Im Reichstag in Berlin sitzt Frank Schwabe seit 2005 als Bundestagsabgeordneter.

© Matthias Langrock

Bundestagsabgeordneter Frank Schwabe: Deutschland ist ein Einwanderungsland

rnNeue Bundesregierung

Der SPD-Politiker Frank Schwabe ist überzeugt, dass die Städte im Kreis Recklinghausen von der Ampel-Koalition profitieren. Im Interview äußert er sich auch zur Flüchtlings- und Asylpolitik

Recklinghausen, Castrop-Rauxel, Waltrop

, 26.11.2021, 15:55 Uhr / Lesedauer: 4 min

Seit 2005 sitzt der SPD-Politiker Frank Schwabe für Recklinghausen, Castrop-Rauxel und Waltrop im Bundestag. Von diesen 16 Jahren hat die SPD 12 regiert, aber nie den Bundeskanzler gestellt. Das wird sich nun ändern. Schwabe selbst hat für seine Partei an den Koalitionsverhandlungen teilgenommen. Ein Gespräch darüber, was sich insgesamt und bei „seinen“ Themen Flüchtlinge und Migration für die Menschen im Kreis Recklinghausen ändern wird.

Herr Schwabe, h ätten Sie zu Beginn der Koalitions-Verhandlungen damit gerechnet, dass Sie jetzt schon fertig sind?

Ohne der CDU zu nahe treten zu wollen, muss man sehen, dass die CDU in einer katastrophalen Verfassung war. Deswegen hat die FDP eingesehen, dass es überhaupt nicht funktionieren würde, mit denen Koalitionsverhandlungen zu führen.
Außerdem hat sich die FDP noch daran erinnert, wie es war, als die mal gemeinsam regiert haben. Danach ist die FDP nämlich aus dem Bundestag geflogen. Und deswegen glaube ich, war die FDP bereit, auch bei manchen Positionen, die sie vielleicht mit der CDU eher hätte durchsetzen können, kompromissbereit zu sein.

Was ändert sich für uns Bürger in Castrop-Rauxel, Recklinghausen oder Waltrop am meisten, dadurch, dass es eine andere Bundesregierung gibt?

Natürlich treffen alle Themen aus den Verhandlungen die Castrop-Rauxeler, die Recklinghäuser, die Waltroper. Beispiele sind die Einführung einer Kindergrundsicherung, damit Kinder möglichst nicht mehr in Armut aufwachsen. Veränderungen bei Hartz IV, das ja nicht nur anders genannt wird, sondern bei dem es auch um andere Fristen geht. Oder um die Frage, bis wann man an das Vermögen der Leute herangeht und vieles andere mehr. Dann: die 12 Euro Mindestlohn.


Aber es gibt natürlich Themen im Koalitionsvertrag, die spezifisch die drei Städte im Wahlkreis betreffen. Da waren SPD und Grüne sehr nah beieinander und die FDP hat sich bewegt. Ein Beispiel ist das Thema Altschulden-Regelung. Alle Städte des Kreises Recklinghausen und der ganzen Region sitzen auf riesigen Altschulden. Das schnürt uns die Luft zum Atmen ab und vor allen Dingen zum Investieren in den Städten. Und das muss sich ändern. Deswegen müssen diese Altschulden weg. Und im Koalitionsvertrag steht klipp und klar drin, dass wir dazu eine Lösung haben wollen, zusammen mit den Bundesländern. Die müssen auch was tun. Deswegen ist auch die Landtagswahl wichtig.

Sie selbst haben zu den Themen Flüchtlinge und Migration mitverhandelt. Das betrifft Themen wie der Schutz der EU-Außengrenzen, die Fragen, wen lässt man rein und wie wehrt man Menschen ab, die man nicht reinlassen möchte? Nehmen wir ein aktuelles Beispiel: Was würde sich aktuell durch ihre Beschlüsse für Menschen ändern, die gerade an der belarussisch-polnischen Grenze sitzen?

Da würde sich aktuell nichts ändern, weil sich alle einig sind, dass wir uns nicht erpressen lassen dürfen, wenn Diktatoren versuchen, Menschen als Druckmittel einzusetzen, um eine andere Politik zu erzwingen. Gleichzeitig muss man Menschen helfen, sie humanitär versorgen und am Ende auch dafür sorgen, dass die Menschen nicht da an der Grenze bleiben.
Mit dem Koalitionsvertrag erkennen wir die Realität an, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Man muss ja nur über die Straße gehen, dann sieht man, dass das so ist. Wenn man das aber nie so richtig wahrhaben will, dann kommt man nicht zu den richtigen Ansätzen. Und deswegen wollen wir zum Beispiel Menschen, die Integration ermöglichen, umfassend und vom ersten Tag an unterstützen.

