„Wissen Sie, was das soll?“ Eisessen auf kontroversen Holzbänken in der Castroper Altstadt

Neuer Sommer, neue Möbel, alter Streit
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Ein neuer Sommer ist da und damit auch eine frische Diskussion um das Sterben der Castroper Altstadt. Nachdem im vergangenen Jahr ein Haufen Sand einen Keil in die Stadtbevölkerung getrieben hat, geht es 2024 um Möbel. Genauer gesagt City-Möbel. Anders als ein Billy-Regal sind sie nicht für den heimischen Gebrauch geeignet, sondern möchten hübsch bepflanzt in der Innenstadt stehen.

Die „Stadt-Terrassen“ sind unterschiedliche, teils bepflanzte Module für eine temporäre Straßenmöblierung. Sie sind ein Leihangebot des Zukunftsnetz Mobilität NRW, in dem die Stadt seit 2017 Mitglied ist.
Die „Stadt-Terrassen“ sind unterschiedliche, teils bepflanzte Module für eine temporäre Straßenmöblierung. Sie sind ein Leihangebot des Zukunftsnetz Mobilität NRW, in dem die Stadt seit 2017 Mitglied ist. © Nora Varga

Erst standen die „Stadt-Terrassen“ auf dem Marktplatz. Im Juli stehen sie jetzt am Biesenkamp und auf der Wittener Straße. Die Stadt schreibt auf ihrer Website, das biete die Chance, „bekannte Orte aus frischen Perspektiven und anderen Blickachsen neu zu entdecken.“ Auf Facebook wird derweil scharf gegen die Stadt geschossen. Der goldene Zankapfel sind mal wieder: natürlich die Parkplätze. Fällt auch nur ein Quadratmeter öffentliche Stellfläche für private Vehikel weg, gehen Händler und Anwohner auf die Barrikaden.

Mit Eis auf zum Biesenkamp

Aber ist es denn nun wirklich so schlimm? Wir wagen den Test. Mit einem Eis – mehr Sommergefühl geht nicht – bewaffnet, ziehen wir Richtung Biesenkamp. Die City-Möbel sind noch frei, direkt vor der PHD Kinderwelt setzen wir uns an einen alt bekannten Ort in Erwartung frischer Perspektive. „Sieht ja eigentlich ganz schön aus“, meint der Kollege, „is aber ein bisschen viel Sonne.“ In der Tat kommen die Stadt-Terassen ohne Sonnenschutz bei 30 Grad und bestem Sommerwetter eher unangenehm. Zur Ehrenrettung: Bänke im Park oder auf dem Marktplatz haben auch kein Sonnensegel.

Dafür sind die Möbel stylisch. Peppige Farben, die Sitzhöhe ist angenehm. Es gibt sogar ein Element mit Tisch, falls jemand zum Beispiel seinen Arbeitsplatz an den Biesenkamp verlegen will. Auch wenn die Blumen der Gärtnerei Drippe sichtlich unter den 30 Grad leiden, sie sehen schön aus.

Abgase und Autolärm

Ziemlich schnell haben wir aber ein anderes Problem als die Sonne. „Wie findet ihr denn eigen–“ Wröööööm – ein kleinster Laster scheppert über die Straße: „Was hast du gesagt?“ Der Biesenkamp ist eben keine kleine Seitenstraße und gar nicht so tot, wie manche Unkenrufer behaupten. Der Verkehr ist laut und die Abgase nerven. Da lässt sich nichts beschönigen.

Die Stadtmöbel sind mit Blumen der Gärtnerei Drippe bepflanzt. Das finden wir schön und gut.
Die Stadtmöbel sind mit Blumen der Gärtnerei Drippe bepflanzt. Das finden wir schön und gut. © Fabian Hollenhorst

Die City-Möbel an sich gefallen uns hingegen aber wirklich gut. „Vielleicht hätte man die besser in den Stadtgarten gestellt.“ – „Aber da gibt es ja schon Bänke.“ – „Hast recht, was ist mit der Rennbahn?“ – „Ja, aber gehen da so viele Leute lang?“ – „Also ich find’ schon, mehr als am Biesenkamp. Es läuft ja keiner mit einem Eis aus Versehen bis hier.“

„Wissen Sie, was das soll?

So diskutieren wir noch eine ganze Weile, bis uns eine Frau anspricht. „Wissen Sie, was das soll?“, fragt sie mit einem Tonfall, aus dem man recht eindeutig schließen kann, dass sie kein Fan der City-Möbel ist – auch nach unserer Erklärung nicht. „Das nimmt hier wieder Parkplätze weg, für die Anwohner ist das mal wieder richtiger Mist.“ Sie ist – wenig überraschend – Anwohnerin. „Das braucht wirklich keiner“, bleibt sie bei ihrer Meinung und geht.

Tja. Was soll man nun von der Idee der Stadt halten? Sie ist ziemlich sicher besser als der Sandberg aus 2023. Mehr Flair und Charme wünschen sich viele für die Altstadt. Aber Sitzgelegenheiten nur eine Armlänge neben einer viel befahrenen Straße? Das ist leider ziemlicher Murks. Vielleicht hätte man die Möbel lieber direkt in die Fußgängerzone stellen sollen oder an den Münsterplatz. Eben dahin, wo schon Leute mit Eis und Döner unterwegs sind. Eine vertane Chance, irgendwie schade.

Sicher ist, 2025 wird es wieder einen Sommer geben und wahrscheinlich auch eine Aktion der Stadt. Und bei aller Mäkelei muss man der Verwaltung lassen: Sie tut etwas, sie will die Altstadt aufwerten. Ob das immer so klappt, das steht auf einem anderen Blatt.

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