desinfektionsmittel, sonst können wir morgen unseren Laden zumachen“, hieß es.

Und? Besorgen Sie Ihnen das Material?

Wir bemühen uns.