Bedeutet das, dass es Menschen einfacher gemacht wird, nach Deutschland zu kommen?

Wir wollen denjenigen, die in Deutschland sind und hier mutmaßlich auch sehr lange bleiben, die Gelegenheit geben, ein ordentliches Leben zu führen mit allen Rechten und Pflichten. Und wir wollen weniger Menschen über irreguläre Migration zu uns kommen lassen, sondern mehr über geregelte reguläre Migration.
Das heißt, wir wollen zum Beispiel Abkommen schließen mit Herkunftsländern wie dem Senegal oder Nigeria, wo wir sagen: Lasst uns die Tür öffnen für Menschen, die hier studieren wollen, oder über Visa für die, die hier arbeiten wollen. Die müssen sich dann aber ordentlich in einer Schlange anstellen, in Nigeria und in einem geordneten Verfahren nach Deutschland kommen und sich nicht mehr auf den gefährlichen Weg machen.

Frank Schwabe (l.) war mittendrin bei den Verhandlungen um den neuen Koalitionsvertrag.

Frank Schwabe (l.) war mittendrin bei den Verhandlungen um den neuen Koalitionsvertrag. © Kevin Kisker

Und wenn die Menschen genau das doch tun?

Dann kommen sie sehr schnell in ein Asylverfahren und dieses Verfahren wird nach rechtsstaatlichen Grundsätzen strikt, aber sehr schnell abgewickelt. Dafür sagen wir aber gleichzeitig: Wir ermöglichen reguläre Migration, um eine bessere Kontrolle zu bekommen.
Damit wird man nicht jede Form von irregulärer Migration verhindern. Damit wird man nicht jedes Sterben auf dem Mittelmeer verhindern. Aber es ist ein Weg, jedenfalls ein bisschen raus aus dieser Situation zu kommen. Im Bereich von Geflüchteten ist es übrigens ähnlich.
Wir wollen, dass Menschen wirklich geholfen wird, die zum Beispiel in Flüchtlingslagern festsitzen und einen wirklichen Asyl-Grund haben. Damit sie sich nicht nicht über das Mittelmeer und auf gefährlichen Wegen von der Türkei nach Griechenland begeben müssen.

Also mit anderen Worten: Diejenigen, die einen wirklichen Asylgrund haben, würden nach ihrer Idee verstärkt kommen. Die, die keinen haben, hoffen sie genau dadurch aufhalten zu können.

Genau. Wir müssen die Leute im Grunde genommen entmutigen, diesen sogenannten irregulären Weg zu gehen, sich einfach mit Schleuserbanden, mit Schleppern nach Europa, nach Deutschland zu bewegen und ihnen gleichzeitig aber eine Chance aufzeigen, wie sie es in einem geordneten Verfahren für eine begrenzte Zeit eben doch auch nach Deutschland schaffen können.

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Jetzt haben sie gerade über Nigeria und den Senegal gesprochen. In Castrop-Rauxel geht es den Menschen eher um die Sinti und Roma an der Wittener Straße oder an der Langen Straße wohnen? Kommen da jetzt viel mehr?

Wir haben die Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union. Die Menschen haben das Recht, sich frei zu bewegen. Aber natürlich gibt es Probleme, auch massive. Wobei ich immer dafür werbe, sich die Menschen einzeln anzugucken. Da sind viele dabei, spannende Leute, die hoch anständig sind und die gerne eine gleichberechtigte Rolle in unserer Gesellschaft spielen würden, weil sie in den Herkunftsländern massiv benachteiligt werden und da keine vernünftige Zukunft haben können.

Frank Schwabe bei der Bundestagswahlparty der SPD in Castrop-Rauxel in dem Moment, als die ersten Prognosen einen Erfolg der Sozialdemokraten vorhersagten.

Frank Schwabe bei der Bundestagswahlparty der SPD in Castrop-Rauxel in dem Moment, als die ersten Prognosen einen Erfolg der Sozialdemokraten vorhersagten. © Volker Engel


Also: Wir können die Wanderung nicht unterbinden. Was wir aber tun können ist, die Städte in die Lage zu versetzen, die Menschen vernünftig zu integrieren und auch dafür zu sorgen, dass sich Leute an Regeln halten und wenn sie es nicht tun, dass das sanktioniert wird. In Castrop-Rauxel gibt es besondere Kindergartengruppen. Oder man kümmert sich darum, dass nicht ungerechtfertigt Wohngeld bezogen wird. Das kostet aber Geld.
Und deswegen muss der Bund anerkennen, dass er helfen muss. Meine Arbeitsgruppe hat genau das verhandelt. Und das in enger Abstimmung mit dem Bürgermeister von Castrop-Rauxel, mit dem war ich dazu Kontakt hatte.

Das vollständige Video-Interview mit Frank Schwabe sehen Sie unter rn.de/castrop