Beton ist in der Architektur der Neuzeit allgegenwärtig. Was aber nur wenige Menschen wissen: Schon die Römer errichteten Bauten aus einem Kunststein („opus caementitium“), der dem Beton in seiner Zusammensetzung sehr ähnlich gewesen sein soll.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Beton zum Baustoff, mit dem Architekten in aller Welt Zeichen setzen wollten für eine neue Zeit. Eine moderne Zeit, eine Zeit, die auf Form und Funktion setzte, nicht auf Zierrat. Der Trend gipfelte im sogenannten „Brutalismus“, einem Baustil, der auf Beton pur setzte.


Auch wenn man meinen mag, dass der Begriff vom Wort „brutal“ entlehnt wurde, stammt das Wort tatsächlich von der französischen Bezeichnung für rohen Beton, dem so genannten „beton brut“. In Europa stehen die Betonbauten der Nachkriegszeit vielfach für Utopien eines neuen sozialen Miteinanders, für eine neue Form der städtischen Urbanität, einer Modernität, die uns heute eher als brutale Verfehlung denn als soziale Identität stiftend anmutet.
Der Stil hat die nordrhein-westfälischen Städte in der Nachkriegszeit stark geprägt. Merkmal sind sehr plastische Bauformen und das Offenlegen von Gebäudefunktionen und Baumaterialien. Auch in unserer Region gibt es Paradebeispiele für diesen Baustil. Etwa das Habiflex-Gebäude in Wulfen-Barkenberg, das seinen Bewohnern in 40 Wohnungen ab 1975 einigen Komfort und viele Extras bot, heute aber von der Mehrheit der Menschen als Bausünde und Schandfleck bewertet wird.

Auch die Ruhr-Universität in Bochum gilt als ein solches Beton-Monster. Der gesamte Campus der Uni wird vom Sichtbeton dominiert, der gerade bei schlechtem Wetter einen ausgesprochen tristen Eindruck des gesamten Komplexes vermittelt. Nicht umsonst hält sich bis heute die (nie mit Zahlen belegte) urbane Legende, die Bochumer Uni habe die höchste Suizidrate unter den deutschen Universitäten.
Ein weiteres viel diskutiertes Brutalismus-Beispiel in der Region ist die Wallfahrtskirche in Velbert-Neviges. Der Betonbau des Architekten Gottfried Böhm, eröffnet 1968, wird geliebt oder gehasst, lässt viele Interpretationen zu: Die einen erkennen darin ein Pilgerzelt, andere sprechen vom Affenfelsen und Schandmal des Ortes Neviges.
Neue Betonbauten
Das Bauen mit purem Beton reizt Architekten aber auch und gerade heute. Immer wieder begegnen einem solche Entwürfe und realisierte Bauten, auch als Einfamilienhäuser. In Japan etwa hat sich ein Ehepaar mit kleinem Kind vor kurzer Zeit ein Haus bauen lassen, das Brutalismus pur verkörpert. Innen wie außen gibt es nur Beton, unverkleidet, ungeschönt, pur graubraun. Als „minimalistisches Meisterwerk“ feiern es manche Architektur-Freunde. Als eine deprimierende Dystopie sehen andere Menschen solche Bauten.
Und ich kann sie verstehen.
In den „Wohn(t)räumen“ befasst sich Thomas Schroeter regelmäßig auf sehr persönliche Art mit dem Wohnen. Da kann es um neue Trends gehen, um Wohnphilosophien, um Bauärger oder Küchendeko. Einfach um alles, was das Wohnen im Alltag ausmacht.