Sie wohnen selbst in Ickern und haben mir gegenüber schon einmal erwähnt, dass Ickern sich mit den Jahren extrem verändert hat. Was genau hat sich geändert?
Castrop ist natürlich vom Bergbau geprägt. Allein in Ickern, dem bevölkerungsreichsten Stadtteil, gab es vier Zechen. Sie sind in den 70er- und 80er-Jahren geschlossen worden und dementsprechend finden Sie in Ickern diese Arbeiter- oder Zechenhäuser. Also hätten sie in den 80er-Jahren jemanden aus der Castroper City gefragt, wie er Ickern findet, hätten Sie immer so ein negatives Bild bekommen, „das sind die armen Malocher.“
Und dieses Bild gibt es nicht mehr?
Dieses Bild ist bei vielen Älteren noch in den Köpfen verankert. Heute ist der Bergbau schon lange weg, die letzten Menschen, die im Bergbau gearbeitet haben, sterben langsam aus. Und jetzt haben viele junge Familien entdeckt, dass man durch diese Zechenhäuschen relativ günstig an ein Eigenheim mit kleinem Gärtchen kommen kann. Deshalb gibt es in Ickern eine sehr, sehr hohe Dichte von jungen Familien. Deshalb ist es jetzt einer der familienfreundlichsten Stadtteile.

Deshalb gibt es dort auch viele Kindergärten...
Genau. Die größte Kindergarten-Dichte gibt es tatsächlich in Ickern. Und es gibt dort ein bis anderthalb, je nachdem wo man die Stadtteilgrenze zieht, Grundschulen. Dementsprechend funktioniert auch dort das Stadtteilzentrum ganz gut. Und es wurde viel investiert. Früher war die Ickerner Straße das Stadtteilzentrum. Aber auch da gibt es die typischen Probleme mit Leerstand bei Ladenlokalen. Der Ickerner Markt ist jetzt das Zentrum geworden mit dem Edeka und so weiter. Ich glaube, dass der Wohlstand in Ickern durch diesen Generationenwechsel, durch viele Eigenheimkäufer, ein bisschen gestiegen ist. Ich sehe das immer aus Maklersicht. Der Klassiker ist: Man macht es erst innen hübsch und wenn man irgendwann ein paar Euro über hat, wird auch mal die Fassade gemacht oder der Vorgarten umgestaltet. Wenn man durch diese Zechensiedlungen fährt, merkt man den großen Unterschied zu früher.
Ich habe mich vor kurzem mit der Sonnenschein-Siedlung befasst. Da sieht man noch das Ickern aus den 70er-Jahren, oder?
Ja, definitiv. Am Sonnenschein, Mausegatt, Finefrau, da fühlt es sich wie eine Zeitreise an. Der Menschenschlag, der einem dort begegnet, ist oft noch so Ruhrgebiets-Urtypisch. Die krasse Abgrenzung dazu wäre die Entwicklung der Aapwiesen. Auch da merkt man diesen Wandel. Da sieht man den gleichen Gebäudetyp, bloß auf einmal viel hübscher, weil die Leute gesagt haben, wir streichen jetzt die Fassade und so weiter. Das begann irgendwann in den 80er-Jahren mit der Privatisierung. Da hat man den dort wohnenden Mietern die Häuser zum Kauf angeboten – zu relativ geringen Einstiegspreisen.
Was heißt „gering“?
Im Jahr 2000 konnte man so ein Eigenheim für zwischen 15.000 und 80.000 Euro kaufen, je nach Größe. Das war im Jahr 2000 sicherlich auch viel Geld, aber dafür hätte man auch damals keine vergleichbar große Eigentumswohnung mehr gekriegt. Die Idee war einfach, dass diese ganzen Besitzgesellschaften gesagt haben, die Leute wohnen da zu einer sehr geringen Miete, weil die Häuser oft schlecht ausgestattet waren.
Vor Kurzem hat mir noch jemand erzählt, seine Wohnung in der Sonnenschein-Siedlung sei noch auf dem gleichen Stand wie 1951, sogar mit Kohleofen. Der fand das ganz normal.
Dafür zahlen Sie da auch nur 250 Euro Miete. Ich glaube, sowas kann man nur nachempfinden, wenn man in genau dem Immobilien-Milieu groß geworden ist. Dann ist der Kohleofen völlig normal. Freunde von mir wohnen da in der Ecke, die finden ihren Kohleofen cool.
Es gibt in Castrop-Rauxel aber auch Problem-Stadtteile, ich denke da zum Beispiel an die Lange Straße. Wie hat es sich dort so entwickelt?
Die Lange Straße ist immer wieder ein großes Politikum in Castrop-Rauxel. Ich kann mich erinnern, in den 80er-Jahren war das ein blühender Stadtteil, zumindest der Bereich Lange Straße. Es gab viele alteingesessene Einzelhändler, vor allem Fachhändler, zum Beispiel für Schuhe oder Spielzeug. Ich weiß noch, dass wenn meine Großmutter sagte, sie müsse einkaufen, ist sie immer dorthin gegangen.
Für die Veränderung haben viele Phänomene eine Rolle gespielt. Erstens funktioniert der spezialisierte örtliche Einzelhandel schon sehr, sehr lange nicht mehr gut. Dann hat irgendwann mal die Gemeinde Castrop beschlossen, den Bereich Lange Straße verkehrsberuhigt zu gestalten. Da haben sich viele dran gestoßen, weil sie gesagt haben, dass sie nicht mehr bis vors Geschäft fahren können. Parallel gab es dann noch – heute ist es Globus – damals war es Continent. Ein Supermarkt, worüber sich natürlich auch viele Lebensmittelhändler beklagt haben, weil es ein riesiger Konkurrent vor der Nase quer gegenüber war.
Und dann gab es noch Veränderungen in der Wohngegend.
Parallel zur Langen Straße ist die Ohmstraße. Auch das war eine Wohngegend mit typischen Arbeiterwohnungen für Leute mit sehr geringem Budget. Deshalb haben viele, die halt nicht viel Geld hatten, da Wohnraum gesucht. Und da war auch die Quote derjenigen, die schlecht in die Gesellschaft integriert sind, sehr, sehr hoch. So kam alles zusammen. Viele wollten nicht mehr dorthin, entsprechend viele Leerstände haben sich gebildet. Also wenn man die letzten 30, 40 Jahre betrachtet, ist es ein stetiges Abwärts. Und in den letzten Jahren gab es immer wieder so Einzelphänomene, die auch zum schlechten Ruf beigetragen haben, zum Beispiel der Terrorverdacht Anfang des Jahres. Dann gab es das im Volksmund „Bulgarenhaus“ genannte Haus an der Langen Straße 107. Da gab es immer viel Theater, weshalb sich viele Menschen dort nicht mehr wohlgefühlt haben.
Das klingt nach einem Teufelskreis.
Genau. Mittlerweile kriegen Sie keinen Castrop-Rauxeler dazu, egal aus welchem Stadtteil, eine Wohnung auf der Langen Straße zu mieten. Die einzigen, die da noch nachfragen, sind die, die verzweifelt sind und sehr wenig Geld haben. Wiederum wollen Eigentümer ungern dort investieren. Das ist so eine Abwärtsspirale. Deshalb ist die Lange Straße so schwierig.
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